Hannes Etzelstorfer: Der Wiener Kongress#
Hannes Etzelstorfer: Der Wiener Kongress - Redouten, Karoussel und Köllnerwasser. Verlag Kremayr und Scheriau, Wien 2014. 224 S., € 24,-
Das Jubiläums- bzw. Gedenkjahr 2014 konzentriert sich auf "100 Jahre Erster Weltkrieg" und "75 Jahre Zweiter Weltkrieg". Dagegen blieb ein weiteres wichtiges Jubiläum publizistisch eher unbeachtet: "200 Jahre Wiener Kongress". Jetzt schließt das Buch "Redouten, Karoussel und Köllnerwasser" diese Lücke. Sein Autor, Hannes Etzlstorfer, ist Kunst- und Kulturhistoriker, vielfacher Sachbuchautor und Ausstellungskurator. Sein Panorama des Wiener Kongresses zeigt die Weltgeschichte und deren handelnde Personen ebenso wie die Alltagskultur in der Haupt- und Residenzstadt. Er schreibt: "Der Wiener Kongress von 1814/15 setzte einen Schlusspunkt hinter die blutigen Feldzüge Napoleons, der die Früchte seiner Politik dadurch aufs Spiel setzte, dass er immer wieder 'seiner Lieblingsbeschäftigung dem Krieg' nachging."
Die gemeinsamen Siege der verbündeten Heere gegen die Truppen Napoleon Bonapartes führten im Frühjahr 1814 zu dessen Niederlage, Abdankung, Exilierung und dem Pariser Friedensvertrag. Dieser sah einen "allgemeinen Kongress" vor, um ungelöste politische Fragen zu klären. Die Neuordnung Europas sollte - auf Wunsch des Zaren Alexander I. - in Wien verhandelt werden. Dies dauerte von 18. September 1814 bis 11. Juni 1815. Abgesehen von der hohen Diplomatie war der Kongress ein gesellschaftliches Ereignis, wie es Wien noch nie erlebt hatte. Treffend formulierte der Diplomat und Schriftsteller Charles Joseph de Ligne: "Der Kongress tanzt, aber er geht nicht weiter." Trotz Spitzelwesen und Zensur erschien ein Flugblatt mit der Charakteristik der Akteure, die Etzelstorfer "Politprofis und Selbstdarsteller" nennt. Darin hieß es: "Er liebt für alle: Alexander von Russland. Er denkt für alle: Friedrich Wilhelm von Preußen. Er spricht für alle: Friedrich von Dänemark. Er trinkt für alle: Maximilian von Bayern. Er zahlt für alle: Kaiser Franz." Gegen Ende der Beratungen seufzte der in die Gastgeberrolle gedrängte, für seine Sparsamkeit bekannte, Kaiser Franz I. von Österreich: "Wenn das noch lang so weitergeht, lass' i mi pensionieren…" Die Kaiserin soll gemeint haben, der Kongress koste sie zehn Jahre ihres Lebens.
Die Wienerinnen und Wiener, die zwar ihre Schaulust befriedigen konnten, hatten Ursache, über Teuerungen zu klagen. Die Infrastruktur für den Großevent kostete letztlich ihr Geld - und der österreichische Staatsbankrott infolge der Napoleonischen Kriege lag erst wenige Jahre zurück. Eine Herausforderung war schon die standesgemäße Unterbringung der Gäste. Es mangelte an Hotels, daher wurde die Hofburg als Nobelquartier adaptiert. Ihre Redoutensäle und die Winterreitschule als Schauplätze repräsentativer Feste bestanden bereits. Schwierig erschien die Beschaffung des - im Hofzeremoniell vorgesehenen - Tafelsilbers. Dieses war "versilbert" (vermünzt) worden, um die Staatskasse zu füllen. Man behalf sich mit Leihgaben und Surrogaten. So verdankte die Wiener Porzellanmanufaktur der Kongresszeit ihre goldene Periode und damit Exkursionen und Einkäufe der Staatsgäste.
Gekonnt kombiniert der Autor historische Ereignisse und den Alltag der Kongressteilnehmer und der Untertanen. Neben Archivalien und den umfangreichen Berichten der Spione boten ihm Artikel und Inserate der Wiener Zeitung ergiebige Quellen. Die älteste Tageszeitung der Welt brachte eine Einladung zum "Freudenschießen im Stift Klosterneuburg", ebenso wie Annoncen von Fremdenführern und Fußpflegern, die ihre Dienste in französischer Sprache anpriesen. Zeitgenössische Texte lassen das "patriotische Volksfest" lebendig werden, das am Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig im Prater stattfand. Es war die große Zeit des Walzers, in den Redoutensälen, wo man nur "in Gala" und eigens angefertigten Uniformen Einlass fand, genau wie in den Ballsälen der Vorstädte. Auch die barocke Tradition der "Karoussels" zu Pferd und mittelalterlicher Turnierspiele wurde in den Redoutensälen belebt. In den Straßen der Innenstadt fand nach Generationen wieder eine "prächtige, große Hof-Schlittenfahrt" statt. Im katholischen Wien spielte der traditionelle Festkalender eine Rolle. In der Fastenzeit gab es keine Bälle, in den Redoutensälen wurde Theater gespielt. Doch ließ man sich die Repräsentation nicht verderben, Geburtstage, Namensfeste und sogar Todestage erhielten Eventcharakter. Wien profilierte sich als "Welthauptstadt von Theater und Musik", in der Ludwig van Beethoven eine besondere Rolle spielte. Für die lukullischen Genüsse galt das Wort des Staatskanzlers Klemens Metternich: "Bereitet mir eine gute Küche, dann werde ich euch eine gute Politik machen". Man erfährt über die "Rindfleischmanie der Österreicher" und die Konkurrenz zur französischen Küche, über den enormen Verbrauch an Speiseeis und findet das Rezept einer "Tourte à la Viennoise".
Während die Delegierten ergebnislos über Detailfragen stritten und "den Kongress satt (hatten) bis zum Ekel", traf im März 1815 überraschend die Nachricht ein, dass Napoleon von seinem Exil auf der Insel Elba nach Frankreich zurückgekehrt sei. Am 18. Juni erfochten die alliierten Truppen den entscheidenden Sieg im sprichwörtlich gewordenen Waterloo. Fernab von den Kriegsschauplätzen tagte der Wiener Kongress am 11. Juni offiziell das letzte Mal. Die letzten Teilnehmer zogen ab. So versäumten sie das Eintreffen der Siegesmeldung und die Chance auf ein krönendes Siegesfest. Die friedliche Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress hatte (nur) 100 Jahre Bestand.