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Andreas Nierhaus: Kreuzenstein#

KreuzensteinDie mittelalterliche Burg als Konstruktion der ModerneAndreas NierhausBöhlau VerlagWien2014jetzt im Buch blättern

Andreas Nierhaus: Kreuzenstein.Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne Böhlau-Verlag Wien - Köln - Weimar 2014, 256 S., 132 Duplex-Abb., € 35,-

Wenige Kilometer nördlich von Wien gelegen, zählt die Burg Kreuzenstein zu den beliebtesten Ausflugszielen. Wer in die "Welt des Mittelalters" eintauchen will, ist hier genau richtig. In dem, um 1900 entstandenen, Themenpark können fremdartige Reize der Vergangenheit konsumiert werden. Als Collage historischer Fragmente wird aus materiellen Trümmern der Geschichte eine künstliche Welt neu geschaffen, Zerstörtes wieder zusammengefügt, Verlorenes wieder hergestellt.

Der Kunsthistoriker Andreas Nierhaus, Kurator der Architektursammlung des Wien Museums stellt das einzig- und eigenartige Bauwerk erstmals in einen größeren kulturgeschichtlichen Kontext. Seine ausführliche Analyse der Geschichte, Architektur und Ausstattung der Burg wird durch zahlreiche historische Fotografien ergänzt, von denen viele bisher noch nie veröffentlicht wurden.

Kreuzenstein ist eine der bedeutendsten Burgen des Historismus. Kaum ein anderes Bauwerk wurde aus so vielen Fragmenten anderer, älterer Bauten zusammengesetzt. Es sollte "authentisch" sein. Die Spolien stammen aus ganz Europa. Die Interieurs wurden mit Sammlungsobjekten ausgestattet und als (über)komplett eingerichtete mittelalterliche Wohnräume inszeniert. Dass hier niemand wohnte, spielt bei dem Konzept keine Rolle. Es handelt sich um die wohl umfangreichste Privatsammlung von Kunst, Kunsthandwerk und kulturgeschichtlichen Objekten des Mittelalters in Österreich.

Das Gesamtkunstwerk Kreuzenstein ist untrennbar mit der Persönlichkeit und den Idealen seines Erbauers, Hans (Johann Nepomuk) Graf Wilczek (1837-1922), verbunden. Er zählte zu den bedeutendsten Angehörigen des österreichischen Hochadels und zu den vermögendsten Unternehmern der Monarchie. Bekannt ist er u. a. durch die Gründung der Wiener Rettungsgesellschaft, des Rudolfinerhauses, der Gesellschaft der Kunstfreunde und Finanzier der Nordpolexpedition von Carl Weyprecht und Julius Payer. Graf Wilcczek förderte die Kunst, organisierte Ausstellungen, konzipierte 1879 den Makart-Festzug und war wesentlich am 24-bändigen "Kronprinzenwerk" beteiligt. Schließlich machte er sich als Sammler und Experte historischer Gegenstände einen Namen.

Sein Lebenswerk war die Wiedererrichtung der auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden Ruine Kreuzenstein. Im Familienbesitz befindlich, ließ er sie 1874 bis 1906 als Mausoleum, Museum für seine umfangreichen Sammlungen und Monument des Mittelalters umbauen. Anders als bei ähnlichen Projekten des 19. Jahrhunderts fehlt hier die patriotisch-nationale Intention. Für den wohlhabenden Bauherrn war die "moderne Burg", wie Andreas Niehaus schreibt, ein Privatvergnügen, ein "teures Spielzeug". Graf Wilczek ging es "um die nicht nur bis ins Detail historisch 'getreue' , sondern vor allem sinnlich - visuell und haptisch - umfassende Rekonstruktion historischer Atmosphäre, um die Wiederherstellung der mittelalterlichen Burg als begehbares Bild, als gebautes historisches Panorama."

Um 1900 galt Kreuzenstein als "Idealbild einer Burg". Ein besonderes Highlight stellt der Kaschauer Domgang dar. Als in Kaschau/Kosice (CR) die Westempore der Elisabethkirche aus der Zeit um 1450 demoliert wurde, erwarb Wilczek die Säulen, Konsolen und Wasserspeier und ließ sie in seinen schon weit gediehenen Bau integrieren. Andererseits wurden bei der Konstruktion der Burg auch moderne Materialien, wie vorgefertigte Ziegel und Stahlträger verwendet. Der Baufortschritt lässt sich an hunderten Fotos verfolgen, die der Besitzer teilweise selbst anfertigte. Die Bilder dienten der Dokumentation, aber auch als Souvenir. 1906 besuchte der deutsche Kaiser Wilhelm Kreuzenstein und schwärmte: "Das ist das Schönste, was ich auf der Welt gesehen habe." Die feierliche Einweihung erfolgte 1907 am Hochzeitstag des Bauherrn. Er war damals fast 70 Jahre alt, die Arbeiten hatten 33 Jahre in Anspruch genommen.

Andreas Nierhaus gliedert sein detail- und aufschlussreiches Buch in vier große Kapitel: "Mittelalterbilder", "Eine moderne Burg", "Herrschaft der Dinge" und "Mediale Korrespondenzen". 1912 drehte Sascha Kolowrat einen Kulturfilm über Kreuzenstein, ein Jahr später war die Burg die Kulisse für die Verfilmung des Bühnenwerks "Das Mirakel". Bildete hier eine mittelalterliche Legende den Stoff, so erinnern Inszenierungen und Einbauten bei neuen Produktionen an die Art, wie Comics oder Computerspiele "Mittelalter" darstellen. Auch für das Horror- und Vampirgenre musste das Museum als Kulisse herhalten. Im Sommer 2014 wurde Kreuzenstein zu "Everalm". Ein amerikanischer Fernsehsender drehte "The Quest“, eine Show, in der Reality-Kandidaten im Mittelalter-Fantasy-Universum gegeneinander antraten. Die Produzenten hatten dafür hunderte Burgen auf der ganzen Welt als Schauplatz besichtigt. In Kreuzenstein gefiel es ihnen am besten.