Stefan Oláh, Martina Griesser-Stermscheg (Hg.): Museumsdepots#
Stefan Oláh, Martina Griesser-Stermscheg (Hg.): Museumsdepots. Inside the Museum Storage. Orte unerwarteter Entdeckungen. Mit Beiträgen von Martina Griesser-Stermscheg, Bernhard Hebert, Otto Hochreiter, Joachim Huber, Johannes Kapeller, Gabriela Krist, Helmut Lackner, Monika Sommer, Nora Sternfeld und Patrick Werkner. Verlag Anton Pustet Salzburg 2014. 192 S., ill., € 39,-
Mehr als 100 großformatige Fotografien aus fast 30 Sammlungen - Albertina, Kunsthistorisches Museum, Landesmuseum Niederösterreich, MUSA Wien, Museum Liaunig, NORDICO Stadtmuseum Linz, Salzburger Freilichtmuseum, Stift Klosterneuburg, vorarlberg museum und vielen weiteren - kommentiert von zehn Fachleuten. Allein das wäre schon bemerkenswert, aber noch mehr die Thematik des außergewöhnlichen Bandes: Museumsdepots.
"Ziel dieses Buches ist es, einen üblicherweise verborgenen Ort, das Museumsdepot, einer breiten Öffentlichkeit sichtbar zu machen und somit ein Thema öffentlich zu verhandeln, das üblicherweise in kulturpolitischen Diskussionen ausgespart wird", schreibt die Herausgeberin Martina Griesser-Stermscheg. Die Fotos von Stefan Oláh bezeichnet sie treffend als "Still-Leben im eigentlichen Sinn. Es sind leise Bilder. Stumm ruhen die Dinge nebeneinander … Bei den Fotoaufnahmen in den Museumsdepots wurde nichts arrangiert. Allein durch die vorgefundene Anordnung der Gegenstände ergeben sich die unterschiedlichsten Assoziationen und ästhetischen Sensationen. … Bestimmend ist insbesondere der Eindruck des Absurden…" Ein Gespräch der beiden an der Universität für Angewandte Kunst Lehrenden gibt weitere Blicke hinter die Kulissen preis. Beim Eintreten in die Depots habe er "immer etwas anderes gesehen als die freundlichen Menschen", die ihn führten. Stefan Oláh bewundert deren "Sisyphus-Arbeit … Sie sind einfach überzeugt davon, dass es sinnvoll ist, und ich halte es auch für sinnvoll und wertvoll."
Mehr als 90 % der Bestände sind nicht ausgestellt. Sie verursachen Arbeit und Kosten, ohne den Museen die öffentliche Anerkennung zu bringen, die sie doch so dringend brauchen, Martina Griesser-Stermscheg vergleicht die Arbeit der Depotverantwortlichen mit Don Quichottes Kampf gegen Windmühlen, in diesem Fall gegen Unordnung, Platzmangel, Staub und Schäden. Die Tätigkeiten sieht man nur dann, wenn sie unterlassen werden.
Bernhard Hebert, Leiter der Abteilung Archäologie des Bundesdenkmalamtes, bekennt offen: "Depots sind für uns kein Quell der Freude". Die hunderten großen Kisten mit Knochen und Scherben könnten aber ebenso ein Quell der berechtigten Sorge um sie sein, wie der individuell gefühlten Freude an ihnen.
Monika Sommer leitet das Kulturprogramm des Europäischen Forum Alpbach. Sie beschreibt sehr persönlich den Spannungsbogen von Musealisierung und Zeitgeschichte, zwischen großem Unbehagen und forschender Neugierde.
Otto Hochreiter, Direktor des Graz Museums, gibt zu bedenken, dass Museumsleute einen Teil ihrer fachlichen Autoritär daraus gewinnen, Objekte möglichst unnatürlich anzuschauen und mit ihnen umzugehen, wie sie in ihrem ursprünglichen Zusammenhang niemand benutzen würde.
Die Kunstvermittlerin Nora Sternfeld reflektiert über die Ordnung und die Dinge, die in kein System passen. Die imaginäre Kiste mit "Varia" oder "some things" vergleicht sie mit der Schreckenskammer im Märchen vom König Blaubart - und glücklicherweise gibt es in beiden Fällen ein happy end.
Der Medienarchivar Johannes Kapeller hat es mit Ton-Spuren zu tun. Wachszylinder, Schelllackplatten, Magnetbänder werden in aufwändigen Verfahren durch digitale Massenspeicher gesichert. Trotzdem gleicht der Blick auf die Regale mit den exakt beschrifteten Tonband-Schachteln jenem in das ORF-Archiv seligen Angedenkens.
Wenn es um physische Bestände geht, ist der Archivar oft der einzige, der weiß, wo etwas zu finden ist. Im Mittelalter wurde der Kämmerer, der die Oberaufsicht über eine Schatzkammer hatte, zur Allegorie der Gedächtniskunst erklärt. Im Fall der "angewandten" war es der Schulwart Karl Sekora, erinnert sich der Institutsleiter Patrick Werkner. Vor 30 Jahren hatte Joseph Beuys öffentlichkeitswirksam bei der Akademie einen Baum gepflanzt - der das nächste Frühjahr nicht erlebte. Weil ihn Sekora auf eigene Initiative "im dritten Keller versteckt" hat, ist aus dem Beuys-Baum zwar kein Kunstwerk, aber immerhin ein inventarisiertes Depot-Objekt geworden.
Der Schweizer Kunsthistoriker Joachim Huber beschreibt die typische Chronologie von Sammlungsbeständen: Aus einigen Objekte, die sich auf wenig Raum unterbringen lassen, werden immer mehr, bald sind Depots von Nöten, zuerst in ungenützten Räumen des Museums, dann in zusätzlich geschaffenen. Der Euphorie folgt die Ernüchterung, schließlich das "Ersticken am eigenen Bestand". Huber plädiert für die Fokussierung und Reduzierung der Bestände, um in 100 Jahren relevantes Kulturgut zur Verfügung zu haben.
Helmut Lackner, als stv. Direktor des Technischen Museums Wien u. a. für die Depots verantwortlich, gab seinem Beitrag einen provokanten Titel "Was sammeln und deponieren wir eigentlich oder: wie kommt der 'Abfall' ins Museum ?" Nicht nur er spricht sich für wohl überlegtes Entsorgen, Entsammeln oder (nobler ausgedrückt) Deakzession von Objekten aus.
Experten-Beiträge - in deutscher Sprache und englischer Übersetzung - wechseln mit den Bildfolgen ab. Die in ihrer zufälligen Zusammenstellung oft verblüffenden Fotos - Krummstab neben Feuerlöscher, zwei Palmesel im imaginären Wettrennen, gotische Heilige neben Radioapparaten - zeigen aber auch die Akribie der Sammlungsverantwortlichen, die ihre Schützlinge in modernen Räumlichkeiten schlichten oder zumindest in säuberlich beschrifteten Bananenkartons verstauen. Kein Bildtext trübt den optischen Genuss, dafür sind die Kurzbeschreibungen der beteiligten Sammlungen besonders aufschlussreich. Hier erfährt man Wissenswertes über die Geschichte der Museums und ihre Depotmöglichkeiten. Auch Geheimnisse werden gelüftet, beispielsweise wo sich "dieser gewaltige Bär", der 1816 erlegt wurde und sechs Wiener Zentner wog, befindet, in welchem modernen Kunstmuseum Saurier und Mammut die Besucher begrüßen oder wer die 100 Sitzmöbel umfassende Studiensammlung des Architekten Johannes Spalt jetzt verwahrt.