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Ferdinand Opll: Liesing#

Bild 'Opll'

Ferdinand Opll: Liesing. Atzgersdorf, Erlaa, Inzersdorf, Kalksburg, Liesing, Mauer, Rodaun, Siebenhirten. Eine Geschichte des 23. Wiener Gemeindebezirkes und seiner acht alten Orte in Wort und Bild. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach 2014. 180 S., 182 Abb. € 29,90

Vor genau 60 Jahren, im September 1954, wurde Liesing als 23. Wiener Gemeindebezirk geschaffen. Als südlichster gehört er mit seinen acht alten Orten zu den typischen Randbereichen der Großstadt Wien. Die Lage zwischen dem Wienerwalde und den in das Wiener Becken übergehenden Ebenen, durchflossen vom namengebenden Bach, machte Liesing seit der Antike zum Siedlungsraum. Neben dem 22. zählt der 23. Bezirk zu den größten und jüngsten Wiens. Er hat 94.000 Bewohner und 5.000 Unternehmen mit 57.000 Arbeitsplätzen. Trotz massiver Neubautätigkeit konnten die acht Orte - Atzgersdorf, Erlaa, Inzersdorf, Kalksburg, Liesing, Mauer, Rodaun, Siebenhirten - landschaftliche Schönheiten und etwas von ihrem traditionellen Sommerfrischen-Charme erhalten.

Das neue Buch - ein Bild-Text-Band im besten Sinne - kommt zum Geburtstag des Stadtbezirks gerade recht. Sein Autor, a.o. Univ. Prof. Dr. Ferdinand Opll, langjähriger Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs, ist ist in Rodaun aufgewachsen und hat in verschiedenen Bezirksteilen gelebt. Seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der Geschichte von Liesing, der er mehrere seiner Publikationen gewidmet hat. Die jüngste könnte zum Vorbild zukünftiger "Heimatkunden" werden. Der Historiker setzte dabei sein Konzept eines "narrativen Bildbands" um, bei dem Bild und Text - gleich gewichtet und gut aufeinander abgestimmt - einander ergänzen. So verbinden sich wissenschaftliche Erkenntnisse, übersichtliche Gliederung, Zeittafeln und Bilder (vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart) zu einem eindrucksvollen Ganzen. Die Bildgeschichte der acht Orte erfolgt nach dem Motto: "Ortsgeschichte erzählt - Ortsgeschichte im Bild".

Voran gehen eine Einleitung - mit Ausführungen zu Intention und Aufbau und einem Überblick über die schriftlichen und bildlichen Quellen - sowie ein historischer Gesamtüberblick. Bescheiden nennt ihn der Autor "Versuch", doch erläutert er die Bezirksgeschichte im Kontext der Wiener Stadtgeschichte, die Anfänge des Gebiets bis 1938, sowie die Zeit danach "Vom 25. zum 23. Wiener Gemeindebezirk". 1938 fiel der Beschluss, 97 niederösterreichische Gemeinden der Stadt Wien einzuverleiben, womit Groß-Wien statt 21 nun 26 Bezirke umfasste, "Liesing", seit damals so genannt, wurde der 25. Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrigs sah das Gebietsänderungsgesetz eine Rückgliederung von 80 Gemeinden nach Niederösterreich vor. Nur der 22. und 23. Bezirk sollten bestehen bleiben. Die Regelung konnte allerdings mangels der Zustimmung der Sowjets acht Jahre lang nicht in Kraft treten.

Atzgersdorf wurde zwischen 1120 und 1130 als "Azchinstorf" erstmals erwähnt. Es zählt zu den ab dem späten 10. Jahrhundert von bairisch-fränkischen Kolonisten angelegten Siedlungen. Der Liesingbach betrieb im Mittelalter vier Mühlen, aus deren Anlagen im 19. Jahrhundert Industriebetriebe entstanden, u. a. die Glühlampenfabrik Osram. Die Südbahn (seit 1841) förderte die weitere Entwicklung, sodass Atzgersdorf zum einwohnerstärksten Bezirksteil avancierte. Dem Konzept des narrativen Bildbands folgend, illustrieren Panoramafotos, Ansichtskarten und Portraits die Etappen der Entwicklung.

Erlaa findet sich anno 1114 im Klosterneuburger Traditionsbuch. Ab dem 14. Jahrhundert war ein Schloss das Zentrum des kleinen Ortes. Der Liesingbach bildete die Grenze zu Atzgersdorf, eine Ableitung betrieb in Erlaa drei Mühlen - eine wurde1869 zur Salamifabrik. In den 1830er Jahren entstand Neuerlaa, das bald mehr Bewohner hatte wie die alte Siedlung. Die Perspectiv-Karte von Franz Xaver Schweckhardt zeigt - vor der Erweiterung - nur wenige Häuser, die Kirche und das Schloss mit seinem Park, zu dem Alleen führen.

Inzersdorf - zur Zeit Markgraf Leopolds des Heiligen als "Ymicinisdorf" erwähnt - war wohl eine Gründung des 11. Jahrhunderts. Das Straßendorf entwickelte sich parallel zum Liesingbach. Die 1217 gegründete Pfarre trug zur Entwicklung als zentraler Ort bei. Landwirtschaft und Mühlen sorgten für den Unterhalt der Bevölkerung. Die Grundherren gehörten dem Hochadel an, darunter die Familie Geyer von Osterburg. Sie machte Inzersdorf zu einem Zentrum des Protestantismus. Die katholische Kirche fiel 1817 einem Brand zum Opfer. Der Schlossherr Fürst Jakob a Sancto Mauro, Herzog von Corigliano-Saluzzo, ließ sie als Rotunde mit Altarapsis und Campanile nach dem Vorbild oberitalienischer Kirchen neu errichten. Zubauten (Säulenvorbau und Grabkapelle) gehen auf die Guts- und Ziegeleibesitzer Miesbach und Drasche zurück.

Ob der Name von Kalksburg - im 12. Jahrhundert "Chalbespergern" - von Kalk oder von Kalb abzuleiten ist, bleibt unentschieden. Am Durchbruch des Liesingbaches war der kleine Ort ungünstig gelegen und hatte im 16. Jahrhundert nur 38 Häuser. Im 17. Jahrhundert besaß der Jesuitenorden die Grundherrschaft, die nach dessen Auflösung der Hofjuwelier Franz von Mack erwarb. Er war der große Förderer des Ortes, unterstützte den Bau von Gasthaus und Schule, initiierte den Kirchenbau und errichtete in seinem Schlosspark einen Rundtempel als Freimaurer-Monument. Der für das Ortsbild charakteristische Schwibbogen, der die Breitenfurter Straße überspannt, geht auf Macks Sohn zurück. Im 19. Jahrhundert erhielt der pittoresk gelegene Ort als Ausflugsziel einige Bedeutung, wovon Ansichtskarten "Gruß aus Kalksburg" zeugen.

Liesing verdankt seinen Namen dem Bach, dessen Bezeichnung "Leznica" (Waldbach) auf slawische Bevölkerung, vor dem Jahr 800, schließen lässt. Weit zurückreichen dürfte auch die Gliederung der Siedlung in die beiden Teile - an der Liesingfurt und in der Gegend der heutigen Fröhlichgasse. Der Ort war für seine Landwirtschaft, besonders den Weinbau, bekannt. Die Liesinger Brauerei wurde 1828 gegründet und profitierte seit 1841 von der Südbahn. 1898 errichteten die Theaterarchitekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer die Brauhaus-Restauration mit ihrem charakteristischen Turm. 1973 wurde das letzte Bier in Liesing gebraut. Nach dem Abbruch der Industrieanlage entstanden auf dem zehn Hektar großen Areal ein Einkaufszentrum, 450 Wohnungen und öffentliche Einrichtungen.

Das Werden von Mauer - um 1200 erwähnt - hängt mit zwei Wasserläufen, Lindgrabenbach und Knotzenbach, zusammen. An der Wende zum 19. Jahrhundert war Mauer ein überaus beliebter Sommerfrischenort, der sich zum Villenviertel wohlhabender Wiener Bürger entwickelte. Wie bei jedem Kapitel hat der Autor eine Zeittafel der Epoche als selbstständige Gemeinde angefügt. Hier erfährt man u.a., dass ab 1883 die Dampftramway nach Mödling fuhr und 1919 das Filmatelier Rosenhügel an der Speisinger Straße eröffnet wurde.

Rodaun - um 1170 "Radune" genannt - dürfte wie Liesing schon vor 800 von slawischen Bewohnern besiedelt gewesen sein. Die Voraussetzungen für eine Ortsbildung waren hier durch den Verlauf der "Gebirgsrandstraße" besonders günstig. Ihre Bezeichnung Hochstraße könnte auf eine römerzeitliche Verbindung hinweisen. Auch Rodaun war eine beliebte Sommerfrische, die von der Südbahn profitierte. Das "Wirtshaus von Österreich" mit seinem Bad war geradezu ein "Treffpunkt der großen Welt". Um 1910 zählte Rodaun mehr Sommergäste als Einwohner.

"Noch bevor Österreich im Jahr 1156 zum Herzogtum erhoben wurde, ist um 1140/50 die älteste Nennung dieses Ortes unter der Bezeichnung 'Subinhirtin' nachzuweisen", schreibt Ferdinand Opll über Siebenhirten. Die ausgewählten Bilder zeigen u. a. die "Teufelsmühle am Wienerberg", die Kirche, eine Brauerei und den Aufmarsch eines Gesangsvereins.

Diesem Foto folgt das Kapitel "Vom 25. zum 23. Wiener Gemeindebezirk (1938-2013) mit einer Zeittafel. Im Zweiten Weltkrieg waren die hier befindlichen Industrieanlagen Ziel zahlreicher Bombenangriffe,an einem einzigen Tag fielen 90 Brandbomben auf Rodaun. In den Nachkriegsjahren setzte ein umfassendes Wohnbauprogramm im 23. Wiener Gemeindebezirk ein. Noch 2014 werden große Bauprojekte durchgeführt, wie auf dem Areal der ehemaligen Konservenfabrik oder an der Stadtgrenze das umstrittene Wohnhausprojekt "Waldmühle Rodaun" an Stelle des Zementwerks. Das letzte Kapitel hat der Autor "Der 23. Wiener Gemeindebezirk Liesing heute" übertitelt. Der Historiker wollte die chronologische Darstellung nicht abschließen, ohne auf die Gegenwart Bezug zu nehmen. Er tut dies in der bewährten Weise mit Text und Bild, wobei er die Farbfotos mit künstlerischem Kennerblick selbst angefertigt an. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis rundet den Band ab. Bezirksbewohner wird er motivieren, ihre Wohnumwelt neu zu entdecken und zu verstehen, und Nicht-Liesingern den Blick auf oft Unbekanntes öffnen.