Johannes Sachslehner: Auf Schienen durch das alte Österreich#
Johannes Sachslehner: Auf Schienen durch das alte Österreich. Erinnerungen an die k.u.k. Eisenbahnwelt. Verlag Styria Wien, Graz, Klagenfurt 2014. 240 S., ill., € 29,99
Kenntnisreich, mit einer Fülle an Details, doch immer das große Ganze im Blick, weckt der Historiker Johannes Sachslehner Erinnerungen an die k. u. k. Eisenbahnwelt. Als Germanist und Literaturwissenschaftler lässt er auch Schriftsteller zu Wort kommen, wie gleich zum Einstieg Robert Musil. Dieser sinnierte in den 1920er Jahren: "Und eines Tages ist das stürmische Bedürfnis da: Aussteigen! Abspringen! … Zurückkehren zu einem Punkt, der vor der falschen Abzweigung liegt!" Fast ein Jahrhundert später stellt Johannes Sachslehner fest: "Eisenbahnen und das alte Österreich bilden ein nostalgisches Ensemble, das noch immer eine wunderbare Sehnsucht evoziert, … anzukommen in jenem merkwürdigen Land unter dem Doppeladler."
In den Pioniertagen ging es um Kapital, Kalkül und Konzessionen. Die Eisenbahnaktionäre erhofften sich raschen Gewinn. Fortschrittliche Mitglieder der Biedermeier-Gesellschaft hegten freiheitlich-demokratische Hoffnungen. In schwärmerische Begeisterung mischten sich Unkenrufe. Bei Hof blieb man abwartend. 1829 stellte Franz Xaver Riepl, Professor des Polytechnischen Instituts, sein Konzept für den Bau einer Eisenbahn vom Ostrauer Kohlerevier bis Wien und Triest vor. Er fand Unterstützung von Bankier Salomon Rothschild, der im folgenden Jahr um ein Privilegium dafür ansuchte. Kaiser Franz I. lehnte ab. Sein Nachfolger, Kaiser Ferdinand, beschied 1836 positiv. Rasch wurde eine Aktiengesellschaft gegründet und der Bau eilig vorangetrieben. Nach acht Monaten war der erste Streckenabschnitt (Floridsdorf - Deutsch-Wagram, 13,1 km) fertig. Mit der ersten öffentlichen Probefahrt, die am 23. November 1837 in Anwesenheit der höchsten Herrschaften stattfand, begann die Epoche der dampfbetriebenen Eisenbahn in Österreich.
Rasch war vergessen, dass die Donaumonarchie über das längste zusammenhängende Eisenbahnnetz der Welt - etwa 200 km - verfügte. Auf der ersten "Ferneisenbahn" Budweis - Linz - Gmunden standen 800 Pferde, 762 Güter- und 59 Personenwagen im Einsatz. Die letzte Etappe der Pferdeeisenbahn wurde zwei Monate nach dem kaiserlichen Privilegium für die Dampfrösser eröffnet.
Vor dem Auge des Lesers eröffnet sich ein faszinierendes Panorama der Verkehrsgeschichte, unterstützt durch perfekte Bildauswahl und das Layout von Bruno Wegscheider. Zehn Stationen hat Johannes Sachslehner vorgesehen. Auf "Das Flügelrad der Freiheit" und "Der Bau der ersten Eisenbahnen" folgt "Der Schienenweg nach dem Süden". In Erzherzog Johann fand Franz Xaver Riepl einen einflussreichen Proponenten. Die Finanzierung der Südbahn übernahm Georg Simon Sina, ein Konkurrent Rothschilds. Schon zwei Jahre nach Baubeginn konnte das "Publicum" per Bahn von Wien nach Wiener Neustadt reisen. Die Eröffnung am 20. Juni 1841 wurde zum Volksfest, 10.000 Reiselustige hatten sich Karten besorgt, zehn geschmückte Dampflokomotiven waren im Einsatz. Es gab 49 Waggons in vier Klassen. Die größte Herausforderung stellte die Semmeringstrecke dar, die nach fünfjähriger Bauzeit 1853 nach Plänen von Carl Ritter von Ghega eröffnet wurde. 1857 erreichte der erste Schnellzug Triest. Mit der Südbahn kam die touristische Erschließung der Adria, Abbazia (Opatja) in Istrien wurden zum mondänen Seebad und führenden zentraleuropäischen Kurort.
Hatte man die ersten Dampfloks noch aus England importiert, so war Karl Gölsdorf der genialste und kreativste Lokomotivbauer des alten Österreich. Der Sohn eines Maschineninspektors der Südbahn entwickelte nach dem Abschluss der Technischen Universität 47 Lokomotivgattungen, vom Schnellzug bis zur Gebirgsbahn.
Peter Roseggers Erzählung "Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß", zählt zu seinen populärsten Texten. Weniger bekannt ist, dass der angehende Dichter als Handelsschüler 1867 per Bahn eine Rundreise durch Österreich unternahm und von der wunderbaren Ferienreise eine Skizze anfertigte. Weniger begeistert war zwei Jahrzehnte zuvor Josef von Eichendorff, der das - im Vergleich zur Postkutsche - enorme Tempo der Züge beklagte. Er kritisierte, die Welt bestehe eigentlich nur noch aus Bahnhöfen. Diesen ist ein weiteres Kapitel gewidmet, den Stationen in den Provinzen Kakaniens, die Rosegger als "beste(n) Freund, Handlanger und Beschützer" der Dörfer lobte, ebenso wie den Prunkbauten des romantischen Historismus. Ein Blick in die Kassenhalle des Nordbahnhofs macht verständlich, warum sie Karl Kraus "Dome des Industriezeitalters" nannte. Diw Wiener Bahnhöfe waren repräsentative Ausgangspunkte für "Lustfahrten, Eisenbahn-Ausflüge und Vergnügungszüge", wie der nächste Abschnitt überschrieben ist. Solche brachten die Reiselustigen auf den Semmering, in das Salzkammergut oder mit Sonntagszügen ins Waldviertel: Abfahrt 5 Uhr 20, Rückkehr 0 Uhr 50. Dazwischen standen der Besuch der Rosenburg, des Stiftes Altenburg und ausgedehnte Fußwanderungen auf dem Programm. Weiter entfernte, repräsentative Ziele waren - ab 1860 - Paris und zwei Jahre später London. Musikkapellen und Festredner begrüßten die Passagiere. In England hatte schon 1841 Thomas Cook begonnen, "excursion trains" zu organisieren. Er wurde damit zum ersten Reiseveranstalter, da er auch Gutscheine für Hotels und Schifffahrten anbot. 1867 führte die erste Tour durch Österreich. Im Jahr der Wiener Weltausstellung 1873 kam es zur Zusammenarbeit mit deren Veranstaltern. 1912 bot das Reisebüro in Kooperation mit der Canadan Pacific Railway zwischen Wien und Innsbruck Reisen in luxuriösen Panoramawaggons an, aus deren extrabreiten Festern man die Landschaft bewundern konnte.
Dem "k. u. k. Reiseluxus" und dem "Land der Luxuszüge" sind weitere Kapitel gewidmet. Schlafsalons, Salonwagen, Hotelzüge, der legendäre Orient-Express und die kaiserlichen Hofwaggons erstehen vor dem geistigen Auge. Die Lesereise führt weiter "Vom Arlberg zur Tauernbahn". 1884 durchfuhr der Hofzug mit Franz Joseph in 23 Minuten den Arlbergtunnel. Die Ingenieure und Bahngesellschaften ruhten nicht, weitere Alpenbahnen in Betrieb zu nehmen. 1905 konnte der Kaiser die Nordrampe der Gasteiner Bahn eröffnen. Der achtjährige Karl Heinrich Waggerl durfte ihm bei der Zeremonie ein Gedicht vortragen. Auch ein anderer Schriftsteller war dem Bahnbau in besonderer Weise verbunden. Heimito von Doderers Vater, Wilhelm, war Bauunternehmer, Architekt und Aktionär der Bahngesellschaften. Der Sohn, der als Kind die Bauarbeiten miterlebt hatte, nannte ihn den "Promethidensohn eines neuen österreichischen Zeitalters."
1914 verfügte die Donaumonarchie über ein Streckennetz von 46.000 km und lag damit (nach Deutschland und Russland) an dritter Stelle der Eisenbahnnationen Europas. Mit dem Zerfall des Habsburgerreiches 1918 "wurde ein historisch gewachsenes Verkehrsnetz zerschnitten, das zur festen Klammer der kaiserlich-königlichen Länder geworden war: Innerhalb der schwarz-gelben Grenzschranken hatte das k. u. k. Flügelrad Identität geschaffen, war mehr als nur Verkehrsmittel."