Wien Museum: WIG 64#
WIG 64.Die grüne Nachkriegsmoderne. Hg von Ulrike Krippner, Lilli Licka und Martina Nußbaumer. Zur Ausstellung im Wien Museum. Metroverlag Wien 2014. 160 S. ill., € 24,-
Die Stadt ist ständig in Veränderung, und die Ausstellungen im Wien Museum dokumentieren dies konsequent. Zum Selbstverständnis seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gehört es, so Direktor Wolfgang Kos im Vorwort, "konkrete Anlassfälle mit weiten zeitlichen Perspektiven zu verknüpfen." So beleuchten die Jubiläumsausstellung 50 Jahre nach der "WIG 64" und der dazu erschienene Begleitbuch-Katalog ausgiebig auch die "1964 weitgehend ausgeblendete Vorgeschichte … wie die Geschichte der Nachnutzungen" und geben kritischen Stimmen breiten Raum.
Bei den Wienerinnen und Wienern werden vermutlich die positiven Erinnerungen überwiegen, wenn sie die bunten Bilder der Internationalen Gartenschau betrachten: Donauturm, Sessellift, Ausstellungshallen, schier endlose Blumenbeete und Rasenflächen. Vor einem halben Jahrhundert zählte die "WIG 64" zu den wichtigsten Großereignissen der Nachkriegszeit. Ebenso lange bestimmte der 252 m hohe Donauturm die Skyline rund um den Donaupark und bot mit dem drehbaren Restaurant in 170 m den höchsten Aussichtspunkt Wiens. Erst 2014 läuft ihm der 270 m hohe DC-Tower mit der Aussichtsterrasse auf 207 m den Rang ab.
Das seinerzeit modernste Wiener Wahrzeichen war der bekannteste Superlativ unter vielen, an die das Buch erinnert: Auf einem Areal von 850.000 m² wurden unter anderem 1,200.000 Blumenzwiebeln, 700.000 Frühjahrsblüher 1,500.000 Sommerblumen und 70.000 Bäume gepflanzt, davon 2.000 große, alte von anderen Standorten. 29 Nationen beteiligten such an der Wiener Internationalen Gartenschau, die innerhalb eines halben Jahres mehr als zwei Millionen zahlende Besucher sahen. Sie nahmen viele Anregungen, die sie im eigenen Garten verwirklichten. Moderne Gestaltung lag im Zeitgeist, der knapp zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg vom Optimismus geprägt war. Freizeitgärten lösten die Schrebergärten zur Selbstversorgung ab, von denen Wien in den 1920er Jahren 55.000 zählte. Erwerbsgärtner und Baumschulen folgten dem aus Amerika kommenden Trend der Gartencenter mit Selbstbedienung. Hersteller von Camping- und Gartenmöbeln fanden neue Absatzmärkte. Die Hollywoodschaukel hielt Einzug in "das moderne Heim".
Das Buch zeichnet ein Zeitpanorama der beginnenden Wohlstandsjahre. Die Beiträge stammen von (Kunst-)historikern und Historikerinnen, Landschaftsplanern und Planerinnen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Dem Vorwort des Museumsdirektors Wolfgang Kos folgt eine Einführung der Herausgeberinnen zu vier Themenbereichen: Die WIG 64 als Motor der Stadtentwicklung; Ein Symbol für Fortschritt und Modernität; Zeit des Übergangs; Was bleibt? Annemarie Bucher gibt einen Überblick über Gartenschauen im 20. Jahrhundert, die sich als "wichtige Meilensteine in der Geschichte der Landschaftsarchitektur" erwiesen. Als Ausstellungskuratorin des Wien Museums untersucht Martina Nußbaumer die "Weltstadt im Grünen". Darin stellt sie die "WIG 64" in den größeren Kontext der Stadtplanung nach 1945. Im Sinne des "Sozialen Grün" entstanden zwischen 1950 und 1963 in Wien fast 150 neue Parks. Der Donaupark - bis zur "WIG 74" in Oberlaa - der größte der Stadt, wurde zu dessen "Visitenkarte". Ulrike Krippner referiert über das Areal des Donauparks vor 1964. Eine dieser Nutzungen war die wilde Siedlung Brettldorf. Martina Nußbaumer interviewte ehemalige Bewohner - darunter den Musiker Willi Resetarits. Ulrike Krippner beschreibt die Verwandlung der so genannten Glasscherbeninsel. Die erste Idee entstand ein Jahrzehnt vor der Eröffnung. Für die Umsetzung des Großprojekts blieben nur drei Jahre Zeit. Nicole Theresa Raab untersucht das durch geschickte Pressearbeit herorgerufene Medienecho. Es folgt eine Zusammenschau der Zahlen, Daten und Fakten, planenden und ausführenden Personen und Firmen, Ausstellungen - es waren 55 - und der Besucherstatistik. Andreas Nierhaus widmet sich (kritisch) dem Donauturm. Nicole Theresa Raab schreibt über "Blütenträume aus der Pflanzenfabrik". Eine der Attraktionen anno 1964 war ein gläsernes Turmgewächshaus, in dem die Pflanzen automatisch bewegt und bewässert wurden. Ebenso zukunftsträchtig wirkte damals die Hollywoodschaukel - heute wieder "retro". Lilly Licka beschreibt die Entwicklung des Donauparks seit 1964. Erst nach 50 Jahren ist der Park am Stadtrand "ausgewachsen", wie es das Konzept vorgesehen hatte. Statt der geplanten Erweiterung auf eine Million m² erfolgten schrittweise Reduktionen: Konferenzzentrum, Austria-Center, Donauuferautobahn, Hochwasserschutz und besonders die Donau City mit ihren Hochhäusern veränderten das ehemalige Ausstellungsgelände und seine Umgebung. Der Park erfuhr Sanierungsmaßnahmen und Umgestaltungen. Um den "Park der Zukunft" bzw. die Zukunft des Donauparks geht es auch im Interview von Lilli Licka mit den Landschaftsarchitekten Maria Auböck und Axel Lohrer. Auböck revitalisierte das Rosarium, Lohrer erarbeitete ein Konzept zur Sanierung und Adaptierung. Helmut Neundlinger beobachtete die gegenwärtige Nutzung, er zählt die Anlage zu den sportintensivsten Freizeitarealen Wiens. Schließlich gibt Klaus Pichler "eine Gebrauchsanweisung" für den Donaupark, die all die vielfältigen Elemente enthält, die man hier finden und nutzen kann. Einige hat der Autor in großformatigen Farbfotos festgehalten, wie die Hundewiese vor der Silhouette der UNO-City, Fußball spielende Kinder beim Papstkreuz, Liliputbahn und Pandabären, Denkmäler, Tischtennis, das kürzlich als "Korea-Kulturhaus" revitalisierte See-Restaurant oder das stimmungsvoll beleuchtete China-Restaurant Sichuan. Der eigentliche Ausstellungskatalog bildet den Abschluss des bunten Bandes, der Erinnerungen weckt und zum Nachdenken anregt.