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Hermann Bausinger: Ergebnisgesellschaft#

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Hermann Bausinger: Ergebnisgesellschaft. Facetten der Alltagskultur. Tübinger Vereinigung für Volkskunde 2015. 150 S., € 14,90

Hermann Bausinger gilt als einer der führenden Köpfe der deutschen Nachkriegs-Volkskunde. Mt seinem "Abschied vom Volksleben" leitete er die programmatische Wende von der alten "Volkskunde" zu einer empirischen Kulturwissenschaft ein. Sein 1961 erschienenes Standardwerk "Volkskultur in der technischen Welt" wurde in sieben Sprachen übersetzt - erst kürzlich in das Chinesische. 1960 bis 1992 leitete er das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen.

Im Jahr von Bausingers Emeritierung (1992) veröffentlichte der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze seine umfangreiche Studie "Die Erlebnisgesellschaft.". Mehr als zwei Jahrzehnte später analysiert Hermann Bausinger die Ergebnisgesellschaft. "Erlebnis" ist positiv konnotiert und populär. In der kommerziellen Werbung dient es "der Aufwertung bereitgestellter Angebote: Erlebnisreise, Erlebnisgastronomie, Erlebnisshopping etc." Der Kulturwissenschaftler stellt diese "Verbrämung von oft banalen Gegebenheiten" in Frage. Er beobachtet, dass eigentlich nicht erlebt, sondern immer mehr und in immer kürzeren Abständen lediglich abgehakt wird.

"Die Grundthese dieses Buches ist, dass dieses Verhalten auf viele Bereiche übergreift, dass also das quasi sinnlose Abrufen von Ergebnissen mit der gezielten Suche von Erlebnissen und mit dem Ziel sinnvoller Gestaltung der Lebensverhältnisse zumindest konkurriert; und in einigen Bereichen ist das bloße Abhaken, also die Ergebnisorientierung, so ausgeprägt, dass die Kategorie Erlebnis nicht mehr greift."

Hermann Bausinger, in einem früheren Buchtitel treffend als "Aufklärer des Alltags" bezeichnet, wird seinem legendären Ruf auch in seinem jüngsten Werk gerecht. Er beobachtet, beschreibt und analysiert die Buntheit des modernen Alltags in vielen Feldern. Die Kapitel tragen noch dazu doppelsinnige Titel, die zum Lesen verlocken und zur Reflexion anregen. "Tabellensport" handelt nicht nur von Höchstleistungen. Auch im Hobbysport, bis hin zum Besuch von Fitness-Studios, dienen Wettbewerb und registrierte Ergebnisse als Motivation zur Leistungssteigerung. "Erfolgskontrolle" zählt, außer im Sport, zu allen Bereichen der Leistungsgesellschaft - in der Ausbildung ebenso wie im Berufsleben. Dem in kritischer Betrachtung der Medienwelt häufig gebrauchten Schlagwort der Reizüberflutung stellt der Kulturwissenschaftler den Begriff "Infostückwerk" gegenüber. Zapp-Mentalität, Infotainment und Blogger-Aktivitäten fallen in dieses Kapitel, doch distanziert sich der Autor von der Medienbeschimpfung.

Differenziert betrachtet er die "Kontaktdichte" - in der Gegenüberstellung des Gesprächs in der warmen Stube, des Telefonats und der Internet-Kommunikation. "Einheitsklatsch" beginnt mit einem Rückblick auf den "nicht gerade schützenswerten Volksbrauch der üblen Nachrede". Das Reden über nicht anwesende Dritte war ein wirksames Mittel der sozialen Kontrolle, Gerüchte konnten ebenso stigmatisierend wirken wie Gerichtsurteile. Die Voraussetzungen dafür sind so nicht mehr gegeben, aber das Phänomen hat im Mobbing neue Aktualität erfahren. Klatsch- und Tratschspalten haben seit Jahrzehnten ihre Attraktivität behalten.

Auch über die "Kauflust" wird darin gerne berichtet. Kulturwissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass die Menschen in der alten agrarischen Gesellschaft mit wenig mehr als 100 Gegenständen auskamen. An ihre Stelle ist "die extensive Inflation der Dinge und damit eine Banalisierung der Dingwelt getreten." Einen genaueren Blick wirft der Autor auf den Kauf von Kleidung "Kleiderwahl" Mode und historische Kleiderordnungen. Das Kapitel "Kontostand" analysiert die Philosophie des Geldes. "Rennkost" beschäftigt sich mit Ernährungsverhalten, wie festlichen Mahlzeiten, Coffee to go oder Tempodiät. "Krankheitsgewinn" diagnostiziert die "hektische Suche nach Ergebnissen", wie sie beim Self-Tracking eine Rolle spielen, wenn man versucht, selbst und ständig mit teuren Geräten die Körperfunktionen zu messen. "Nummernerotik" zeigt den Kontrast zu jener bäuerlichen Gesellschaft, in der Hochzeit und Ehe zentrale Themen im Leben der Einzelnen wiein der Dorfgemeinschaft darstellten.

"Reise-Etappen" ' behandelt Erlebnisse und Ergebnisse des (Massen-)Tourismus. "Ergebnisse mitnehmen" motiviert zum Souvenir-Kauf. Selten werden aber solche Reise-Ergebnisse, selbst wenn man sie abgehakt hat, einfach entsorgt, "meist werden sie Teil einer Sammlung…" Welchen Gesetzmäßigkeiten eine solche unterliegt, schildert der Abschnitt "Sammelwut" . Beim Sammeln denkt man an Museen, und von diesen ist der Weg zum "Brauchtumsgalopp" nicht weit. Inszenierungen der Vorweihnachtszeit, Jubiläen, Faschingsumzüge und Events aller Art passen nicht nur gut in die Erlebnis, sondern auch in die Ergebnisgesellschaft: "An ihrer Zahl und Dichte berauschen sich die aktiv Beteiligten oft mehr als am symbolischen Gehalt, und auch die Zuschauerinnen und Zuschauer messen daran den Erfolg."

"Spielglück" und "Quiztreppe" nennt der Kulturwissenschaftler die nächsten Kapitel, ehe er zum "Ergebnis" seiner Theorie kommt. Hermann Bausinger beschreibt die Erlebnisorientierung als Tendenz, die sich zwar bei Sozial- oder Altersschichten unterschiedlich zeigt, aber als Muster unsere Gesellschaft prägt. Er unterscheidet drei Arten der Erlebnisorientierung: Den schnellen Umgang mit Ergebnissen, der nicht nur durch Rahmenbedingungen erzwungen, sondern angestrebt wird und positiv auf die entsprechende Kapazität verweist; das fragwürdige, aber unvermeidliche rasche Fortschreiten von Ergebnis zu Ergebnis - zum Beispiel bei Besichtigungstouren -; Konstellationen, in denen der rasche und meist unreflektierte Zugriff auf Ergebnisse nicht durch äußere Zwänge provoziert, aber in größerem Umfang praktiziert wird - zum Beispiel im Sport. Mit Weisheit schließt der Universitätsprofessor, Jahrgang 1926, seine Überlegungen: "Es geht um die Bescheidung, um die Reduktion von Wünschen und die Anerkennung von Einschränkungen in vielen Bereichen. … um den souveränen und gelassenen Umgang mit der Vielzahl angebotener Möglichkeiten, was allerdings den möglichen Verzicht einschließt."