Herbert Biedermann: Döbling#
Herbert Biedermann: Döbling. Handwerk, Handel und Gewerbe in historischen Fotografien.. Sutton-Verlag Erfurt 2015. 128 S., 160 Abb., € 19,99
Der 19. Wiener Gemeindebezirk, Döbling, ist als Nobelbezirk bekannt. Auf halben Weg in die Innere Stadt und den Wienerwald waren seine ländlich geprägten Vororte beliebte Ausflugsziele. Wohlhabende bevorzugten in der Biedermeierzeit die Gegend als Sommersitz, auch nach der Eingemeindung, 1892, entstanden Villen, unter anderem im Cottageviertel. Weit weniger als an die Heurigen und Einkehrlokale denkt man an Handwerk, Handel und Gewerbe im 19. Bezirk. Diesem Thema widmet sich der Bildband von Herbert Biedermann, als Mitarbeiter des Bezirksmuseums ein kompetenter Autor mit Zugriff auf interessantes Bildmaterial.
In der Einleitung stellt der Verfasser den Kontext zwischen der lokalen Wirtschaftsgeschichte und der allgemeinen Stadtentwicklung her: Mit dem Zusammenschluss von Oberdöbling, Unterdöbling, Grinzing, Obersievering, Untersievering, Nussdorf, Heiligenstadt, Kahlenbergerdorf und Josefsdorf zum 19. Wiener Gemeindebezirk (Neustift und Salmannsdorf kamen 1938 dazu) lösten sich die dörflichen Strukturen der Katastralgemeinden auf. 1891 bis 1910 stieg die Bevölkerungszahl um 60 Prozent. Industriebetriebe siedelten sich an, die Verkehrsverbindungen auf der Donau und mit der Franz-Josefs-Bahn kamen den Fabriken zu Gute. Manche dieser Gebäude sind erhalten geblieben, wie die im maurischen Stil errichtete Zacherlfabrik in der Nusswaldgasse, die von den 1870er Jahren bis 1958 Mottenpulver produzierte. Eindrucksvoll zeigt eine Flugaufnahme die einstige Ausdehnung der Nussdorfer Brauerei mit dem Bockkeller. In ihren besten Zeiten erzeugte sie mit 300 Mitarbeitern jährlich 200.000 Hektoliter Bier. Der Betrieb bestand bis 1961. Die Samum-Fabrik, die in Heiligenstadt seit 1909 Zigarettenpapapier herstellte, ist als Einkaufsquartier zum neuen wirtschaftlichen Zentrum Döbings geworden. Die Automobilfabrik Gräf & Stift in der Weinberggasse musste einer Wohnhausanlage Platz machen, die nach den ehemaligem Betriebsratsobmann und Bezirksvorsteher, Franz Weber benannt ist. Andere Firmen leben in Straßenbezeichnungen weiter, wie Sickenberggasse oder Hackhofergasse, beide aus der Chemiebranche.
Weniger markant, dafür umso nostalgischer zeigen die historischen Fotos kleinere Handwerks- und Handelsunternehmen. Der Schuhmacher Kaspar Knapp nannte seine Werkstatt in der Hutweidengasse wohl nicht ohne Stolz "Stiefelburg". Der Drechsler Josef Meidl fertigte Regenschirme und Skier an. Der Schneider Ludwig Singer ließ an seinem Lokal in der Billrothstraße mehrsprachige Geschäftsschilder anbringen: "Elegante Herrengarderobe nach Mass", "Tailor" und "Tailleur" war darauf zu lesen. Der Meister und seine Schneider stellten sich davor dem Fotografen. Diesen Brauch pflegten auch andere Geschäftsleute.
Fuhrwerker, Automechaniker, Pflasterer, Friseur, Tischler, Trafikant, Greißler oder Schnapsbrenner gruppierten sich vor ihren Läden - woraus sich einiges schließen lässt, etwa die Rangordnung in einem Fuhrwerksbetrieb, von den Lehrlingen mit der Kappe, über die Arbeiter - mit Fürta und Bierkrug - bis zu den Kutschern im dunklen Anzug mit Krawatte, Melone und Uhrkette. Eher bescheiden wirkt die Familie von Franz Hriczinko, der von 1910 bis in die 1940er Jahre in einem der ältesten Häuser der Kahlenberger Straße sein Gewerbe als Raseur und Friseur ausübte. Winzig waren die Kioske oder Verkaufsstände bei Bahnstationen. Zwischen Eisenbahndamm und Donaukanalbrücke stand am Ende der Sickenberggasse eine Hütte für den Verkauf von Gemischtwaren. Zahlreiche Personen, darunter Kinder, Damen mit Hut, ein Uniformierter und ein Fuhrwerker mit seinem Pferdewagen stehen davor. Das Foto aus der Zeit um 1905 trägt die Beschriftung "Unser Geschäft". Noch bescheidener war ein temporarer Stand auf der Rampe zur Schemerlbrücke, wo ein altes Ehepaar Erfrischungen anbot.
Traditionell gab es im Stadtrandbezirk Döbling auch Heurige und andere mit der Natur verbundene Firmen, wie Gärtnereien, einen Geflügelhof oder Milchmeier. Das letzte Kapitel, "verschiedene Branchen" zeigt eine bunte Vielfalt, die weit über das hinaus geht, woran man üblicherweise bei diesem Thema denkt. Zu den vor 100 Jahren neuen Branchen zählten Kinos, von denen es in Döbling eine ganze Reihe gab. Das Roxy-Kino, Ecke Hardtgasse und Billrothstraße, war mit 539 Sitzen das zweitgrößte des Bezirks. Das Ideal-Kino in der Döblinger Hauptstraße verfügte über mehr als 300 Plätze. Sportvereine wie der "Cottage Eislauf-Verein" oder der zum Wirtschaftsfaktor gewordene Fußballclub "Vienna" dienten der Geselligkeit und Fitness, während sich die "Bade- und Wasserheilanstalt" der Gesundheitspflege verschrieben hatte. An ihrem Standort in der Döblinger Hauptstraße soll eine heilkräftige Quelle entsprungen sein. Das 1923 eröffnete Krapfenwaldlbad war eines der beliebtesten Sommerbäder Wiens. Auch der durch die Zahnradbahn erschlossene Kahlenberg mit der 22 m hohen Stephaniewarte bei der Endstation, Autorennen auf der Höhenstraße und die zahlreichen Heurigen mit Attraktionen wie Musikanten oder Bauchredner, fanden ein begeistertes Publikum. Interessant - und fast vergessen - sind die hier reproduzierten Neujahrs-Glückwunschkarten von Laternanzündern, Vereinsdienern, Straßenkehrern und Kanalräumern. Diese bestätigten den Trinkgelderhalt mit einem "Coupon", auf dem zu lesen war: "Schwer ist uns're Arbeit, / Und die Umgebung trüb, / Doch nehmen wir zu jeder Tageszeit / Das kleinste Geschenk fürlieb."
Ein gar nicht kleines Geschenk haben Herbert Biedermann und der Sutton Verlag - dessen Österreich-Repäsentanz sich auch in Döbling befindet - ihren LeserInnen mit diesem Buch gemacht. Es weckt Erinnerungen und Entdeckerfreude. Dafür sei Dank gesagt !