Das Josephinum#
Barbara Sternthal, Christiane Druml und Moritz Stipsicz (Hg.): Das Josephinum. Mythos und Wahrheit. 650 Jahre Wiener Medizingeschichte. Verlag Christian Brandstätter Wien 2015. 112 S., ill. € 12,90
2014/15 gilt es einige Jubiläen zu feiern: 650 Jahre Universität Wien, 230 Jahre AKH und Josephinum, 10 Jahre Medizinische Universität Wien. Wien hat in der Entwicklung der modernen Medizin richtungweisende Bedeutung. Maria Theresia berief den niederländischen Mediziner Gerard van Swieten, um das staatliche Gesundheitswesen zu reformieren. Zur Ersten Wiener Medizinischen Schule zählten Kapazitäten, wie Anton de Haen, Maximilian Stoll, Lorenz Gasser, Anton von Störck und Leopold von Auenbrugger. Im 19. Jahrhundert setzte die Zweite Wiener Medizinische Schule die Weltgeltung fort.
Grundlegend war die Umgestaltung des 1795 eröffneten "Großarmen- und Invalidenhauses" zum Allgemeinen Krankenhaus, dem damals modernsten und größten Spital Europas. Sie ist untrennbar mit der Person Kaiser Joseph II. verbunden. Ganz den Ideen der Aufklärung verpflichtet, sah er sich als erster Diener seines Volkes, das er glücklich und zufrieden sehen wollte. 15 Jahre lang war er Mitregent seiner Mutter Maria Theresia, in nur einem Jahrzehnt als Alleinherrscher bewerkstelligte er sein umfangreiches, menschenfreundliches Reformwerk, nach den Impulsen seines Beraters Joseph von Sonnenfels. Dazu zählten neben Kirchenreformen und Toleranzpatenten die Aufhebung der bäuerlichen Leibeigenschaft, die Abschaffung von Folter und Todesstrafe. Oft standen den Neuerungen traditionelle Machtstrukturen entgegen, vom Volk wurden sie nicht verstanden.
Von besonderer Bedeutung erwies sich der systematische Aufbau des Wohlfahrts- und Sanitätswesens. "Er betrachtete eine vernünftige Gesundheitsversorgung als Recht jedes Staatsbürgers und forderte für alle, die sich keinen Arzt leisten konnten, 'allgemeine Krankenhäuser' mit kostenloser medizinischer Betreuung, die nicht nur Stätten der Heilung, sondern auch der medizinischen Ausbildung und Forschung sein sollten." In den 1780er Jahren wurde zugleich am Allgemeinen Krankenhaus, dem runden Narrenturm - der weltweit ersten psychiatrischen Klinik - und dem Josephinum gebaut.
Da dem Kaiser das Militärwesen ein großes Anliegen bedeutete, war ihm auch die Ausbildung der Militärärzte wichtig. Gut beraten vom Protochirurgen Giovanni Brambilla, dem Zuständigen für das gesamte Feldwesen, gründete er 1784 die k. k. medizinisch-chirurgische Josephs-Academie (Wien 9, Währinger Straße 25). Jeder talentierte Mann konnte dort studieren, jährlich waren es rund 300, davon 10 Prozent Stipendiaten. Der Lehrplan war anspruchsvoll und praxisbezogen. Das Studium dauerte zwei Jahre plus vier Jahre Spitalspraxis und schloss nach zwei Prüfungen mit dem Grad des Magisters der Chirurgie. Nach weiteren zwei Jahren und einer dritten Prüfung durfte man als Chirurg oder Internist praktizieren.
Der sonst so sparsame Kaiser ließ das Josephinum - nach Plänen des Hofarchitekten Isidor Canevale - mit einem anschließenden Garnisonspital errichten. Mit einem Ehrenhof ähnelt die dreiflügelige Anlage mehr einem eleganten Stadtschloss als einer Ausbildungsanstalt. Konsequent wandte Isidor Canevale die Regeln des Goldenen Schnitts an: Alle Proportionen entsprechen dessen Verhältnis 5:3. "Das Josephinum ist einer der attraktivsten Zweckbauten und zählt zu den bedeutendsten Beispielen klassizistischer Architektur der Stadt … Der zentrale Hörsaal, eine umfassende Bibliothek samt Lesesaal, die Sammlungsräume und ein großzügiges Treppenhaus … wurden in Form hoher, hellerund luftiger Räume verwirklicht, die der Gesundheit und dem Wohlbefinden sowohl der Lehrenden als auch der Lernenden zuträglich sein sollten."
So beschreiben die Verfasser das Josephinum. Sie würdigen auch ausführlich dessen Lehrbehelfe. Der Kaiser und sein Protochirurg bestellten beim berühmten Museum La Specola in Florenz rund 1200 anatomische Wachspräparate, darunter 16 überlebensgroße Ganzkörpermodelle und 102 geburtshilfliche Modelle. Die Sammlung, die größte ihrer Art, entbehrt nicht der adäquaten Präsentation: Vitrinen aus Palisander- und Rosenholz, mundgeblasenem Glas und seidenen Polstern mit goldenen Fransen. Ein Maultierkonvoi brachte die kostbare Fracht von Florenz über Bologna und Verona über den Brennerpass nach Linz, von dort kam sie per Schiff nach Wien.
Von Anfang an durfte auch die interessierte Öffentlichkeit die Sammlung besuchen. Darüber hinaus bewahrt das Medizinhistorische Institut im Josephinum international bedeutsame Schätze der Fachgeschichte. Zu den 2500 Objekten aus der Chirurgie zählen die 500 des von Giovanni Brambillla in den 1770er Jahren entwickelten "Instrumentarium Chirurgicum Viennense". Die Bibliothek enthält 7500 Schriften, das älteste Buch stammt aus dem Jahr 1478, historische Dissertationen und Autographen.
Die Geschichte des medizinhistorischen Instituts reicht bis in die napoleonische Zeit zurück. 1808 hielt der Schweizer Heinrich Ludwig Attenhofer die ersten Vorlesungen. Eine Lehrkanzel etablierte der Arzt und Orientalist Romeo Seligmann 1833, dem 1879 Theodor Puschmann und 1899 Max Neuburger folgten. Dieser regte 1914 die Gründung eines eigenen Instituts für Geschichte der Medizin innerhalb der Medizinischen Fakultät an. 1945 übernahm der Direktor des Allgemeinen Krankenhauses, Leopold Schönbauer, die Leitung. Dozentin Marlene Jantsch nahm dem viel beschäftigten Institutsvorstand eine Reihe von Agenden ab. 1960 bis 1979 verlieh Erna Lessky als Leiterin dem Institut eine neue Struktur, ließ Gebäude und Sammlung restaurieren und die Bestände inventarisieren.
Das alles (und noch mehr) stellen Barbara Sternthal, Christiane Druml und Moritz Stipsicz in dem Buch vor. Das Grafikteam, Cora Akdogan und das Büro für Gestaltung, Daniel Perraudin, waren bestrebt, die ernste Materie mit 120 Bildern und einem unkonventionellen Layout aufzulockern. Das Buch vermittelt Zusammenhänge, anstatt das Gruselig-Skurille zu betonen. Es lässt die Bedeutung des Kaisers ahnen, der im Lesesaal unter seine Büste schreiben ließ: "Joseph der Zweite, hier der Erste."