Danielle Spera (Hg.): Lessing zeigt Lessing#
Lessing zeigt Lessing / Lessing presents Lessing. Ausstellung im Jüdischen Museum Wien von 29. April bis 8. September 2015. Residenz Verlag Salzburg 2015. 144 S. ill., € 29,90
Dieses "Familienalbum" ist einmalig. Die Tochter Hannah Lessing hat aus dem Werk ihres Vaters Fotos für das Buch und die Ausstellung ausgewählt. Erich Lessing, "der fotografische Chronist der Nachkriegszeit … hat das Zeitgeschehen auf seine einmalige Art für immer festgehalten," schreibt die Herausgeberin Danielle Spera im Vorwort: "Sein legendäres Foto anlässlich des österreichischen Staatsvertrages mit Leopold Figl und den alliierten Außenministern auf dem Balkon des Belvedere wurde zu einer Ikone des neuen Österreich, für dessen demokratischen Wiederaufbau er sich mit aller Kraft einsetzte."
Zwischen den großartigen Aufnahmen finden sich auch Familienbilder, wie Erich Lessing als Bub mit seinen Eltern, 1927, in den 1960er Jahren mit seiner Frau, der Time-Magazin-Journalistin Traudl Lessing und den Attributen Kamera und Schreibmaschine, ein Jahrzehnt später mit ihren Kindern, 2001 Vater Erich und Tochter Hannah.Heute zeichnet sie verantwortlich für die administrative und organisatorische Leitung von drei Fonds, die der Aufarbeitung und Restitution im Zuammenhang mit der NS-Zeit in Österreich gewidmet sind.
Direktorin Danielle Spera hatte Hannah Lessing eingeladen, für eine Ausstellung im Jüdischen Museum eine ganz persönliche Auswahl aus den 40.000 Bildern zu treffen, die Erich Lessing im Lauf von sieben Jahrzehnten geschaffen hat. Die Tochter war begeistert und der Vater einverstanden, dass er dabei kein Mitspracherecht hatte: "Zu meinem Erstaunen hat mein Vater diese Einschränkung nonchalant mit einem Schmunzeln hingenommen."
Der Band erzählt viel über die Weltgeschichte und die Familie Lessing. "Erich Lessing erlebte als jüdische Wiener Kind die Verfolgung und Deportation seiner Familie aus ihrer Heimatstadt. … ihm selbst gelang die Flucht nach Palästina … Er begann als Fotograf zu arbeiten und wurde nach seiner Rückkehr nach Österreich 1945 Fotoreporter bei Associated Press, Mitglied bei Magnum Photos und 1956 zum fotografischen Berichterstatter des ungarischen Volksaufstandes. Seine Bilder der israelischen Landschaft, die er über viele Jahre hinweg dokumentierte, versetzen den Betrachter in biblische Szenerien," schreibt Danielle Spera, die auch Interviews mit dem Fotokünstler für den Band beigesteuert hat.
Hannah Lessing hat die "Bilder eines Reisenden" in sieben Kapiteln angeordnet. Sie beginnt mit "Nachkriegszeit", die so unterschiedliche Motive vereint, wie eine Bar-Mizwa-Feier in Krakau, ein Wiener Brautpaar im Fiaker vor dem Fotografen-Atelier oder die jubelnde Menge vor Schloss Belvedere. "Weltpolitik" zeigt Poliker wie Tito, Chruschtschow, De Gaulle, Kreisky oder Golda Meir. Die heiteren Seiten des Lebens illustriert "Beauty Queens", mit der ersten Wahl einer Schönheitskönigin im kommunistischen Polen oder Standleben in Cesenatico. Auch die Berliner Stripteasetänzerin, die sich auf eine ruhige Nacht vorbereitet - und das Covergirl des Katalogs abgibt - findet sich hier. "Am Set" erlaubt den Blick hinter die Kulissen des Spielfilms Moby Dick. Meditative "Biblische Landschaften aus den 1970er Jahren" sind als einzige in Farbe gestaltet. Danach gereiht wurde "Ungarn 1956", wenn dies auch nicht der Chronologie entspricht. Denn seit den 1960er Jahren widmete sich Erich Lessing immer mehr der Kunst und Geschichte. So fotografierte er fast den gesamten Bestand des Pariser Louvre, besuchte historische und archäologische Stätten. Er hat mehr als 60 eigene Kunstbücher publiziert, wie "Die Odyssee" oder "Imago Austriae".
Perfekt abgestimmt und einander ergänzend sind die überwiegend schwarz-weißen Meisterfotos mit klugen, präzisen Beschriftungen, und die Textbeiträge in deutsch und englisch. Sie stammen, außer von der Herausgeberin und der Kuratorin von einem Schriftsteller, zwei Fotografen und einer Kunsthistorikerin. Michael Köhlmeier schrieb für das Buch das berührende "Märchen von Ripp vom Winkel". Peter Rigaud charakterisierte seinen Mentor Erich Lessing durch dessen Hang zur "Untertreibung". Er kenne "kaum einen anderen Fotografen der so genau um die Gesetzmäßigkeiten von Bildaufbau, Bildkomposition und um die schlichte Notwendigkeitvon harter Arbeit weiß". Matthias Cremer lernte den Meister an der "Angewandten" als unerbittlichen, doch herzlichen Kritiker kennen. Wohl auch deshalb wurde er selbst ein mehrfach ausgezeichneter Pressefotograf. Margarete Szeless stellte Lessing als Mitglied der renommierten internationalen Fotoagentur Magnum vor. Für diese schuf er weltberühmt gewordene Bilder und Serien, wie 1956 über den ungarischen Ministerpräsidenten Imre Nagy. In einer Aufnahme des Wiener Westbahnhofes aus dem selben Jahr "verdichtet sich die Atmosphäre der Nachkriegszeit zum Symbolbild."
"Inspiration - das sind die Bilder von Erich Lessing heute für mich", resümiert seine Tochter, der die Ausstellung "viele, teils vergessen geglaubte Momente zurückbringt. Die Bilder jeder der Schaffensphasen meines Vaters haben für mich Türen zu weiteren Räumen im Haus meiner Erinnerungen geöffnet - und ich möchte keine einzige dieser Erinnerungen missen."