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Johannes Sachslehner: Alle, alle will ich#

Bild 'Schnitzler'

Johannes Sachslehner: Alle, alle will ich. Arthur Schnitzler und seine süßen Wiener Mädel Verlag Styria Wien 2015. 240 S., ill., € 26,90

Normalerweise beschäftigt sich der Historiker Johannes Sachslehner mit ernsten Themen der Geschichte: Zu seinem reichen Schaffen zählen Bücher über Zeitgeschichte, umstrittene Wiener Straßennamen, Schicksalsorte und Schicksalstage Österreichs. Seiner bewährten wissenschaftlichen Seriosität bleibt der Verfasser auch bei diesem Titel treu, andere hätten das Thema sensationell behandelt. Johannes Sachslehner rückt in seiner detaillierten biografischen Studie das Schicksal der von Schnitzler "besessenen" Frauen in den Mittelpunkt. Dabei offenbart sich hinter der sanften literarischen Verklärung eine erschreckende Realität.

Arthur Schnitzler (1862 - 1931) war Arzt (Laryngologe), Schriftsteller - er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne - Spieler und praktischer Polygamist. "Das Liebste wäre mir ein Harem" , schrieb er, "Es ist zu bezweifeln, dass ich zur Ehe geboren" . Dieses Buch erhellt die dunklen Seiten der sonst hoch geschätzten Persönlichkeit. Johannes Sachslehner hat eingehend recherchiert, die Literaturangaben füllen einige Seiten. Eine Hauptquelle sind Schnitzlers Tagebücher, die er seit seinem 17. Lebensjahr führte und die in zehn Bänden veröffentlicht wurden. So vermerkte er am 19. März 1896: „Alle, alle will ich“ und verzeichnet penibel die Zahl der Liebesakte mit den einzelnen Freundinnen, hunderte pro Person in kurzer Zeit. Im Nachlass existiert sogar eine Liste aller in den Diarien erwähnten Frauen. Bei der Anbahnung nützte er seinen Status als Mediziner schamlos aus. Viele Liebeleien nahmen in der Ordination ihren Anfang. Dort begann es "mit einem harmlosen Kuss … und setzt sich fort mit gemeinsamen Spaziergängen und Ausflügen oder einem Theaterbesuch, es folgt eine Einladung zum exquisiten Souper mit Champagner im Chambre separée des Riedhofs und endet mit glühenden Zärtlichkeiten in einem Hotelzimmer." Das Buch greift "aus dem Reigen erotischer Abenteuer" rund 30 heraus.

„Toni, Fifi, Minni, Jenny, Dilly, Mizi I und Mizi II, Poldi – schon im zärtlichen Diminutiv liegt eine ganze Welt“. Arthur Schnitzler schätzte die jungen Frauen aus der Vorstadt, auch aus der "Demimonde", und konnte nicht genug bekommen. Hinter der Fassade des perfekten Liebhabers waren die "Geschöpfe" oder "Wesen", wie er sie despektierlich nannte, nur naiv-erotische Spiel- und Lustobjekte, austauschbar, gleichzeitig aber eifersüchtig gehütet. Während der Herr Doktor mehrere Amouren gleichzeitig hatte, erging er sich in wilden Beschimpfungen und sadistischer Aggression wegen derer (vermeintlicher) Untreue.

Aus der Sicht der Frauen "müsste man einfach sagen: Schnitzler betrügt und belügt sie und verlässt sie am Ende doch, " schreibt Sachslehner. "Notorische Untreue ist dem Lebenskonzept Schnitzlers immanent … Es sind die Regeln des gesellschaftlich überlegenen Mannes, des Bonvivants und Ästheten, denen sich seine Geliebten unterwerfen müssen."

In einem einleitenden Kapitel geht er auf Parallelen in der Biographie und in den Werken Schnitzlers ein. Dieser ließ in der Autobiographie "Jugend in Wien" keine seiner Amouren unerwähnt. In der Erzählung "Frau Berta Garlan" wird der männliche Protagonist zu seinem Alter Ego. Ebenso im Theaterstück "Das Märchen", fertig gestellt 1891. Es spiegelt sein jahrelanges, "seltsames, sadistisches Spiel" mit der Schauspielerin Marie Glümer. Das heute weitgehend vergessene Werk stellt einen Schlüssel zur Persönlichkeit seines Verfassers und dessen Wahnvorstellungen zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit dar. Johannes Sachslehner stellt fest: "Wer sich nicht die Mühe macht, das biographische Umfeld eingehend zu studieren, wird Schnitzlers Werke nicht wirklich verstehen und nicht authentisch zu deuten wissen." Man bewegt sich "in der letztlich Frauen verachtenden Welt des Fin de Siècle, einer Welt des Scheins und der Lüge."