Reinhard Kriechbaum - Erika Scherer: Salzburger Brauch#
Reinhard Kriechbaum - Erika Scherer: Salzburger Brauch, Rupertus Verlag Salzburg 2016, 344 S., ill., € 35,20
Es scheint noch gar nicht so lange her, dass der Salzburger Volkskundler und Kulturredakteur Reinhard Kriechbaum seine Trilogie "Bräuche in Österreich" veröffentlicht hat. Aber das Zeitgefühl trügt - seit dem Erscheinen des ersten Bandes sind sechs Jahre vergangen. Dasselbe Phänomen zeigt sich auch bei Bräuchen. Manches wirkt neu und ist doch schon seit Jahrzehnten in Gebrauch, anderes scheint viel älter als es ist.
Das vorliegende Buch und die Trilogie unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht. Diesmal geht es schwerpunktmäßig um das Bundesland Salzburg, damals war ganz Österreich Thema. Im neuen Großformat dominieren die Bilder. 580 aktuelle und historische Fotos erweisen sich als aussagekräftige Dokumente. Dabei ist es alles andere als leicht, Bräuche zu fotografieren. Die Texte konzentrieren sich auf das Wesentliche, sie enthalten Interviewpassagen und Zitate. Der Autor bezieht die Vergangenheit ein, erzählt aber vorwiegend von dem, was er miterlebt oder erfahren hat. Im Allgemeinen verzichtet der studierte Ethnologe wohltuend auf Wertungen und Deutungen. Nur ganz selten schleicht sich ein "leider" ein oder fehlt eine Distanzierung von überholten Meinungen, wie sie Ausübende gern vertreten. Es wäre nahe liegend gewesen, auf vorhandene "Stehsätze" zurückzugreifen, doch ist hier, trotz des gleichen Themas, ein völlig neues Werk erschienen.
Die ersten 70 Seiten widmen sich den Wochen zwischen Advent und Neujahr. Bräuche wie die Aufführungen des Adventsingens - die der Mozartstadt jährlich 50.000 Touristen bescheren -, " 's wilde Gjoad vom Untersberg" oder "Stille Nacht" sind untrennbar mit Salzburg verbunden. Doch auch allgemein Übliches, wie Nikolaus und Weihnachtsmann, Christbaum oder Sternsinger dürfen nicht fehlen.
"Perchten sind nicht gleich Perchten" ist der zweite Abschnitt übertitelt. Da begegnet man den einzigartigen Rauriser Schnabelperchten, den Glöcklern, einem Import aus Ebensee, den eigenwilligen Tresterern oder den berühmten Gasteiner Schönperchten, die eigentlich schon zum Fasching gehören. Dieser wird danach behandelt und die Frage beantwortet: "Schon ab 11.11. oder ab Dreikönig?" Die Salzburger Faschingsgilde, 1948 der älteste österreichische Verein seiner Art, beginnt am 11.11. mit den Vorbereitungen und feiert ab 7. Jänner.
Beim Osterfestkreis mit der vorhergehenden Fastenzeit (und auch sonst mehrmals) erinnert man sich des legendären Pfarrers von Thomathal, Valentin Pfeifenberger (1914-2004). Der "Lungauer Bischof mit dem grauen Rauschebart" ritt am Palmsonntag im Messgewand auf einem Esel. Ölbergsingen, Ratschen und Heilige Gräber mögen allgemein bekannt sein. Was aber ist "Grawirlach"? So nennen die Lungauerinnen den Kerbel, dessen gefiederte Blätter sie zum Verzieren der Ostereier brauchen. Die Grawirlacheier finden sich dann im Weihekorb zur Speisensegnung. Immer wieder schlägt der Kulturjournalist von alten Festen die Brücke zum Alltag der Gegenwart, wenn er etwa berichtet, dass 1.400 Salzburger Betriebe mit knapp 29.000 Schafen 75 % des Bedarfs an Osterlämmern decken.
Das "Frühlingserwachen" ist u. a die Zeit der Maibäume, Prangstangen und Samson-Umzüge. Sommerbräuche wie die Aberseer Sonnwendschützen-Feste, Kräutersegnung, Piratenschlacht und Wallfahren brauchen schönes, warmes Wetter. In den Herbst fallen Kirtage, Erntedank, Almabtrieb und Martini, ehe der Kathreintanz den Übergang zum Advent markiert.
Das bemerkenswerte Buch beschränkt sich nicht auf den Jahreslauf. Es beleuchtet auch den Lebenskreis, dazu zählen die modernen Liebesschlösser ebenso, wie die traditionellen Hochzeitslader. Diese "Wedding planner im Trachtenanzug" sind seit den 1970er Jahren deutlich mehr geworden: Die Homepage der Salzburger Heimatvereine listet 99 Namen auf. "Das Brauchtum blüht und gedeiht! Eine so positive Entwicklung hätte man vor einem halben Jahrhundert gar nicht für möglich gehalten", bestätigt der Textautor.
Reinhold Kriechbaum war Redakteur der Salzburger Nachrichten und Leiter der Pressestelle der Erzdiözese Salzburg. Seit 2004 gibt er "Drehpunktkultur" im Internet heraus. Das Kultur-Qualitätsmedium wird fünf Mal in der Woche aktualisiert und hat täglich rund 1.500 Zugriffe, 1.800 Abonnenten erhalten einen Newsletter. Die Verlegerin Erika Scherer, die mehrere regionale Bildbände und Chroniken verfasst hat, besorgte die Bildredaktion.
Im Ganzen finden mehr als 160 Bräuche ihre Würdigung. Spezialthemen sind noch "Sport, Tanz, Musik", "Pferde, Kühe, Schafe" und Berufsbräuche. Allgemein lassen sich mehrere Trends herauslesen: Bräuche passen sich veränderten Lebensbedingungen an: " Tatsächlich kommt der eine oder andere Brauch ab, aber dafür kommen neue Bräuche auf." Das Bild der "Volkskultur" wird vom Tourismus wesentlich mitgeprägt: Der seit 20 Jahren bestehende Bauernherbst mit 73 teilnehmenden Gemeinden hat sieben Millionen Menschen zum Besuch von Veranstaltungen motiviert. "Die Beiträge von Volkskulturvereinen sind gefragt, es gibt für sie neue Auftrittsmöglichkeiten, der Motivationsschub und auch der Werbeeffekt für die Volkskultur sind nicht zu unterschätzen." Manche Bräuche, die früher von Erwachsenen durchgeführt wurden, sind auf Kinder übergegangen, wie die "Alperer" und die "Kasmandln". Interessant wäre zu erfahren, warum und von wem organisiert. Aber das wollen wahrscheinlich nur ein paar Experten wissen. Sie und die breite Leserschaft finden hier einen bunten Bilderbogen der in Salzburg gelebten Bräuche, einen repräsentativen Querschnitt aus Kultur und Tradition. Ein Hausbuch im besten Sinne !