Matthäus Rest, Gertraud Seiser (Hg.): Wild und Schön#
Matthäus Rest, Gertraud Seiser (Hg.): Wild und Schön. Der Krampus im Salzburger Land. LIT-Verlag Wien 2016. 320 S., ill.,€ 29,80
Der Krampus hat Saison - im Salzburger Land von Mitte November bis knapp vor Weihnachten. Krampusperchtengruppen treten bei Krampusläufen, Partys und touristischen Veranstaltungen auf. "Jedes Jahr werden mehr Veranstaltungen gemeldet und Vereine gegründet als im Jahr davor. Allein im Gasteinertal sind es fast 100 "Passen" (Gruppen). Sogar bis in die USA hat sich ihr Vorbild durchgesprochen, wo Künstler in Los Angeles den Ball "Krampus LA" organisieren, der 3000 Fans zählt.
Einen Blick hinter die Masken zu tun und Licht in die kulturellen Praktiken der dunklen Gestalten zu bringen, war in den vergangenen Jahren Ziel mehrerer Lehrforschungen des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. "2011 waren wir in Dorfgastein, um herauszufinden, wie der Krampuslauf in seiner speziellen Ausprägung im Gasteinertal dazu beiträgt, ein Gefühl von Gemeinschaft im Tal aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig waren wir daran interessiert, welche Rolle Vorstellungen von Geschichte und Männlichkeit in diesem Zusammenhang spielen." 2013 besuchten Lehrende und Studierende das Salzachtal und die Landeshauptstadt. Ihre Forschungsergebnisse sind beeindruckend: 17 ethnographische Essays und zahlreiche Fotos dokumentieren das Geschehen. Kaum zu glauben, dass es schwer fiel, für ein so beispielgebendes Buch einen Verlag zu finden.
Auf den ersten Blick erstaunt, dass (in alter Diktion) die Völkerkunde, und nicht die Volkskunde sich des Themas angenommen hat. Allerdings gab es beste Kontakte zur Abteilung Volkskultur im Amt der Salzburger Landesregierung und zum Salzburger Landesinstitut für Volkskunde, dessen Leiterin Ulrike Kammerhofer-Aggermann "die" Expertin zum Thema ist. Im einleitenden Kapitel erklären die Herausgeber, "wie die Anthropologen zum Krampus kommen" und liefern damit zugleich eine kurze Fachgeschichte und Erklärungen zur Methode der teilnehmenden Beobachtung bei der ethnographischen Feldforschung mit allen Sinnen. Wie geschickt sie dabei vorgingen und wie es ihnen gelang, das Vertrauen der "Beforschten" zu gewinnen, zeigen die Erfahrungsberichte in erfrischender Lebendigkeit und doch wissenschaftlich fundiert.
Auf Homepages von Krampusgruppen begegnet man oft Worten wie heidnisch, vorchristlich, germanisch oder keltisch. Diese Begriffe wurden von frühen Volkskundlern eingebracht und teilweise bis in die 2.Hälfte des 20 Jahrhunderts vertreten. Nun sind sie widerlegt, aber das spricht sich kaum herum. Sogar von Volksschülern konnte eine Forscherin hören, dass die Krampusfigur ein Fruchtbarkeitssymbol und Vertreiber des Bösen sei - wie es ihnen ihre Eltern erzählt hatten. Dabei stammt die älteste Notiz über Perchten aus dem Jahr 1582, verrät aber nichts über Ablauf und Masken. Einfache Krampusmasken - oft nur ein schwarzes Brett mit Gucklöchern und Kuhhörnern - sind seit dem 17. und 18. Jahrhundert erhalten. Mit der Romantik des 19. Jahrhunderts und den Ideologien der folgenden Generationen kam das Suchen und Erfinden der "uralten Volksbräuche", die naturmythisch oder national gedeutet wurden. Ulrike Kammerhofer-Aggermann hingegen sieht die Perchten- und Krampusläufe als Faschingsbräuche und verweist auf die Nikolausspiele, die aus dem Jesuitentheater der Gegenreformation entstanden.
Die 17 Beiträge des Buches sind lose in eine Reihe thematischer Abschnitte gegliedert. Es beginnt mit der Frage, welche Dynamik entsteht, wenn junge Sozialwissenschafterinnen auf männliche Krampusse treffen. Die nächsten Beiträge besprechen Grundbegriffe und Grundlagen des Krampuslaufens im Salzburger Land. Dann werden die verschiedenen Formen des Brauchs vom Hausbesuch bis zur Krampusparty beschrieben. Es folgen Vergleiche von drei Passen in der und um die Stadt Salzburg in Hinblick auf Hierarchien, Verwandtschaften, Vereinsrecht und Kontakt mit anderen Vereinen. Ein Beitrag beschreibt, wie die Beziehung zwischen Krampus und Maske entsteht und die Abgrenzung von anderen Gruppen erleichtert. Regionale Identität und Ausgleich zur globalisierten Welt zu finden, wird ebenfalls thematisiert. Interessant ist auch die Anwendung der Theorie von den Übergangsriten (von der Kindheit zum Erwachsenen) auf das Krampus-Sein. Mitgliedschaft in einer Krampuspass führt zu Zusammenhalt und lang anhaltenden Männerfreundschaften. Frauen bleiben meist helfend im Hintergrund, nur bei manchen Gruppen dürfen sie als Darsteller mitwirken. Dann geht es um die Kinder: welches Bild haben sie vom Krampus? Wie gestaltet sich ihr Umgang mit den Maskierten? Schließlich werden die Krampusbegeisterten in Kalifornien vorgestellt.
Das überaus lesenswerte Buch sollte zur "Pflichtlektüre" für alle werden, die sich für Bräuche interessieren, und sei es als touristischer Zaungast. Den Autorinnen und Autoren kann man nur gratulieren. Sie werden ihrem Anspruch voll und ganz gerecht, "das Krampuslaufen als vielschichtige und komplexe Praxis darzustellen. Zu oft erschein uns die Meinung über den Krampus extrem verengt." Indem sie die Akteure und Menschen aus deren Umfeld zu Wort kommen lassen, ist es ist ihnen gelungen, "das Krampuslaufen als Jugendkultur verständlich zu machen, die sich zwischen Aneignung und Abgrenzung von Brauchtum und dessen Hütern bewegt."