Ursula Storch (Hg.): In den Prater!#
Ursula Storch: In den Prater! Wiener Vergnügen seit 1766. 168 S., ill., Residenz Verlag Salzburg / Wien Museum 2016. € 22,-
Es gibt Ausstellungen, deren Exponate den Besucher so fesseln, dass er auf das Lesen der Beschriftungen vergisst. Die Sonderschau des Wien Museums zum 250-Jahr-Jubiläum des Wien Museums könnte dazu zählen. Aber glücklicherweise gibt es das Katalog-Buch zur Ausstellung, das alles genau dokumentiert - die perfekt reproduzierten Exponate ebenso wie die informativen Texte. Am Ende steht eine Liste der augestellten Objekte. Als Herausgeberin fungiert die Vizedirektorin des Wien Museums Ursula Storch, die auch die Außenstelle Pratermuseum leitet und die Jubiläumsausstellung kuratiert hat. Seit Kaiser Joseph II. 1766 das Jagdgebiet in der Leopoldstadt für die Bevölkerung öffnete, weiß diese das 6 km² große Areal für Genüsse und Vergnügungen zu nutzen.
Der Katalog gliedert sich in drei große Kapitel. Das erste umfasst die Jahre 1766 bis 1872, "Von der Öffnung für die Allgemeinheit bis zur Praterregulierung". Übertitelt ist es mit dem Beginn des Kanons von Wolfgang Amadeus Mozart "Gehn wir im Prater, gehen wir in d' Hetz". Der weitere Text des Liedleins ist nicht gerade schmeichelhaft, aber der Kaiser hatte die richtige Entscheidung getroffen. Innerhalb kürzester Zeit erhielten 110 Wirte, dazu Kaffeesieder, Lebzelter, Fleischselcher und andere Händler mit Lebensmittelspezialitäten die Genehmigung, diese im Prater zu verkaufen. Ein Sprachlehrer war der erste, der Ringelspiele betreiben durfte. Zwei Generationen später sang Hermann Leopoldi "Schön ist so ein Ringelspiel – das is a Hetz und kost net viel!". Diese Attraktion blieb nicht die einzige. Der Prater mit seinen Kaffeehäusern und Gastgärten, in denen die Musik zum Tanz aufspielte, Auffahrten in der Hauptallee, Feste und politische Veranstaltungen erfreuten sich außerordentlicher Beliebtheit. Kasperltheater, Feuerwerkskünste, Ballonaufstiege, Bauten für Panorama und Zirkus, Wandermenagerien und Affentheater zogen die Besucherscharen an.
Die große Zäsur erfolgte 1873, als der Prater Schauplatz der fünften Weltausstellung werden sollte. Diese Epoche der "Herrlichkeiten und Wunder" währte bis zum Ersten Weltkrieg. Im Vorfeld der Weltausstellung erfolgte die "Regulierung" des Wurstelpraters, da er der Ausstellungskommission nicht repräsentativ genug erschien. Man baute neue Hütten, fällte Bäume, asphaltierte Wege, installierte die erste Gasbeleuchtung und sorgte für die Verkehrsanbindung. Auf dem Gelände entstanden - mit der Rotunde als Zentrum - der Industriepalast und die Maschinenhalle, beide je fast 1 km lang, dazu eine Kunsthalle und 200 internationale Gebäude und Anlagen, wie ein japanischer Garten. "Wirtschaftlich endete die Weltausstellung aus mehrfachen Gründen als Finanzdesaster, doch die Zusammenkunft von Menschen unterschiedlicher nationaler und ethnischer Herkunft trug dennoch wesentlich dazu bei, den Prater als globalen, kosmopolitischen Ort zu etablieren", schreibt Ursula Storch. Sie hat herausgefunden, dass die Zahl der Geschäfte von 82 auf 187 sprunghaft anstieg und die Weltausstellung "die eigentliche Blütezeit des Praters einleitete." Glanzvolle Feste und große Sportveranstaltungen fanden statt.
Inzwischen hatte sich auch die Stadt selbst verändert, die Basteien waren gefallen. Die moderne Metropole weckte neue Bedürfnisse auf dem Freizeitsektor. Großausstellungen im Prater konnten sie befriedigen, wie die "Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen". Fürstin Pauline Metternich-Sandor organisierte erstmals 1889 Benefiz-Frühlingsfeste samt Blumenkorso. Andererseits war die Prater Hauptallee ab 1890 Schauplatz der Arbeiteraufmärsche am 1. Mai. Fünf Jahre später eröffnete der Theaterdirektor Gabor Steiner im Kaisergarten "Venedig in Wien". Der Themenpark verfügte über originalgetreue Palazzi, Brücken und Kanäle mit Gondeln. Der Unternehmer wollte seinen Besuchern - bis zu 20.000 täglich - immer etwas Neues bieten. So ließ er am Rand des Geländes das Riesenrad errichten. Ursprünglich als temporäre Einrichtung gedacht, war es unerwartet erfolgreich. Es zählte schon im ersten Jahr 240.000 Fahrgäste und entwickelte sich (besonders nach dem Rotundenbrand) zum Symbol des Praters und der ganzen Stadt.
Das dritte Kapitel widmet sich dem letzten Jahrhundert, von der 1919 bis heute. Sein bezeichnendes Motto ist der Refrain eines Wienerliedes: "Eins kann man net - den Wurschtel derschlag'n". In der Zwischenkriegszeit zogen Großkinos, Spielhallen und Autodrome ein, 1933 kam die erste Geisterbahn, 1937 brannte die Rotunde ab. Im Zweiten Weltkrieg gingen zwar die Pratergeschäfte weiter, doch schließlich ergab sich eine Bilanz der Zerstörung. Der Wurstelprater war großteils vernichtet, das Riesenrad bis auf die Konstruktion abgebrannt. Man zählte 353 Bombentrichter, 982 Schützenlöcher, neun Schützengräben, 24 Splittergräben und 548 Autowracks.
Der Wiederaufbau begann unmittelbar nach dem Kriegsende. Seit 1947 dreht sich das Riesenrad wieder, wenn auch nur mit der Hälfte der Waggons. Der Ausflug dort hin war ein Fixpunkt im Programm der jungen Leute, die zur Firmung nach Wien kamen. Den älteren blieb "die retrospektive Sehnsucht nach dem nicht mehr existierenden 'alten Prater' ". Der jüngste, umstrittene Eingriff war 2008 die Neugestaltung des Riesenradplatzes. "Hier drängt sich die Frage auf, ob der Wurstelprater einer wie immer gearteten Neuorientierung wirklich bedarf. Das Besondere dieses Ortes im Vergleich zu anderen Vergnügungsparks ist immer noch, dass er … nicht nur für jeden Geschmack etwas bietet, sondern auch extrem flexibel ist - so wie er es in den vergangenen 250 Jahren immer war."