Daniela Strigl: Berühmt sein ist nichts#
Daniela Strigl: Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach - Eine Biographie.
Residenz-Verlag Salzburg - Wien 2016. 440 S. + 24 S. Bildteil. € 26,90
Marie von Ebner-Eschenbach, geb. Freiin Dubsky und Franz Joseph I., geb. Erzherzog Franz Joseph Karl von Österreich, hatten die gleichen Lebensdaten: 1830 - 1916. Auch sonst zeigen die Biographien Parallelen. 1848 heiratete Marie Dubsky ihren Cousin Moriz Freiherr Ebner von Eschenbach. Im selben Jahr erfolgte die Thronbesteigung Kaiser Franz Joseph I. . Auch seine Braut Elisabeth, Herzogin in Bayern, die er sechs Jahre später ehelichte, war als Cousine verwandt. Im selben Jahr, 1854, veröffentlichte Ebner-Eschenbach ihre erste Publikation über "Carl I. von England". Die Offiziersgattin wählte als neutrales Pseudonym "Emaéri". Der Kaiser und die Dichterin waren "Reitnarren", von Jugend an bis ins hohe Alter. Beide waren an der Mythologisierung ihrer Persönlichkeit wesentlich beteiligt. Diente der Kaiser von Kindheit an den Hofmalern als Modell und wusste man später die neuen Medien Film und Schallplatte zu nutzen, so waren es bei der Dichterin Tagebücher, die sie in Auszügen und redigiert einem Biographen überließ. Franz Joseph I. pflegte das Image des einfachen Weidmanns und volksnahen Regenten, streng aber gütig. Die berühmteste österreichische Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts galt vor allem als „Dichterin der Güte“. Verbreitet wurden Postkarten mit dem Altersbildnis einer biederen Matrone im übermäßig voluminösen, bodenlangen, dunklen Kleid.
"Dass Ebner-Eschenbach als Figur aber heute in irgendeiner Weise sexy wäre, wird kaum jemand behaupten", stellt Daniela Strigl einleitend fest. Die Essayistin und Literaturwissenschaftlerin hat sich nach fast einem Jahrhundert wieder an eine Biographie der Dichterin gewagt (die letzte erschien 1920). Für die Biographin ist Marie Ebner auch "Poetische Realistin, Dramatikerin, Aphoristikerin, Fürsprecherin der Emanzipation, Kämpferin gegen den Antisemitismus, Offiziersgattin, Uhrmacherin und Reitnärrin." Strigl zeichnet das facettenreiche Bild einer "erstaunlich modernen Schriftstellerin" und ihres vielschichtigen Werks. Zugleich gelingt ihr ein Zeitbild der ausklingenden Donaumonarchie, mit markanten Ereignissen wie die Revolution von 1848, der Krieg gegen Preußen, der österreichisch-ungarische Ausgleich, der Bau der Wiener Ringstraße und die Weltausstellung von 1873. Außerdem gibt die Biographin im Kontext der Vita Ebner-Eschenbachs einen Überblick über die Inhalte ihrer - häufig autobiographisch angehauchten - Werke. Im Vorjahr hatte Daniela Strigl, gemeinsam mit Evelyn Polt-Heinzl und Ulrike Tanzer eine 1400 Seiten umfassende Leseausgabe in 4 Bänden herausgegeben. Die Lektüre der kompetent und ausgewogen verfassten Lebensgeschichte weckt auch das Interesse an den Originaltexten.
Im südmährischen Schloss Zdislawitz geboren, war Ebners literarischer Weg ein steiniger. Ihr Vater, dessen Motto "Nicht geliebt will ich sein, sondern gefürchtet!" lautete, war viermal verheiratet und dreimal verwitwet. Von seinen sieben Kindern war Marie war das zweite, ihre Mutter starb noch im Jahr ihrer Geburt. Als Fünfjährige sollte sie, gemeinsam mit der ein Jahr älteren Schwester Lesen und Schreiben lernen. Als sie es nicht vermochte, nahm der Vater selbst eine quälend lange Prüfung vor und warf ihr Kärtchen mit allen Buchstaben nach, die sie nicht erkannt hatte. Diese "Unterrichtsstunde bei Papa", zwar ein traumatisches Erlebnis, zeigte bald Erfolg. Mit 14 war sie entschlossen, "entweder nicht zu leben, oder die größte Schriftstellerin aller Völker und Zeiten zu werden." Vom Theater war der "Blaustrumpf", wie man im 19. Jahrhundert bildungswillige Frauen nannte, begeistert. Die klassische adelige Mädchenerziehung lag Marie nicht, sie wollte, so die Biographin "geschickt, flink, mutig wie ein Bub sein." Doch fühlte sich die Komtesse schon früh zu ihrem Cousin Moriz hingezogen, bei der Hochzeit war sie 18, er 33 Jahre alt. Damit wechselten nur die Personen der Bevormundung, vom Vater und den Brüdern zum Ehemann. Moriz Ebner-Eschenbach war Sprengexperte im Dienst des kaiserlichen Militärs. Während er es in seinem Beruf zu hohen Ehren brachte, blieb der Gemahlin die Anerkennung ihres literarischen Werks lange versagt. Weder ihre Familie, noch ihr Mann hatten dafür Verständnis. "Zerrissen zwischen adeliger Herkunft und sozialer Gesinnung, Ethos und Ironie, Ehrgeiz und Bescheidenheit, gesellschaftlichen Rücksichten und der Leidenschaft fürs Schreiben, hielt Ebner-Eschenbach gegen den Widerstand ihrer Familie, gegen die Häme der Theaterkritik unbeirrbar an ihrem Ziel fest," kommentiert Daniela Strigl.
Sie gliedert die Biographie in vier Kapitel und übertitelt sie in Anlehnung an Ebner-Eschenbachs Texte: Das Waldfräulein (1830-1848), Eine Spätgeborene (1848-1875), Berühmtsein (1875-1899), Altweibersommer (1899-1916). In großartiger Weise gelingt ihr nicht nur das Portrait einer "Klassikerin zu Lebzeiten", sondern auch ihrer Epoche und eines fein verzweigten Netzwerks. Die Dichterin war mit den Großen ihrer Zeit gut bekannt, pflegte freundschaftlichen Kontakt zu Kollegen und Kolleginnen, wie Franz Grillparzer, der schon der jugendlichen Poetin "ein höchst glückliches Ohr für den Vers" bescheinigt hatte, Ferdinand von Saar, zu dessen Gunsten sie mehrfach Sammelaktionen veranstaltete, oder Betty Paoli, der Grillparzer das Prädikat "der größte Lyriker Österreichs" verlieh. Beim berühmten Maler Franz Alt nahm Ebner-Eschenbach Unterricht im Aquarellieren, beim Uhrmacher Karl Hartl machte sie eine Lehre - die sich, wie so oft, in einem Werk widerspiegelte. Josef Breuer, der Mitbegründer der Psychoanalyse, war ihr Hausarzt, mit Theodor Billroth und seiner Familie verbrachte sie anregende Zeit in der St. Gilgener Sommerfrische. Als Bertha von Suttner einen "Verein zur Abwehr des Antisemitismus" gründete, war Marie Ebner-Eschenbach unter den ersten Mitgliedern. Mit Victor Adler, dem Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, führte sie Gespräche, mit der Frauenrechtlerin Marianne Hainisch, Mitglied der Bürgerlich-demokratischen Arbeiterpartei, pflegte sie den Gedankenaustausch.
1898 feierte Franz Joseph I. sein 50-jähriges Thronjubiläum, aus diesem Anlass verlieh er Orden an Künstler. Marie von Ebner-Eschenbach erhielt als zweite Frau (nach der dichtenden Rumänischen Königin Carmen Silva) das Ehrenzeichen "Pro Litteris et artibus". In diesem Jahr verbrachte sie, wie mehrmals, den Winter in Rom. Als sie sich nach der Rückkehr in einer Audienz persönlich bedankte, notierte sie in ihr Tagebuch: "Der Kaiser hat immer seine schöne schlanke Gestalt … wie freundlich sieht er einen an, welche Güte spricht aus seinen Augen!"