Walter M. Weiss (Hg.): Österreich in den 1950er und 1960er Jahren#
Walter M. Weiss (Hg.): Österreich in den 1950er und 1960er Jahren. Aufbruch in goldene Zeiten - Eine Bilderreise in die junge Alpenrepublik. Bildrecherche: Herbert Friedlmeier.
Mit Fotografien aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek.
Emons Verlag Köln 2016. 320 S., ill., € 42,-
Bücher mit historischen Fotografien sind meist nicht sehr groß (ca. Format A5) und stark (ca. 128 Seiten), selten grafisch anspruchsvoll. Dennoch ist ihnen das Interesse der Leser sicher. Bilder aus der "Welt von Vorgestern" faszinieren immer, noch dazu, wenn sie aus der eigenen Region stammen und Erinnerungen wecken.
Der vorliegende Band setzt neue Maßstäbe: großformatig (28,5 x 31 cm) mit oft doppelseitigen Bildern, opulent (mit mehr als 300 Aufnahmen aus der Österreichischen Nationalbibliothek, ÖNB) und nicht aus fern scheinender Vergangenheit, sondern aus den 1950er und 1960er Jahren, die viele miterlebt haben.
Walter M. Weiss und Herbert Friedlmeier haben das überaus reichhaltige Material sorgsam und kenntnisreich zusammengestellt. Der Textautor Walter M. Weiss hat schon fast 100 Bücher veröffentlicht, vor allem Kunst- und Kulturführer quer durch alle Weltgegenden. Der Bildredakteur Herbert Friedlmeier, der erfahrenste Rechercheur des Bildarchivs der ÖNB, hat bei zahlreichen Publikationen zur Zeit- und Kulturgeschichte mitgearbeitet und selbst etliche Bände herausgegeben. Mit mehr als drei Millionen Objekten sind Bildarchiv und Grafiksammlung der ÖNB die größte Bilddokumentationsstelle Österreichs.
So verwundert nicht, dass in diesem schwergewichtigen Band u. a. ausdrucksstarke Schwarz-Weiß- Bilder von Starfotografen wie Harry Weber, Lothar Rübelt und Franz Hubmann zu finden sind. Auch zahlreiche Fotos der USIS sind vertreten. Diese zivile Institution berichtete unter Aufsicht amerikanischer Presseoffiziere im Stil der amerikanischen Reportagefotografie über Österreich. Rund 40 österreichische Fotografen arbeiteten von 1945-1955 für USIS. Die Bilder sind hochprofessionell, viele wirken inszeniert.
Rückblickend erweisen sich die Wiederaufbaujahre als außergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Aufbruch und Hoffnung, Schaffen und Fleiß kennzeichnen die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. "Die Republik ersteht wieder auf", betitelt der Herausgeber einen Abschnitt seines einleitenden Essays, die anderen nennt er "Wirtschaftlicher Wiederaufbau", "Neuer Wind auch in Glaube und Kunst", "Die Moderne und die weite Welt halten Einzug". Auf fünf Seiten fasst er kompakt zusammen, was die folgenden Bilder illustrieren: Alliierte Soldaten, kolossale Baustellen öffentlicher Bauwerke, die Innsbrucker Olympischen Spiele, Staatsvertrag, Gipfeltreffen … und schließlich ein neues Lebensgefühl. Doch weniger die Ikonen - wie das berühmte Staatsvertrags-Foto von Erich Lessing - sind im Bildteil versammelt, sondern viele bisher unveröffentlichte Bilder vom Alltag. Die Anordnung wirkt zwanglos und hat doch ihre Logik. Menschen bei Denkmälern stehen am Beginn. Die große Vergangenheit Österreichs ist in der damaligen Gegenwart angekommen. Zukunftsreich präsentieren sich die Großprojekte, wie ein Umspannwerk in Lienz. Bei der Eröffnung hat auch die Folklore ihren Platz - ebenso wie in der entstehenden Fremdenverkehrswerbung.
Den Zeitgeist zu verstehen, helfen auch Zitate. Neben Leopold Figls historischem Ausspruch "Österreich ist frei" steht eine Erinnerung von Bruno Kreisky. Er war Mitglied der Regierungsdelegation, die im Frühjahr 1955 Moskau besuchte: "…Und die haben die österreichische Bundeshymne gespielt mit einer Klangfreude, die für uns geradezu überraschend war. Da hab ich den Vizekanzler an seinem Winterrock gezupft und gesagt: 'Wenn die uns mit so viel Sang und Klang empfangen, können sie uns nicht mehr sang- und klanglos abziehen lassen, da steckt was drin." Drin steckte der Staatsvertrag, an den die folgenden Bilder erinnern, ebenso wie an die feierliche Wiedereröffnung von Burgtheater und Staatsoper im selben Jahr, 1955.
Die Rennläuferin Resi Hammerer wird mit Reminiszenzen an ihre Disziplin zitiert: "Jeder von uns hat nur ein Paar Ski besessen, ein einziges Paar. … Es gab ja eine Sponsoren, keine Unterstützung, kein Geld. Wir mussten uns das alles selber bezahlen." Freizeit und Folklore sind die nächsten Schwerpunkte. Bei den stolzen Rollerbesitzern, die vor der Burg Liechtenstein Aufstellung genommen haben, dürfte es sich aber nicht um Mitglieder des Vespa-Clubs, sondern um Fahrer und Fahrerinnen von Lohner-Rollern handeln. Diese Zweiräder waren typische Erzeugnisse des Nachkriegs-Österreich. Originell wirkt eine Aufnahme, auf der ein Krampus aus dem Gasteinertal einem Gendarmen gegenübersteht.
Franziska Kalmar, die erste TV-Dame blickt zurück: "Die Kaffeehäuser und Gasthäuser, in denen ein Fernsehapparat stand, hatten Hochbetrieb - die Leute gingen ins Kaffeehaus und haben konsumiert, und so hatten wir unsere Zuschauer, und die haben ihr Geschäft gemacht". Während in Wien Modezar Fred Adlmüller seine Haute Couture präsentierte, in Jazzclubs und Espressobars die Moderne und die weite Welt Einzug hielten, plagte sich ein Mühlviertler Bauernpaar mit einem Ochsengespann ab. Wie ein roter Faden bestimmt die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen die Zusammenstellung.
Das betont Walter M. Weiss ausdrücklich: "Aufbau und Avantgarde, Traditionspflege und Austesten ungewohnten, aufregenden Terrains. Diese faszinierende, vielgleisige Wirklichkeit im Österreich der 50er und 60er Jahre authentisch und angemessen zu vermitteln, ist die erklärte Absicht dieses Bandes. Bei jüngeren Betrachtern Verständnis für die Prägungen der Eltern und Großeltern vertiefen, und bei den nicht mehr so jungen Erinnerungen wecken an ein Lebensgefühl, eine Ära, die wohl jeder Zeitzeuge rückwirkend als 'Aufbruch in goldene Zeiten' empfindet."