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Oskar Aichinger: Ich bleib in der Stadt und verreise#

Bild 'Aichinger'

Oskar Aichinger: Ich bleib in der Stadt und verreise. Vom Gehen und Verweilen in Wien. Picus Verlag Wien 2017. 196 S., € 20,-

Der Klappentext verspricht ein Wiener Reisebuch "mit autobiografischen, historischen und philosophischen Zügen, ein sehr individueller Reiseführer von einem, dem diese Stadt nicht von Anfang an zugeflogen ist…" Als Pianist und Komponist ist Oskar Aichinger durch zahlreiche CD-Veröffentlichungen (Jazz/Neue Musik) bekannt. Die Musik zieht sich auch wie ein roter Faden durch sein Buch:

Allerdings steht das Autobiographische im Vordergrund. Jeder hat so seine eigenen Erinnerungen an bestimmte Gegenden und die damit verbundenen Personen. Der Autor teilt die Stadt dem entsprechend in verschiedene "Länder", beginnend mit N-Land, in Gumpendorf, benannt nach einer japanischen Sängerin an der Staatsoper, die sachte in sein Leben trat und ebenso verschwand. P-Land erinnert an die Kindertage des Sohnes, M-Land begann im Café Rüdigerhof, wo er seine Frau kennenlernte. Inzwischen ist M-Land für den Autor "beinahe überall, das ist gut so." Sie zeigt Verständnis, wenn ihr Mann zum absichtslosen Stadtwandern aufbricht, oft schickt sie den Flaneur sogar weg, wenn ihn die Unruhe befällt, er aber noch kein Ziel im Auge hat.

Doch solche finden sich immer, und - wenn auch hier nie so zitiert, "der Weg ist das Ziel". Oft sind es weite Wege, von der Wohnung in Margareten "in die Stadt", wie man in Wien zu sagen pflegt, was dem frisch zugereisten Oberösterreicher "blöd" vorkam. Weiter in die Leopoldstadt, zum Westbahnhof oder auf den Alsergrund. Hier kommt das Servitenviertel in der subjektiven - andernorts oft resch harschen - Beurteilung gut weg. Auf Franz Schuberts Spuren lässt sich passend wandeln und über das Genie philosophieren: "Man wird sich damit begnügen müssen, letztlich keine Erklärung zu finden, da hilft die ganze Wissenschaft nichts. Dankbarkeit ist da die bessere Kategorie. Dankbarkeit dafür, dass der Menschheit so einer wie Schubert passiert ist. Und viele andere auch." Bei dessen Sterbehaus und Stadtkonvikt macht der Musiker ebenfalls Station - und sich Gedanken. Häufig sind Kirchen, wie hier jene der Jesuiten, Haltepunkte. Dabei bringt der Autor stets Religionskritik zum Ausdruck, außer die Religionsgemeinschaft widmet sich sozialen Aufgaben.

Aus dem Glauben bekannte Begriffe finden sich ironisiert. Das Weinhaus Sittl Ecke Gürtel/Neulerchenfelder Straße ist das erste Ziel des "Pilgerweges", ein "Wiener Heiligtum", dessen Vitrine an der Schank zum "Hausaltar" mutiert. Wer weit geht, muss oft rasten. Der Autor kennt seine Stammlokale und beschreibt sie detailliert - bis hin zu den Toiletten. In erster Linie philosophiert er aber über das Ambiente, das Essen und das Publikum. Wenn sich dabei besondere Gespräche ergeben, wird auch dieser gedacht. Wie mit dem Deutschen G., der sich, unheilbar krank, noch den Wunsch erfüllte, Wien und dem Schweizerhaus einen letzten Besuch abzustatten. Oder mit dem Tiroler W., der am Heiligen Abend nach Wien flüchtete und am Westbahnhof strandete. Ohne ihn wäre der Autor zu dieser Zeit nicht ins Bahnhofsrestaurant gekommen und ist ihm "fast dankbar dafür". Oder mit dem Mädchen vom Gürtel, dessen traurige Geschichte hinter der Sünde auftauchte.

Wie gesagt, ein sehr individuelles Buch "mit autobiografischen, historischen und philosophischen Zügen". Historisches kommt nur in Andeutungen, vor allem als Zeitgeschichte vor. Nie macht der Autor ein Hehl aus seiner Weltanschauung. Und so ist sein Buch weniger ein Reiseführer durch Wien, als ein Stück Literatur.