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Sepp Dreissinger: Im Kaffeehaus#

Bild 'Dreissinger neu'

Sepp Dreissinger: Im Kaffeehaus. Gespräche - Fotografien. Album Verlag Wien 2017. 336 S., ill.,€ 39,-

Das Kaffeehaus gilt als Wiener Institution - und wie bei diesen üblich, sind schon viele Bücher und Werbemittel darüber erschienen und mit bunten Bildern illustriert worden. Zahlreich sind die Anekdoten von seltsamen Spezialitäten-Bezeichnungen wie Capo, Konsul oder Fiaker, von grantelnden Obern und skurrilen Stammgästen. Das vorliegende Buch eröffnet völlig neue Perspektiven auf diese besonderen Orte, jenseits der Touristenattraktionen.

Der Meister, der dies zustande gebracht hat, ist kein Wiener. Sepp Dreissinger wurde 1946 in Vorarlberg geboren, studierte in Salzburg Musik, lebte in Rom und Paris und arbeitet als frei schaffender Fotograf, Autor und Filmemacher in Wien. Seit 40 Jahren beschäftigt er sich mit künstlerischer Schwarz-Weiß-Fotografie. "Bernhard im Bräunerhof" sei seine berühmteste, schreibt der Kulturhistoriker Wolfgang Kos in der Einleitung. "Mit ruhiger Raffinesse zeigt das Bild den Trialog zwischen dem Fotografierten, dem Fotografen und dem Schauplatz." Gleiches lässt sich hier von 75 weiteren Portraits sagen.

Die Fotografien und 36 Gespräche mit Persönlichkeiten aus der Wiener Kulturszene machen den Begriff Künstlercafé lebendig. „Ich sitze hier, also ist das ein Künstlercafé" , verkündete der Schriftsteller Gert Jonke (1946-2009) im Café Eiles. Auch der Portraitist mit der Kamera ist ein passionierter Kaffeehausbesucher, er traf dort seine GesprächspartnerInnen und Modelle. Die ersten Bilder, die er für "Im Kaffeehaus" auswählte, reichen in die 1980er Jahre zurück, die Gespräche fanden ab 1995, meist 2004 und 2016 statt. Manche der Interviewten leben nicht mehr. Vieles hat sich gewandelt. Mobiltelefone, Rauchverbot und digitale Medien veränderten die klassische Kaffeehaus-Atmosphäre. So wird das - von Heike Schäfer grafisch elegant gestaltete - Buch zum zeithistorischen Dokument des „alltäglichen Ausnahmezustands“ Kaffeehaus.

Der Autor lässt nicht nur prominente Gäste zu Wort kommen, sondern auch Gastgeber. Das legendäre "Hawelka" ist mit drei Generationen vertreten. Leopold Hawelka (1911-2011), der es mit seiner Frau Josephine 66 Jahre hindurch führte, war überzeugt, "das Café bleibt so oder so." Seine Tochter Herta, die vier Sprachen spricht, ist als Fremdenführerin tätig. Sie erzählte Dreissinger offenherzig von den Schattenseiten des Familienbetriebs, den nun ihr Bruder und dessen zwei Söhne leiten. Amir Hawelka betonte: "Unser Kaffeehaus hat eine lange Geschichte. … Auf jedem einzelnen Sessel saßen schon so viele interessante Menschen." André Heller nannte das Lokal seine Universität: "Im Hawelka war einfach mehr zu lernen als in jeder anderen Schule in Österreich." Christine Nöstlinger war dort erst als junge Ehefrau zu Gast, zuvor hatten Mädchen nichts in einem Café zu suchen. Nach der Matura wagte sie sich mit Freundinnen in ein Café in Hernals, "obwohl es uns gar nicht gefiel, zwischen all den alten, Zeitung lesenden Männern zu sitzen, aber erwachsen fühlten wir uns, und wie!"

Der Schriftsteller Robert Menasse bezeichnet Kaffeehausgehen als "eine Form von Kultur, in der man entweder sozialisiert wurde oder nicht. Es gibt Menschen, die nie ins Kaffeehaus gehen und denen nichts fehlt. Ich war schon als Kind mit meinem Großvater im Kaffeehaus." Dies geschah allerdings dienstlich, denn dieser musste als Vertreter der Firma Arabia geschäftliche Kontakte pflegen. Der Journalist Teddy Podgorsky wurde im Café Raimund Zeuge einer berühmten Ohrfeige: "Weigel und ich waren gerade am Weg hinaus und Käthe Dorsch sprach ihn an: 'Sind Sie Hans Weigel, der Kritiker?' Als er dies bejahte, hat sie ihm eine Watschen gegeben. Ich habe es im Umdrehen gesehen. Eine Sternstunde…" (Die Burgtheaterschauspielerin wurde zu einer Geldstrafe von 500 Schilling verurteilt). Der Zirkusdirektor Bernhard Paul, der nostalgische Einrichtungsstücke schätzt und sammelt, bringt die Vorzüge der Wiener Institution mit Zitaten auf den Punkt. "Nicht zu Hause und doch nicht an der frischen Luft" oder "Das Kaffeehaus ist für Menschen, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen."