Sigrid-Maria Größing: Habsburgs Kaiserinnen #
Sigrid-Maria Größing: Habsburgs Kaiserinnen – Rätsel und Schicksale der geheimen Herrscherinnen. Ueberreuter Verlag Wien 2017. 186 S., ill., € 21,95
"Storytelling" hat Konjunktur. Für MuseumspädagogInnen ist es fast schon Pflicht, Geschichte mit Hilfe von Geschichten zu vermitteln. Geschichten prägen sich besser ein als
Fakten, sie sind leicht verständlich, kommen dem Publikum entgegen, schaffen eine emotionale Beziehung. Die Historikerin Sigrid Maria Größing ist eine Meisterin dieses Faches, und sie war es vermutlich schon, bevor Storytelling zur Methode wurde. Als Autorin von fast 30 Büchern, die in acht Sprachen übersetzt wurden, weiß sie seit langem, ihre Leserschaft mit Geschichten - vor allem über das Haus Habsburg - zu interessieren.
Das jüngste Werk ist "Habsburgs Kaiserinnen" gewidmet, die über die Jahrhunderte hinweg vergleichbare Schicksale teilten: "Oft schon im frühen Kindesalter verheiratet, erwartete sie durch die vielen Schwangerschaften der Tod meist im Kindbett. Und da man keine Ahnung von den Erbgesetzen hatte, wirkten sich die viel zu nahen Verwandtschaften, vor allem zwischen spanischen und österreichischen Habsburgern, verhängnisvoll aus. Daher grenzt es beinahe an ein Wunder, dass doch so viele Kaiserinnen in dem kurzen Leben, das ihnen beschieden war, vor allem auf kulturellem Gebiet Bahnbrechendes geleistet haben."
Die Autorin porträtiert 27 zwischen 1436 und 1892 geborene Frauen. Bei elf schreibt sie von einer unglücklichen Verbindung, bei zehn von einer glücklichen, bei vier waren die hochadeligen Ehegatten einer zumindest "sympathisch". Aber es geht hier nicht um Statistik, sondern um Geschichten. Im Großen und Ganzen können einem die Mädchen, die "plötzlich Prinzessin" wurden, leid tun. Schon die erste in der Reihe, die "entzückende kleine Kaiserin" Eleonore von Portugal (1436-1467) traf es nicht besonders gut. Friedrich III. (1415-1493), bekannt durch die geheimnisvolle Buchstabenfolge "AEIOU", heiratete die 21 Jahre Jüngere erst knapp vor seiner Kaiserkrönung und nach eingehenden Erkundungen."Voller Bewunderung berichteten die Abgesandten von König Friedrich nach Österreich, dass die 14-jährige Eleonore ein geradezu vollkommenes Geschöpf wäre mit den schwarzen großen Augen, dem brünetten Haar, der blendend weißen Haut sowie der zierlichen Gestalt. Zum Liebreiz ihres Äußeren gesellten sich noch ihr unwiderstehlicher Charme, ihre Liebenswürdigkeit Fremden gegenüber und ihre exzellente Bildung. Eine bessere Braut hätte sich der deutsche König nicht aussuchen können!" Trotzdem gab es in dieser Ehe nichts, "was die beiden unterschiedlichen Menschen verband". Als Eleonore 30-jährig starb, schien ihr Ehemann, der altersmäßig ihr Vater hätte sein können, "geradezu von einer Last befreit."
Zu den glücklichen Gemahlinnen zählte Maria Theresia: "Diese bewundernswerte Frau war die größte Herrscherin, die das Haus Habsburg jemals hervorgebracht hat. Kraft ihrer Persönlichkeit war es ihr deshalb möglich, auf den offiziellen Kaisertitel zugunsten ihres Gemahls Franz Stephan von Lothringen zu verzichten, der durch den Kaiserstatus endlich zu Rang und Ansehen kam." Über die "ungekrönte Kaiserin und Mutter Österreichs" wurde schon viel erzählt, die Regentin und Reformerin als "Reserl" mit ihrem "von Kindheit an geliebten Franzl" verniedlicht. Die Autorin folgt dieser Tradition. Sie erwähnt den Fleiß der "unermüdlich tätigen Frau" und ihre Heiratspolitik: " Sie arrangierte eheliche Verbindungen über den ganzen Kontinent und setzte ihre Kinder wie Trumpfkarten ein. … Dabei war es für sie uninteressant, ob die Töchter und Söhne mit den jeweiligen Ehepartnern glücklich werden konnten, persönliche Neigungen und Gefühle zählten für sie nicht."
Maria Theresia war nicht die einzige, die nach dem Motto "Bella gerant alii, tu felix Austria nube" ihre Nachkommen als politisches Kapital ansah. Vor und nach ihr pflegten die Habsburger und ihre Berater das Motto, das vielleicht das Land, aber selten die betroffenen Töchter glücklich machte. Ihr Enkel, Kaiser Franz II./I. opferte seine Älteste, Marie Louise (1791-1847), um Napoleon nicht zurückzuweisen. Nachdem dessen politisches Schicksal besiegelt war, trennte sie sich vom Kaiser der Franzosen und führte ihr eigenes Leben. Als Herzogin von Parma machte sie dieses zur Kunst- und Kulturstadt und heiratete, verwitwet, noch zweimal. Diesmal die passenden Partner. Vergessen schien der einstige Satz von Staatskanzler Metternich: „Kann man zwischen dem Untergang einer ganzen Monarchie und dem persönlichen Unglück einer Prinzessin wählen?“
Metternich suchte auch den Mann der zweiten Tochter von Franz, Leopoldine (1797-1826) aus. Vor genau 200 Jahren fand die Hochzeit statt, die zudem von einer großen Brasilien-Expedition begleitet wurde. Deren Ergebnisse bildeten den Grundstock des Wiener Naturalienkabinetts, etliche Exponate des Naturhistorischen Museums stammen davon, as damals eigens eingerichtete Brasilianische Museum exisiert nicht mehr. Die zukünftige Kaiserin war - ganz im Gegensatz zu ihrem Gemahl, dem portugiesischen Kronprinzen Dom Pedro (1798–1834) - hoch gebildet und politisch gewandt. Dom Pedro folgte ihren Ratschlägen und verkündete die Unabhängigkeit Brasiliens von Portugal. Persönlich entfremdete sich das Paar immer mehr und die Ehe endete tragisch. Eine Mätresse gewann Einfluss über den Kaiser (auch das war kein Einzelfall). Von diesem misshandelt, starb Leopoldine, kaum 30 Jahre alt.
Das Buch holt die Kaiserinnen aus dem Schatten ihrer Ehemänner. Es war hoch an der Zeit, die Verdienste dieser Frauen darzustellen. Doch erscheinen sie und ihre Taten umso strahlender, je mehr die Kaiser eine dunkle Folie abgeben. Besonders drastisch fällt dies im Fall Ferdinand I. (1793-1875) auf, den die Autorin (mit manchen seiner Zeitgenossen) "Ferdinand der Trottel" nennt. Er litt zwar an Epilepsie, war aber - und davon schreibt sie kaum - musikalisch und künstlerisch talentiert, naturwissenschaftlich interessiert und beherrschte fünf Sprachen (seine Gattin Maria Anna hingegen sprach nicht deutsch). Wegen seiner Wohltätigkeit nannte man ihn "der Gütige". So widmete er beispielsweise Krönungs- und Hochzeitsgeschenke für den Bau einer Wiener Wasserleitung. Die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn trug nicht nur seinen Namen, er begünstigte auch die 1837 eröffnete, erste Dampfeisenbahn Österreichs, der rasch weitere folgten. Ferdinand I. stand neuen technischen Erkenntnissen und den Fortschritten in der Landwirtschaft aufgeschlossen gegenüber. In seiner Regierungszeit begann die Industrialisierung des Landes. 1847 gründete er in Wien die Akademie der Wissenschaften. 1848 verzichtete er zugunsten seines Neffen Franz Joseph auf den Thron und zog sich auf die Prager Güter zurück. Seit 1831 war Ferdinand I. mit der Savoyer Prinzessin Maria Anna (1803 - 1884), einer Cousine 3. Grades, verheiratet. Nach seiner Thronbesteigung wurde sie Kaiserin von Österreich und Königin von Böhmen. Abschließend wieder Sigrid-Maria Größing: " Es war für Ferdinand das Glück seines Lebens gewesen, dass er eine derartig großartige Gemahlin gefunden hatte, die ihn umsorgte, umhegte und liebte. … Alles was ihn hätte belasten können, hielt Maria Anna von ihm fern." Beide Eheleute erreichten ein hohes Alter von mehr als 80 Jahren. Die Witwe zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und fand in der Kapuzinergruft ihre letzte Ruhestätte. "Maria Anna ? Der Name dieser Kaiserin war unbekannt!"