Dietmar Grieser: Schön ist die Welt#
Dietmar Grieser: Schön ist die Welt. Schauplätze der Musik. Amalthea-Verlag Wien 2017. 272 S., ill., € 25,-
Dietmar Grieser nennt sich "einen nicht nur alten, sondern auch altmodischen Mann". Ein runder Geburtstag liegt schon wieder etliche Jahre zurück. Aber Schaffensfreude und Eloquenz des Erfolgsautors sind ungebrochen. Der jüngste Beweis ist seit kurzem auf dem Markt. Diesmal geht es um "Schauplätze der Musik". Der Name Grieser und der Begriff Schauplätze sind untrennbar verbunden: "Entweder reagierten die Gesprächspartner bei der Nennung meines Namens mit der Frage 'Ach, dann sind Sie wohl der mit den Schauplätzen?' oder sie sagten mir umgekehrt, sobald das Stichwort 'Schauplätze' fiel, auf den Kopf zu: 'Dann sind Sie gewiss der Grieser.' "
Vom unerfüllbaren Traum der Mutter Griesers, aus ihren Söhnen ein Hausmusiktrio zu formieren, bis zur Geburtstagsfeier des Autors, die aus musikalischen Gründen verschoben wurde, reicht der Bogen der Reminiszenzen. In bewährter Weise verbinden sich subjektive Erinnerungen mit objektiven Recherche-Ergebnissen. Passend erinnern die Titel der Kapitel, die fast 30 Geschichten umfassen, an musikalische Bezeichnungen.
"Drammatico" gibt einen Vorgeschmack auf die Reiseziele des Kulturtouristen, z. B. Steyr. Als Franz Schubert die Stadt besuchte, war der romantische Zusammenfluss von Steyr und Enns außerordentlich fischreich. Das Naturschauspiel tausender, sich in den Strudeln tummelnder Forellen soll den Komponisten zu seinem viersätzigen Klavierquintett inspiriert haben. Wenig froh geht es an den Schauplätzen in Rom zu. Dort wandelt der Autor auf den Spuren der Puccini-Oper "Tosca", "und da sind in Textbuch wie in Partitur Mord und Totschlag das beherrschende Thema." Tragisch endet auch das Bühnenwerk "Madame Butterfly" des italienischen Komponisten. Die zugrunde liegende Story vom amerikanischen Marineoffizier, der in Nagasaki seine Geliebte samt Kind sitzen lässt, fand in Wahrheit ein Happyend. Die Geisha endete nicht durch Harakiri, sondern als Gattin eines angesehenen Händlers. Er profitierte bei der Öffnung Japans durch Ex- und Import und legte einen - inzwischen zum Touristenmagnet avancierten - prächtigen Garten an. Japan erlebte im 19. Jahrhundert eine bisher ungekannte Modernisierungswelle. In Russland war dies schon zwei Jahrhunderte früher der Fall. Zar Peter der Große wollte selbst die technischen Neuerungen des fortschrittlichen Europa kennenlernen. Er reiste inkognito nach Holland und arbeitete bei einem Schiffsbauer: der historische Stoff von "Zar und Zimmermann". Vertont wurde er äußerst erfolgreich vom Berliner Albert Lortzing, der 1846 einem Ruf als Kapellmeister des Theaters an der Wien folgte. Der Komponist begeisterte das Publikum der Wiener Hofoper auch durch seine Darstellung eines Vagabunden in dem Werk. Das Holzhaus in Zaandam, wo der Zar - heuer vor genau 320 Jahren - Quartier bezogen hatte, zählt "zu den best gehüteten Nationalheiligtümern der Niederlande".
"Arioso" widmet sich dem Sänger Leo Slezak - 1901 bis 1934 Publikumsliebling Nummer 1 der Wiener Oper - und der Diva Maria Callas. Der "Tempel", den ihr (geschiedener) Witwer am Gardasee zu ihren Ehren errichten wollte, ist kein "Schauplatz". Es blieb beim Projekt, die Memorabilien gingen verloren.
Die Idee, Schauplätze von Liedern aufzuspüren und zu schildern, war für Dietmar Grieser schon vor mehr als 40 Jahren spruchreif. Viele andere Projekte sind dazwischen gekommen. Im neuen Buch würdigt er die Gesänge unter dem Motto "Cantabile". Hier verrät er auch, wer in ihm die Liebe zum Wienerlied geweckt hat. Es waren so grundverschiedene Persönlichkeiten wie die Volkssängerin Maly Nagl und der Politikwissenschaftler und Sozialphilosoph Univ. Prof. Norbert Leser.
In "Maestoso" begegnet man vier berühmten Komponisten: Ludwig van Beethoven und seiner verehrten "Elise", die Therese hieß. Richard Wagner, der als fast 70-Jähriger eine Affäre mit einer blutjungen englische Sängerin seines "Parsifal" begann, Johannes Brahms, der aus Karrieregründen nach Wien übersiedelte, und Gustav Mahler, den schon als Kind in der Synagoge seiner Heimatstadt Iglau falscher Gesang störte.
"Addolorato" beginnt mit den "Todesschüssen von Mittersill", wo Anton Webern 1945 Opfer eines amerikanischen Soldaten wurde. Webern war erst 62 Jahre alt. Noch früher ereilte den Komponisten Hugo Wolf, 43-jährig, und den Kammersänger Fritz Wunderlich der Tod. Vor seinem 36. Geburtstag stürzte er am Vorabend einer Amerikatournee über eine Treppe. Wunderlich wurde als "weltbester lyrischer Tenor des 20. Jahrhunderts" berühmt.
Weniger allgemein bekannt, doch ebenso für wunderbare Geschichten gut, waren Maria Pervich und Karl Heinz Reintgen. Die "Kalorienkönigin" Pervich wirkte als legendäre Köchin im Hause Emmerich Kálmán, Reintgen baute den Sender "Radio Belgrad" auf. Dabei entdeckte und verbreitete er das Soldatenlied "Lili Marleen", dem sich Meistererzähler Grieser ausführlich widmet. Der dritte Mann des Kapitels "Leggiero" ist Anton Karas, der es mit seiner Zither zu internationalem Filmruhm brachte.
"Appassionato" lüftet das Geheimnis um Alban Bergs kärntner Tochter Albine Scheuchl, später in Wien Sekretärin der Schriftstellerin Maria Grengg. Andere "Wiener Affären" trugen sich fast in der Gegenwart zu, sie standen in Zusammenhang mit Prominenten wie dem Dirigenten Herbert von Karajan oder dem "Bürgerschreck" André Heller.
In "Quodlibet" findet alles Platz, was irgendwie aus dem musikalischen Rahmen fällt und doch dazu gehört, wie der Enzesfelder Bücherflohmarkt oder der "Opernbus". Schließlich formuliert der Autor den "Dank an meine Musiker", aber nicht nur an diese. Besonders freute er sich im Vorjahr über einen Volkschüler, in dessen Klasse er eingeladen worden war. Der Bub fragte ihn scheu: "Kommst du morgen wieder?" Die Reaktion: "Beschwingter, als es meinem hohen Alter angemessen gewesen wäre, trat ich den Heimweg an. Glückselig und gerührt. Die Stimme eines Achtjährigen hatte mir den Tag vergoldet." Es stimmt ja doch: "Schön ist die Welt". Danke, Dietmar Grieser !