Hans Gerald Hödl, Johann Pock, Teresa Schweighofer (Hg.): Christliche Rituale im Wandel#
Hans Gerald Hödl, Johann Pock, Teresa Schweighofer (Hg.): Christliche Rituale im Wandel
Schlaglichter aus theologischer und religionswissenschaftlicher Sicht. Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft, Band 14 . Vienna University Press bei V&R unipress 2017. 266 S., ill., € 32,99
Der Wandel christlicher Rituale in Mitteleuropa war Thema eines interdisziplinären und internationalen Symposiums an der Universität Wien. Das vorliegende Buch ist mehr als der Tagungsband, es umfasst auch zusätzliche Beiträge von neun ExpertInnen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Dänemark und Melanesien.
Das Herausgeberteam - der Wiener Religionswissenschaftler Prof. Dr. Hans Gerald Hödl, der Wiener Pastoraltheologe Prof. Dr. Johann Pock und die Tübinger Theologin Mag. Teresa Schweighofer - hat die Aufsätze in vier Gruppen gegliedert. Den Einstieg bildet "Paradigmen der Ritualdynamik". Hier hat der Züricher Religionswissenschaftler Rafael Walthert in evangelikalen Gottesdiensten die Interaktionsrituale zwischen Tradition und Emotion beobachtet. Die Analyse zeigt u. a. wie bei den "Celebrations" Technik (Licht, Ton) eingesetzt wird, um Emotionen hervorzurufen und zu steuern.
Das zweite Kapitel trägt den Titel "Zentrale ritualdynamische Prozesse im Christentum". Als Priester hat Johann Pock häufig mit Wünschen von Brautpaaren über katholische "Traumhochzeiten" zu tun. Gerade hier zeigt sich deutlich, dass die Kirchen ihr Monopol auf Rituale verloren haben. Es hilft nichts, zu beklagen, dass Kirchen zur Theaterkulisse "für ein Fest aus Kapital und Eleganz" reduziert werden, meint der Pastoraltheologe. Rituale, die zu den individuellen Lebensgeschichten der Paare passen, bräuchten Veränderung und Variation. Es gelte, "das Neue zu integrieren, ohne das Alte aufgeben zu müssen." Dass "Symbole im Aufwind" sind, haben Freie RitualberaterInnen längst erkannt und bieten Zeremonien für alle Lebenswenden an.
Dieser Szene widmet sich Teresa Schweighofer im dritten Teil, "Inner- und postchristliche Transformationen und Entwicklungen von Ritualen". Sie hat über das Internet 128 Personen gefunden, die in Österreich als RitualbegleiterInnen, Freie TheologInnen, RitualdesignerInnen, ZeremonienmeisterInnen oder RitualistInnen tätig sind. Rund ein Drittel hat ihren Fragebogen beantwortet. "Der/die typische Freie RitualbegleiterIn wäre demnach … weiblich, Mitte vierzig und hoch gebildet. Sie würde in einem sozialen Beruf arbeiten und wäre Mitglied der römisch-katholischen Kirche." Rund drei Viertel bieten Rituale anlässlich einer Geburt, rund um Partnerschaft und Ehe und anlässlich eines Todesfalles an. Dazu kommen viele weitere Anlässe: "Es scheint keine Lebenssituation zu geben, für die nicht das passende Ritual gefunden werden kann." Über die Honorarhöhe gab es kaum Angaben, doch meinte mehr als die Hälfte der Befragten, dass sie von dieser Tätigkeit nicht leben könnten.
Der vierte Abschnitt - "Grundlegende (liturgiewissenschaftliche) Zugänge zum rituellen Wandel" - schließt den Bogen zur "Problemanzeige" der Einleitung. Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann referiert über "neue christliche Rituale in religiös pluraler Gesellschaft". Er erinnert daran, dass Liturgie und vielfältige Rituale der Frömmigkeit über Jahrhunderte unverzichtbare Elemente des Lebensalltags darstellten. Heiligenfeste prägten den Jahreslauf, Segnungen, Prozessionen, Wallfahrten und Devotionalien waren selbstverständlich. Katholische und weltliche Aufklärer distanzierten sich von der "Volksfrömmigkeit". In der modernen, immer komplexer werdenden Gesellschaft ließen die Kirchenbindungen nach. Reformbestrebungen des 20. Jahrhunderts konzentrierten sich auf die Liturgie, andere religiöse Ausdrucksformen verloren an Bedeutung. Nun versuchen Pastoraltheologen, Kirche und Leben wieder zusammen zu bringen. Neue Angebote wenden sich an Menschen, die sich Rituale wünschen, aber keine Kirchenmitglieder sind. So wurden etwa in Deutschland Segnungen für Neugeborene konfessionsloser Eltern, "Lebenswendefeiern", Segnungen von Paaren am Valentinstag oder das "Weihnachtslob" erfunden. Von einer "religionshybriden Festkultur" ist die Rede.
Das Herausgeberteam zeigt sich optimistisch: "Und entgegen eines in der Mitte des 20. Jahrhunderts prognostizierten Verschwindens von Ritualen wird immer deutlicher, dass Rituale nichts an Attraktivität verloren haben. Es entstehen vielmehr neue Rituale innerhalb und außerhalb des Rahmens des Christentums, dessen exklusive Zuständigkeit für eine rituelle Gestaltung des Lebensweges von Europäer_innen zugleich mit dem Wiederaufleben des Bedürfnisses nach diesem schwindet. (Der Soziologe) Michael Hochschild meint: 'Das Ritual ist tot, es lebe das Ritual!' "