Die wiederentdeckte Oberkreuzstettner Kellergasse#
Die wiederentdeckte Oberkreuzstettner Kellergasse. Edition Winkler-Hermaden, Schleinbach. 96 S., ill., € 16,95
Der Autor bleibt anonym - und das ist schade. Ein so hübsches Buch hätte keinen Grund, seinen Verfasser zu verstecken. Liegt es am "Gemeinschaftswerk", das den Mitgliedern des Kellergassenvereins Oberkreuzstetten so wichtig ist? Oder verbirgt sich dahinter der Gesundheitsmanager, der (auch) zum "Kellergassenführer Alexander" geworden ist?
Vor fast einem Vierteljahrhundert hat das Ensemble den "Plus-Minus-Preis" des ORF-Landestudios "für besondere Verdienste um die niederösterreichische Kulturlandschaft" erhalten. Doch dann wurde es still um das "beispielhafte Projekt" bis - und das verrät ein vorangestellter "Kurier"-Artikel - sich der zugereiste Manager in die Kellergasse und dort in ein "buntes, freches Fräulein" verliebte. Die "Neuburger-Regina" wurde seine Frau, das Ehepaar stolze Besitzer zweier Kellerröhren. Auch für die Kellergasse war diese Begegnung der Anfang vom Happy End. Alexander Smyczko fand ein offenes Ohr beim Bürgermeister und dieser bei den Bewohnern. Sie wurden nicht zuletzt durch Förderungen seitens des Bundeslandes und der EU bewogen, ihre Weinkeller zu revitalisieren.
Das Weinviertler Angerdorf Oberkreuzstetten liegt am Nordrand des Kreuttales, am Fuß des Ochsenberges. Auf diesem Berg - der die Grenze der Bezirke Korneuburg und Mistelbach bildet - beindet sich eine mächtige frühgeschichtliche Ringwallanlage. Nicht nur für Paläontologen von Interesse ist der weiche Kalkstein mit seinen Fossilien von Korallen, Schnecken und Muscheln. Man findet ihn auch als Baumaterial in der zweizeiligen Kellergasse an der Bergflanke. Ihr drei bis vier Meter breiter Weg führt an mehr als 50 Kellerröhren vorbei, die zehn bis 20 Meter tief in den Hang gegraben sind. "Es gibt zwar anderswo auch Kellergassen, aber nirgendwo sind diese so ortsverbunden, vielgestaltig und im Ursprung prägnant," schreibt der Autor nicht ohne berechtigten Stolz. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Dutzend Keller instandgesetzt. Seit 2014 gibt es alljährlich ein Kellergassenfest. Doch der Erhaltungsverein möchte sein Kleinod "nicht durch die üblichen Vermarktungsmaschinerien zerstören." Das Buch zeigt mit vielen atmosphärischen Fotos die Schönheiten der Kellergasse und ihrer Umgebung zu jeder Jahreszeit - nur die Windräder am Horizont stören die Idylle.
Die Textbeiträge erzählen viel von der wechselvollen Geschichte der Marktgemeinde Kreuzstetten. Sie war in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen Truppen der Wehrmacht und der Roten Armee. In Niederkreuzstetten wurden sechs Zivilisten getötet, fünf Gebäude durch Brand zerstört und drei Brücken gesprengt. In Oberkreuzstetten kamen drei Zivilpersonen ums Leben. Zeitzeuginnen erinnern sich an die Gräuel im April 1945. Hingegen sind die anderen Beiträge Traditions- und Erfolgsgeschichten.
Wie die meisten war auch der "Keller mit Kuppelgewölbe" einsturzgefährdet. Ab 2010 ließ der neue Besitzer, der als "Maulwurf" oder "graue Eminenz der Kellergasse" gilt, die Kellerröhre einwölben und sogar mit einem überkuppelten Raum ausstatten. Kaum war das Projekt abgeschlossen, erwarben Alois und Margit Ullmann die benachbarte Röhre. In diesem "Keller mit Erdschichten" fanden sie Jahrmilllionen alte geologische Relikte. Sie erweiterten den "Bruderkeller" und statteten ihn mit einem Backofen aus. So können sie ihren Gästen in den beiden Kellern traditionelles Brot und Gebäck anbieten. Die tiefste Röhre, ebenfalls ein Musterprojekt des Revitalisierungsprogramms im 21. Jahrhundert, trägt nun den Namen "Keller zur Einkehr". Das "Tor zur Kellergasse" nennt sich Praterstern und weist ein bodenständiges Heurigenlokal auf. Zuvor wurde das alte Haus entfernt und die Baumpresse der Gemeinde zur Verfügung gestellt, die sie im Ortsgebiet aufbaute. Ähnlich verhielt es sich mit dem "28er Keller". Auch hier war alles baufällig, die historische Presse wurde verkauft. 2015 entdeckte der Großneffe des ehemaligen Besitzers die in den Löss gegrabene Röhre als sein Hobby. Er baute das Presshaus im alten Stil und vergaß auch nicht auf eine "Hohlwegglocke". Damit signalisierten einst die Weinbauern, wenn sie mit ihren schweren Wagen in die schmale Kellergasse einfuhren.
Ein anderer, seit 1741 in Besitz einer Familie befindlicher Keller enthält eine Schausammlung. Hier kann man die alte Arbeitsweise der Weinviertler Hauer kennen lernen. Die meisten bäuerlichen Weinkeller entstanden nach der Aufhebung der Leibeigenschaft, 1781. Wurde zuvor der (geringe) Eigenbedarf in den Bauernhöfen gelagert, entstanden nun in die Lösshänge gegrabene "Dörfer ohne Rauchfang". Im Presshaus stand die große, hölzerne Weinpresse, die Fässer und andere Vorräte lagerten unterirdisch in den langen Röhren. Sie dienten als Zufluchtsort und Kommunikationszentrum. Diese Funktion betont man heutzutage, weil es im Ort weder Wirtshäuser noch Geschäfte gibt. Die Produktionsmethoden haben sich geändert, statt Schmalzbrot kann man auch vegane Speisen bekommen oder Honig aus der eigenen Imkerei, wie bei einem jungen Paar, das zwei "Schwesternröhren" revitalisiert hat.
Mit dem legendären Kellerschlüssel endet eine Serie stimmungsvoller Fotos von Türen, "Vorkappeln", Landschaftsimpressionen und Weinkellern. "Die frischen, weiß getünchten, die betagten grauen, mit grasgrünem oder neuem Tor, alle locken sie, um ihre Geheimnisse zu offenbaren."