Ulrich Metzner: Nachtwächter und Türmer damals und heute#
Ulrich Metzner: Nachtwächter und Türmer damals und heute. Verlag Anton Pustet. Salzburg 2017. 168 S., ill., € 24,-
Seit den 1980er Jahren gilt das Mittelalter als Trend-Epoche, jene ferne Zeit die offensichtlich jede Menge Projektionsfolien für Phantasien bietet. Am Beginn stand eine jugendkulturelle Szene, die "Leben wie im Mittelalter" als Freizeitgestaltung betrieb. Inzwischen hat das "Histotainment" (historical entertainment) eine Reihe von Events hervorgebracht und spielt im Tourismus eine wichtige Rolle. In Eggenburg in Niederösterreich findet die “Zeitreise ins Mittelalter” seit mehr als 20 Jahren statt. Die Waldviertler Stadtgemeinde, Bewohner und Besucher verkleiden sich wie vor Jahrhunderten, rund 300 Künstler und 200 Händler spielen mit. So verwundert nicht, dass hier auch abseits des Events ein Nachtwächter unterwegs ist, der den Gästen auf einsamen und dunklen Wegen die Geheimnisse der Stadt nahebringt.
Rudolf Weiser aus Eggenburg ist einer der modernen Nachtwächter, die Ulrich Metzner in seinem reich illustrierten Buch nennt. Die meisten Bilder zeigen die traditionsbewussten Nachfahren der Berufsgruppe. Der Anhang listet rund 200 Namen und Adressen auf. Der Journalist Ulrich Metzner lernte sein Handwerk bei deutsche Tageszeitungen und machte sich als Chefredakteur von Frauen-, Publikums- und Genussillustrierten einen Namen. Er publizierte etliche Bücher zu den Themen Kochkunst, Länder und Regionen. Sein jüngstes, über die Hüter der Nacht, behandelt mehrere Orte in Österreich - Gramastetten, Judenburg, Krems, Linz, Obertillliach, Perg, Ried im Innkreis, Salzburg, Sandl, Wels und Wien - und 50 weitere in Deutschland.
Das Buch beginnt mit einem doppelseitigen Foto der "Nachtwächter zu Wels". Mit Hellebarde, Horn und Laterne stehen sie bereit für ihren Dienst und "werden gerühmt für den aufregendsten Rundgang mit den abenteuerlichsten Geschichten". Einen passenderen Einstieg gibt es nicht, denn auch das Buch erzählt spannende und kuriose Geschichten, unter anderem von "Minnegesang und Weckrufzwang", vom "Mord des Nachtwächters", von "Lola Montez und Elias Peißner". Zu den Liebhabern der schottischen Landadeligen, Tänzerin und Hochstaplerin zählten nicht nur der bayrische König Ludwig I., sondern auch der Sohn des Vilsecker Türmers, Elias Peißner. Ein Seidenkleid, das die "spanische Tänzerin" in seiner Wohnung zurückließ, ist das Highlight der heute als Museum genutzten Räume.
Das Buch gleicht vielen bunten Mosaiksteinen. Die Geschichten sind in kleine, leicht lesbare Häppchen mit zügigen Titeln unterteilt. Es sind nicht nur amüsante Geschichten. Man erfährt viel über Beruf und Pflichten der Nachtwächter. Noch als das Mittelalter längst vorbei war, sollten sie Vermögen und Gesundheit der Bürger schützen, indem sie für Ruhe sorgten, Feuer, Diebstahl und Raub verhinderten und die Stunden "abzublasen und abzurufen" hatten. Der Autor konnte eine Reihe von Liedern und Sprüchen - wie das bekannte "Hört ihr Leut' und lasst euch sagen. unsere Glock' hat Zwölf geschlagen" - zusammentragen. Er stellt die Ausrüstung, die armselige Besoldung und das geringe Ansehen der Wächter vor, obwohl sie Respektspersonen sein sollten. Darstellungen in Kunst und Literatur kommen nicht zu kurz, am prominentesten Rembrandts Monumentalgemälde "Nachtwache" aus 1642, das für den Festsaal einer Schützengilde bestimmt war. Wenig bekannt dürfte die Posse "Der Nachtwächter" aus der Feder des Wiener Burgtheaterdirektors Theodor Körner sein. Das eigentliche Thema überschreitend, widmet sich der Autor auch Rauchkucheln, Turm- und Stechuhren. Er beschreibt die Türmer des Stephansdoms und die "älteste Feuerwehr der Welt" in Wien. Seit 1534 besorgten Türmer auf dem "Steffl" die Feuerwache, 421 Jahre lang, bis 1955.
Eine Generation später konstituierte sich in Dänemark die "Europäische Nachtwächter- und Türmerzunft", 2004 folgte die "Deutsche Gilde der Nachtwächter, Türmer und Figuren" mit dem Brückenschlag nach Österreich. Als "Figuren" bezeichnen sich traditionsbewusste Männer und Frauen, die in verschiedensten Rollen bei Volksfesten und Histotainment-Events auftreten. Sie spielen Ritter, Hausierinnen, Quacksalber, Spuk- oder Sagengestalten. Ein Vertreter Österreichs ist "der Mandl aus Sandl", der mit seiner Theatergruppe in den Rauhnächten durch die 21 Ortschaften der oberösterreichischen Gemeinde zieht. Dunkel gewandet, samt Stock und Laterne, geben er und seine Mitstreiter bei den "Sagennächten" Schaurig-Schönes zum Besten. Die Hinterglasmalerei von Sandl hat bereits die Aufnahme in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes geschafft. Die Nachtwächtergilde bemüht sich noch darum.