Masumi Schmidt-Muraki: Die Gräfin kam aus Tokyo#
Masumi Schmidt-Muraki: Die Gräfin kam aus Tokyo. Das Leben von Mitsuko Coudenhove-Kalergi. Pilum Verlag Strasshof 2017. 274 S., ill., € 22,-
"Ein österreichisch-ungarischer Graf verliebt sich in Tokyo in eine Kaufmannstochter … Sie reist mit ihrem adeligen Mann nach Europa und spielt in der Wiener Gesellschaft der Jahrhundertwende die Rolle einer angesehenen Dame. Dies ist ein Stoff, wie gemacht für Operette oder Musical." Kino, Fernsehen und Schriftsteller haben das unkonventionelle Leben von Mitsuko Coudenhove-Kalergi, geb. Aoyama (1874-1941) längst entdeckt.
Meist kam sie nicht gut weg, weiß Masumi Schmidt-Muraki. Die Schriftstellerin vefasste eine sachliche, manchmal poetische, Biographie, getragen von tiefer Empathie. Als Japanerin, die in München lebt, kann sie vieles, was Europäern unverständlich bleibt, besser nachvollziehen. Eine Hauptquelle bldet die Autobiographie, die die Gräfin für ihre Kinder schrieb. "Ihre Memoiren sollten niemanden verletzen, auch sie selbst nicht" , kommentiert Masumi Schmidt-Muraki. Die Autorin stellt die Lebensgeschichte in den historischen Kontext.
Als Mitsuko als drittes Kind (eine Übersetzungsmöglichkeit des in Japan häufigen Mädchennamens) eines Antiquitätenhändlers 1874 in Yokohama zur Welt kam, waren erst wenige Jahre seit dem Ende der Edo-Zeit (1603–1867) vergangen, in der sich der Inselstaat vom Rest der Welt abgeschottet hatte. In der Meiji-Ära (1868–1912) beendete der Kaiser die Epoche des Kriegeradels. Das Land nahm diplomatische Kontakte auf und der internationale Antiquitätenhandel blühte. Fürsten mussten ihre Kunstwerke verkaufen, Samurai ihre Rüstungen und Schwerter, die sie nicht mehr tragen durften. Tempelschätze wurden veräußert oder achtlos weggeworden, denn der Buddhismus wich der einheimischen Shinto-Religion.
Die traditionellen Wert- und Moralvorstellungen blieben vom gesellschatlichen Wandel unberührt. Töchter mussten früher oder später jemanden heiraten, den ihre Väter bestimmt hatten (und dafür ein entsprechendes "Verlobungsgeschenk" kassierten). Gehorsam und Unterwerfung - dem Kaiser, dem Vater oder dem Ehemann gegenüber - galten für Frauen als oberste Gebot. Hochzeiten mit Ausländern waren verpönt. Die Fremden galten als rothaarige, weiße Teufel mit blauen Fischaugen und großen Nasen.
Was Österreich betrifft, wird man 2019 das 150 Jahr-Jubiläum der diplomatischen Beziehungen Wien - Tokyo feiern. Schon bald nach dem Abschluss des ersten Handelsvertrages (1869) nahm Japan an der Wiener Weltausstellung (1873) teil. Die Auswahl - 700 Tonnen Frachtgut - traf der Kunstexperte und Dolmetscher Heinrich von Siebold (1852-1908). Der spätere Freiherr schenkte seine Privatsammlung österreichischen Museen. In Japan arbeitete er als Botschaftssekretär, so auch bei Heinrich von Coudenhove (1859-1906), der 1892 seinen Dienst antrat.
Coudenhove entstammte einer, seit dem 13. Jahrhundert bekannten, Familie des brabantischen Uradels. Er war promovierter Jurist und Philosoph, sprach 16 Sprachen und wirkte in Athen, Rio de Janeiro, Konstantinopel und Buenos Aires. Zwei Wochen nach seinem Amtsantritt in Japan heiratete er Mitsuko Aoyama. Sie war die Tochter eines Antiquitätenhändlers, den wohl Siebold mit dem kunstsinnigen Grafen bekannt machte. Er war 33, sie 18 Jahre alt. Die Braut ahnte nichts von ihrem Schicksal. Sie lebte mit ihrem Mann in der österreichischen Botschaft und übte sich in der traditionellen Unterordnung. Bald erkannte sie, es viel besser getroffen zu haben, als andere japanische Frauen. Ihr Gemahl scheint sie wirklich geliebt zu haben. 1895 erfolgte die amtliche Ehegenehmigung und die Legitimation der inzwischen geborenen beiden Söhne. Im selben Jahr empfing "Maria Thekla" die katholische Taufe. Anfang 1896 hieß es von Japan Abschied nehmen, denn ein Diplomat, der eine Einheimische heiratete, musste seinen Dienstort verlassen.
Für die junge Frau war es ein Kulturschock. Zwar hatte sie westliche Etikette und Kleidung kennen gelernt, doch bei der Abschiedsaudienz schärfte ihr die Kaiserin ein, nie den "Stolz der Japanerin" zu verlieren. Dieser Satz begleitete sie ein Leben lang. Die Familie reiste, begleitet von einem Diener und zwei Ammen, Ende Jänner 1896 mit dem Dampfschiff "Gisela" aus, das zwei Monate später Triest erreichte. Ihre Wege trennten sich, als die Kinder mit den Bedienten allein weiter fuhren und das Ehepaar eine Reise nach Jerusalem und Italien - samt Papstaudienz - unternahm. Im Familiensitz Ronsperg (Poběžovice) in Westböhmen bereiteten die Bewohner ihrem Grafen einen enthusiastischen Empfang. Das Schloss im Böhmerwald war Schauplatz für gesellschaftliche und familiäre Kontakte, weitere fünf Kinder wurden geboren.
Heinrich Coudenhove beendete seine diplomatische Karriere, um sich der Gutsverwaltung zu widmen. Nach seinem Tod (1906) oblag es der Gattin, die in Japan nur schulische Grundkenntnisse erworben, sich aber dank des Grafen vielseitig weitergebildet hatte, die Vormundschaften und die Wirtschaftsbetriebe zu übernehmen. Masumi Schmidt-Muraki schreibt: "Sie dachte, sie sei allein für alles verantwortlich, für Kinder, Land- und Forstwirtschaft, Fischzucht, die gesamte Gutsverwaltung und sogar für das japanische Kaiserreich. Sie wurde extrem ehrgeizig und wollte zeigen, dass sie ihre Pflicht mustergültig erfüllte. In zwei Jahren harter Arbeit reorganisierte sie das Gut. "
Danach übersiedelte die Powerfrau nach Wien-Hietzing. Den Söhnen ließ sie am "Theresianum" eine standesgemäße Ausbildung zukommen. Die Töchter schickte sie in vornehme Klosterschulen, befolgte aber den traditionellen Erziehungsstil für japanische Frauen. Die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg erlebte die 33-jährige Witwe als glückliche Zeit. Im Krieg konnte man den Eindruck haben, "dass sie Österreich ihre Söhne opfern wollte", schreibt die Autorin. Die Gräfin wurde kränklich und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück - nicht zuletzt, weil sie mit den Partnerinnen ihrer ältesten Söhne nicht einverstanden war. Sie pflegte ein wenig Kontakt mit Japanern, kehrte aber nie in ihre Heimat zurück. 1925 erlitt sie in ihrem Mödlinger Haus einen Schlaganfall.
Masumi Schmidt-Muraki hat der Familie nicht nur literarisch gedacht, sondern ihr zu Ehren auch mehrere Zengärten anlegen lassen: In der Schweiz beim Grab von Richard Coudenhove-Kalergi (1894-1972), dem Gründer der Paneuropa-Bewegung, beim inzwischen zur Ruine gewordenen Schloss Ronsperg und in Mödling. "In einem Zengarten herrscht Ruhe und Frieden. Das ist der Gartenstil, der in Japan entwickelt wurde, woher ich komme. Aus dieser Kultur heraus möchte ich zum Frieden verleiten."