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Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia#

Bild 'Stollberg'

Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Verlag C.H. Beck, München 2017. 1083 S., ill., € 34,

2017 ist ein Maria-Theresien-Jahr. Vor genau 300 Jahren wurde die Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen geboren. Jubiläen wie dieses motivieren die Nachwelt zu repräsentativen Ausstellungen und Büchern - wie im Vorjahr bei Kaiser Franz Joseph (1830-1916). Solche Gedenkaktivitäten fördern den "Mythos" oder sind bestrebt, Überleferungen zurecht zu rücken.

Der Mythos Maria Theresia lebt. Er speist sich vor allem aus den Darlegungen der Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts, welche die Maßstäbe ihrer Zeit anlegten. So entstand das Bild der resoluten, frommen Landes- und Familienmutter, das den bürgerlichen Idealen entsprach. Nach 300 Jahren war es Zeit für eine neue Biographie. Barbara Stollberg-Rilinger, Professorin an der Universität Münster, und für ihre Forschungen mit zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet, hat sich dieser Herausforderung gestellt. In der mehr als 1000-seitigen Lebensbeschreibung hat die Historikerin den Mythos "gegen den Strich gebürstet". Aber, keine Angst, sie tut es bedachtsam, seriös und überaus kompetent. Zahlreiche Originalzitate der Regentin, ihrer Berater und Familienmitglieder helfen heutigen Lesern, sich in der längst vergangenen höfischen Welt zu orientieren. Sie gewähren Einblick in den Alltag der "Untertanen" und die Ideologie früherer Historiographen.

Vom Prolog bis zum Epilog zeichnet die Autorin in 15 Kapiteln ein spannungsgeladenes Bild der Schwellenzeit zwischen Barock und Aufklärung: "Gegen Ende ihres Lebens war nicht mehr viel von der Welt übrig, in die Maria Theresia im Jahr 1717 hineingeboren worden war. … Alles, worauf einst ihre erstaunliche Zuversicht beim Antritt der Regierung begründet gewesen war, hatte seine Wirkmacht verloren. Sie kam sich vor, wie aus der Zeit gefallen."

Maria Theresia Walburga Amalia Christine erblickte am 13. Mai 1717 in der Wiener Hofburg das Licht der Welt. "Von der Kindheit Maria Theresias wissen wir nicht sehr viel", räumt Barbara Stollberg-Rilinger ein. Um so phantasievoller wurden die ersten Jahre von den bürgerlichen Historikern des 19. Jahrhunderts ausgemalt. Zweifellos galt die Erbtochter des habsburgischen Hauses als "begehrteste Partie Europas". Der Auserwählte war schließlich Franz Stephan von Lothringen, nachdem sein - längst als Bräutigam bestimmter - älterer Bruder jung verstorben war. Eingehend und kenntnisreich schildert die Autorin den höfischen Kosmos, in dem die Hochzeit stattfand, den von klein auf eingeübten adeligen Habitus, die "Logik der Gunst" (nach dem Prinzip do ut des) und die Rolle des "glücklosen Ehemanns".

Als Kaiser Karl VI.1740 starb, hatte er zwar alles getan, um seiner Tochter die Erbfolge zu sichern (Stichwort: Pragmatische Sanktion). Doch die Konkurrenten dachten nicht daran, diese zu akzeptieren, und unter den Untertanen brachen Unruhen aus. Die namenlose Monarchie ("die Erbländer") umfasste zerstreute Territorien auf 730.000 km², allein in den österreichischen Ländern und Böhmen lebten 6 Millionen Menschen. Die Thronfolgerin begeisterte sich für die adelige Tugend des Kriegführens: "Ich bin ganz militärisch". Sie musste sich aber mit "Krieg führen aus der Ferne" begnügen. Der achtjährige Erbfolgekrieg endete mit der Anerkennung ihrer Thronerbschaften, jedoch mit dem Verlust von Schlesien an Preußen. Maria Theresia sann auf Revance, aber der Siebenjährige Krieg (1756–1763) brachte ihr nicht den gewünschten Erfolg.

Nicht zuletzt Strukturprobleme hatten den Erbfolgekrieg ungünstig beeinflusst. Die Regentin lernte daraus und begann noch während dessen mit Reformen. Auf Betreiben ihres Beraters Friedrich Wilhelm von Haugwitz, eines ursprünglich protestantischen Adeligen, schaffte sie traditionsreiche Institutionen ab, richtete neue Justiz- und Verwaltungsbehörden ein, ebenso ein Zentralarchiv. Die Selbstrechtfertigung gegenüber den zahlreichen Reformgegnern war für die Herrscherin stets die Vorstellung vom göttlichen Auftrag der Habsburgerdynastie: Wem Gott die Pflicht des Herrscheramtes auferlege, den befähige er, es richtig auszuüben. Dazu zählte auch die Auswahl und Auswechslung ihrer Berater. Anders als frühere Biographen, die in den Reformen der Jahre 1748/49 die "Geburtsstunde des Kernstaats Österreich" sahen, zieht die Autorin eine kritische Bilanz, die Reformpolitik hätte nicht das verändert, was intendiert war.

Das Hofleben mit seinen unzähligen geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, die unüberbrückbare Kluft zwischen Adel und Untertanen, sind aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen. Aus der Distanz der Jahrhunderte klingt vieles skurril. Schönheit, Liebe und Libertinage, Keuschheit, Gerüchte, Audienzen, Hofstaat, Distinktion und Finessen, Sollenitäten und Divertissements, Ordensritter oder der höfische Stundenplan fallen in dieses Kapitel. Die Autorin macht all das im Kontext des barocken Zeitgeistes einsichtig und verweist so manche Überlieferung ins Reich der Legende, wie das Bild empfindsamer Mütterlichkeit.

Am anderen Ende der Hierarchie standen "unsere getreuen Unterthanen", von denen vor allem Fleiß und Disziplin, Liebe und klindlicher Gehorsam, Treue und Gutwilligkeit erwartet wurde. Zu Zeiten Maria Theresias waren es zu 80 % mehr oder minder unfreie Bauern. "Das Volk" hingegen bezeichnete für sie ein bedrohliches, unzufriedenes Kollektiv. "Bürger" im Sinn von Staatsbürger war ihr unbekannt. Die Untertanenschaft in den Erbländern war nicht einheitlich, "ein Mischmasch aller Nationen" und Religionen. Toleranzpatente blieben Kaiser Joseph II. vorbehalten. Unter seiner Mutter gab es höchstens Zugeständnisse für die "Akatholiken". Juden und Geheimprotestanten bekämpfte sie. Hingegen gefiel ihr die "Mode á la turque" und sie richtete eine Orientalische Akademie für angehende Diplomaten ein. Zur Bildung der Untertanen diente die Reform der Elementarschulen von 1774. Kinder sollten auch spinnen lernen, ein weiterer Beitrag zur Industriepolitik, die Importe - vorallem von Luxuswaren - reduzieren sollte.

"Das Kapital der Dynastie" übertitelt die Autorin das Kapitel über die "Kleinen Herrschaften". Maria Theresia brachte von 1737 bis 1756, vom 21. bis zum 40. Lebensjahr, 16 Kinder zur Welt, von denen zwei früh starben. Nur zwei blieben ledig, die anderen bedeuteten "potentielles Kapital auf dem Heiratsmarkt". Von klein auf wurden sie sittenstreng erzogen und für ihre zukünftige Rolle trainiert, um letztlich Opfer der Politik zu werden, am bekanntesten ist das Schicksal der jüngsten Tochter, Maria Antonia (Antoinette).

Besonders schwierig gestaltete sich das Verhältnis zwischen der Mutter und ihrem Sohn und - seit 1765 - Mitregenten Joseph. Obwohl mehrfach angedroht, hatte die souveräne Herrscherin nie an Rücktritt gedacht. Joseph seinerseits wollte nicht am Schein der Mitregentschaft mitwirken, die keine war. Er verließ Wien monatelang, um sich inkognito ein eigenes Bild von Land und Leuten zu machen. Auch er hätte sich gerne von den Regierungsgeschäften zurückgezogen. Ein weiterer Demissionswunsch, des Staatskanzlers Kaunitz, kam ebenfalls nicht zur Durchführung. Das "Desaster", wie es Barbara Stollberg-Rilinger nennt, bestand eineinhalb Jahrzehnte. Die traditionelle, barocke Welt Maria Theresias steuerte ihrem Ende entgegen. Joseph II. teilte die Lehren der Aufklärer von der angeborenen Freiheit des Menschen. "Der Generationenkonflikt war ein Epochenkonflikt", urteilt die Autorin. Man kann ihre Biographie nicht hoch genug einschätzen. Sie zeichnet das Bild schwieriger Persönlichkeiten in einer Umbruchszeit, belegt alles mit wissenschaftlicher Exaktheit und ergänzt den - trotzdem angenehm lesbaren - Text mit Illustrationen, Farbtafeln und genealogischen Tabelle. Dass dieses großartige Werk die gebührende Anerkennung findet, zeigt nicht zuletzt die zweite Auflage innerhalb weniger Wochen.