Peter Autengruber: Verschwundene Wiener Straßennamen#
Peter Autengruber: Verschwundene Wiener Straßennamen. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach 124 S., ill., € 19,90
Im Sommer 2018 zählt Wien 6.743 benannte Verkehrsflächen. Rund zwei Drittel der Straßen, Gassen, Plätze, Wege, Alleen, Brücken und Stiegen erinnert an Persönlichkeiten. Viele bewahren alte topographische Bezeichnungen oder Hausnamen. Eher selten kommt es vor, dass ganze Viertel thematisch benannt werden, wie in den 1920er Jahren am Wolfersberg nach Planeten oder in den 1950er Jahren in Breitenlee nach Pflanzen. Was die Personen betrifft, sind die Straßennamen ein Spiegelbild der Geschichte. "Anhand der politischen Zäsuren 1918, 1934, 1938 und 1945 zeigte sich der politische Gehalt von Verkehrsflächen besonders deutlich. Mit dem Ende der Monarchie verschwanden zahlreiche "monarchische" Namen, und das Rote Wien setzte neue Akzente …", schreibt der Autor in der Einleitung. Er weist auch darauf hin, dass es sich bei dieser Zusammenstellung um eine Auswahl handelt. Zahlreiche historische Planausschnitte, Ansichtskarten, Fotos und Zeitungsausschnitte illustrieren sie.
Dr. Peter Autengruber verfasste auch das "Lexikon der Wiener Straßennamen", das demnächst in 10. Auflage erscheint. Er war Mitglied der Historikerkommission, die 2011 bis 2013 im Auftrag der Stadt Wien die Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, untersuchte. Die Experten fanden, dass 3,6 Prozent als "historisch kritisch" einzustufen wären. Damals schrieb der Autor das viel beachtete Buch "Umstrittene Wiener Straßennamen". Zahlreiche Schilder haben seither Zusatztafeln mit relevanten biographischen Fakten bekommen, Umbenennungen sollten die Ausnahme bleiben. 2012 beschloss der Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft die Neubenennung des Universitätsrings. Zuvor hatte der Teil der Ringstraße 1870 Franzensring (nach Kaiser Franz I. ), 1919 Ring des 12. November (nach dem Tag der Ausrufung der Republik 1918), und ab 1934 Dr.-Karl-Lueger-Ring (nach Bürgermeister Dr. Karl Lueger) geheißen.
Im Verlauf der Geschichte sind etliche Straßennamen verschwunden. Neun zur Erinnerung an die Barrikadentage 1848 benannte Verkehrsflächen wurden im Dezember des Revolutionsjahres auf Befehl der Stadtkommandantur rückbenannt und nur die Märzstraße, an anderer Stelle, wiederbelebt. Die Stadterweiterungen des 19. Jahrhunderts verursachten große Veränderungen, auch bei den Straßennamen. Jede der bis 1850 selbstständigen 34 Vorstädte (Bezirke 2 bis 9) hatte ihre Hauptstraße, außerdem gab es verschiedene Blumen-, Feld-, Kirchen oder Neue Gassen. 1862 beschloss der Gemeinderat, Mehrfachbenennungen zu beseitigen und eine einheitliche Nummerierung zu gewährleisten. So behielt die Josefstadt ihre Feldgasse, während jene auf der Landstraße jetzt Baumgasse heißt. Die 1890 beschlossene Eingemeindung der 43 Vororte (Bezirke 11 bis 19) brachte eine weitere große Umbenennungswelle: "Es wurden 1.810 Straßentafeln und rund 11.070 Hausnummerntafeln abgenommen und 2.300 Straßentafeln sowie 12.790 Hausnummerntafeln angebracht."
Mit dem Ende der Donaumonarchie verschwanden Habsburger-Namen wie Rudolfsgassen bzw. - straßen und -brücken. Doch die Zäsur fiel vergleichsweise moderat aus, bemerkt der Autor. Erstmals wurden nach 1918 für die Umbenennungen nicht nur "Männer der Kunst und Wissenschaft" herangezogen, sondern auch einige, "die in der Geschichte der Wiener Arbeiterbewegung ihren Platz haben." Über das Ende des Roten Wien schreibt Peter Autengruber: "Der Bürgerkrieg von 1934 schlug sich nicht zuletzt in veränderten Straßennamen nieder. Die symbolischen Verkehrsflächenbenennungen der Sozialdemokratie aus den Anfängen der Republik wurden gelöscht und das Rote Wien aus dem Verkehrsflächennetz entfernt."
Breiten Raum räumt er den NS-Verkehrsflächenbenennungen 1938 ein. "Es gab Lebendbenennungen, vor allem nach Adolf Hitler, Deutschlandbezüge, und es wurde an die sogenannten 'Blutzeugen der Bewegung' erinnert." Ein Foto auf dem Buchumschlag zeigt, den Austausch des offiziellen Schildes "Dollfuß-Platz" durch ein provisorisch wirkendes mit der Aufschrift "Adolf-Hitler-Platz". Bei dem Gebäude handelt es sich aber nicht, wie im Text vermutet, um ein Haus beim Rathaus, sondern um eines auf dem (seit 1946) so bezeichneten Rooseveltplatz. Markante Plätze wie dieser bei der Votivkirche zählen zu den "oftmals Umbenannten". 1919 erhielt der vorherige Maximilianplatz (1875) den Namen Freiheitsplatz, 1934 Dollfußplatz (wie auf dem Foto zu sehen), 1938 Hermann-Göring-Platz, 1945 Freiheitsplatz, 1946 Rooseveltplatz.
Während sich die Westalliierten bei Denkmälern bescheiden gaben, setzten die Sowjets deutliche Zeichen im Öffentlichen Raum und wünschten sich Straßenbenennungen. Ein Teil des Schwarzenbergplatzes hieß ab 1946 Stalinplatz. 1956 wurden die russischen Straßenbezeichnungen "auf allgemeines Verlangen" abgeschafft. Manche Namen sind, wie der Autor schreibt, "zu Recht", andere auf Grund veränderter Bebauung, verschwunden. Die Thavonatgasse hinter dem Alten AKH wurde erst zum Fußweg und 2011 ganz aufgelassen. Als letzter Rest hing nur noch die Straßentafel beim Eingang zum Universitätscampus. Der großzügige Spender einer Invalidenstiftung, Ignaz Freiherr von Thavonat, hatte schon einmal "seine" Straße (in Favoriten) verloren. Auch der 2. Hof im Alten AKH heißt nicht mehr nach ihm. "Ob Thavonat, der alle Erinnerung an ihn im öffentlichen Raum verloren hat, irgendwann irgendwo in Wien wieder eine Verkehrsfläche erhält, ist ungewiss".