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Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht#

Bild 'Duden'

Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht. Eine Sprach- und Kulturgeschichte. Dudenverlag Berlin. 224 S., ill., € 15,-

1880 erschien unter dem Titel "Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache" das Rechtschreibwörterbuch des Gymnasialdirektors Dr. Konrad Duden (1829-1911). Zu seinen Lebzeiten erreichte es acht Auflagen, anfangs mit 27.000 Einträgen. Die aktuelle 27. Auflage von 2017 ist mehr als fünfmal so stark, sie umfasst 145.000 Wörter. Doch kommen nicht nur stets neue Begriffe dazu, es werden auch welche gestrichen. Als die Druckereien noch mit Stehsatz arbeiteten, musste sich der Platzbedarf der entfernten und neuen Einträge die Waage halten. So diente der Stehsatz der 12. Auflage aus der NS-Zeit als Basis der ersten Nachkriegsausgabe. Es ging um acht Zeilen: "Anstelle von Hitler, Hitlergruß oder Hitlerjunge wurden Wörter wie Hirtenschaft, Hirtentäschel oder Hirtentum aufgenommen", schreibt Peter Graf.

Die Dudenredaktion hat den Lektor und Verleger gebeten, Geschichten über die gestrichenen Wörter zu erzählen. Peter Graf ist eine unterhaltsame und faktenreiche Sprach- und Kulturgeschichte in 20 Kapiteln gelungen. Am Ende enthält jedes seine persönliche Auswahl (offizielle Listen gibt es keine) samt Angabe der Bedeutung und Änderungszeit. Zum Einstieg fragt der Autor "Einfach schön?" und bietet eine subjektive Blütenlese dessen, was in fast 140 Jahren aus dem Wörterbuch verschwunden ist. Dazu zählen etwa "einpaschen" (einschmuggeln), "Flugmaschine" (Luftfahrzeug), "schabernackisch" oder "nachdenksam."

Was im Duden steht, entscheidet die Redaktion aus dem Fundus des "Dudenkorpus", einer Sammlung von 4,5 Mio. Wortformen aus Printmedien und Gebrauchstexten. In die nähere Wahl gelangen Wörter, die häufig, regelmäßig und in verschiedenen Textsorten vorkommen. Viele Vorschläge für Neuaufnahmen erreichen die Redaktion, Zuschriften bezüglich Streichung sind wesentlich seltener. Da sich das Nachschlagwerk an der Praxis orientiert, entfallen Wörter, wenn sie außer Gebrauch geraten. Bei der Mode geht das schnell. So verschwanden 1957 der "Schwitzer" (Verdeutschung von Sweater), 2000 der "Leibrock" (Gehrock) und 2013 der "Autocoat" (kurzer Mantel für Autofahrer).

Der Autor reichert seine Kapitel mit umfangreichen Zitaten an, die das kulturelle Umfeld erhellen, beispielsweise Kulinarisches und Genussmittel. So etwa Briefe des Schriftstellers Jean Paul, der 1802 in Thüringen lebte, an einen Bayreuther Freund, er solle ihm doch bitte möglichst schnell dortiges Fassbier senden. Der Dichter war ein Wortschöpfer- Angsthase, Gänsefüßchen und Weltschmerz stehen im Duden - doch hat er vielleicht das Exportbier, nicht aber das Wort erfunden. Die Bezeichnung von untergärigem, länger haltbarem Bier wurde eliminiert, ebenso wie jene für eine Gemüsebeilage, die man "Zugemüse" nannte. Mit anderer Bedeutung (auf gut Wienerisch "Adabei") verwendete es der österreichische Satiriker Moritz Saphir: "Es gibt Menschen, die … bloß als Zugemüse in jeder Gesellschaft zu finden sind … und niemand will das Zugemüse abschaffen, obwohl es nur wenige genießen."

Oft entsteht der Eindruck, dass die Zahl der aus dem Englischen oder Amerikanischen übernommenen Wörter zunimmt und sie die Alltagssprache prägen. Dazu meint Peter Graf: "Der Duden scheint das zu widerlegen." Der Anteil an Anglizismen liege seit Jahren konstant bei 3,7 %, in der ersten Auflage waren es 1,36 %. "Hochrechnungen zeigen, dass Wörter lateinisch-griechischer Herkunft noch wesentlich häufiger sind. Und Wörter, die aus dem Franzosischen ihren Weg zu uns gefunden haben, kommen in ihrer Zahl an die aus dem Englischen fast heran." Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung bezeichnete den Anteil von Anglizismen an der deutschen Sprache als marginal. Unter den zehn meist verwendeten Substantive waren Dollar, Team, Partner, Trainer, Job und Computer; bei den Verben: starten, stoppen, testen, trainieren, parken; bei den Adjektiven: fair, live, fit, clever, sexy und happy.

Das 20. und letzte Kapitel des lesenswerten Buches beinhaltet gestrichene Wörter, die später wieder aufgenommen wurden. J.W. Goethe verfügte über einen Wortschatz, der sechsmal größer war als der heute übliche. Ein eigenes Lexikon listet 93.000 Wörter auf, die der Dichter verwendete. Er und seine Zeitgenossen waren von "Automaten" fasziniert. So nannte man damals Androiden und mechanische Tiere, wie "der Flötenspieler" oder "die verdauende Ente". Ein Jahrhundert später war in Großstädten das "Automatenrestaurant" der letzte Schrei. 1961 wurde das Selbstbedienungslokal gestrichen, 1973 wieder aufgenommen. Das gleiche Schicksal erlebten "Esperantist" (Kenner des Esperantos) und "Umschuldung" (Kredite in günstigere umwandeln). Auch Filmdiva, Lobby, Streikrecht und viele andere sind wieder in den Duden zurückgekehrt.

"Sprache lebt und entwickelt sich weiter, in keinem Bereich ist dies deutlicher zu spüren, als im Wortschatz" , stellt die Redaktion einleitend fest. Peter Grafs Essays beziehen ihren Stoff aus dem Rechtschreibduden, den die meisten Menschen mit der Marke verbinden und der die längste Tradition besitzt. Heute umfasst das Standardwerk zwölf Bände. 1935 brachte der Verlag sein erstes Bildwörterbuch heraus, dessen zweite Auflage erst 1958 erschien. Bilder daraus illustrieren das vorliegende Buch. Eine gute Idee, aber schade, dass die feinen Striche, weiß auf rotem Grund, kaum zu erkennen sind.

hmw