Georg Markus: Das gibt's nur bei uns#
Georg Markus: Das gibt's nur bei uns. Erstaunliche Geschichten aus Österreich. Amalthea Signum Verlag Wien. 304 S., ill., € 26,-
Georg Markus zählt zur raren Spezies der Geschichte-Erzähler. Der Schriftsteller, Zeitungskolumnist und Sachbuchautor ist jedoch kein leichtfertiger Geschichtenerzähler. Stets geht seriöse Recherche seinen unterhaltsamen Texten voraus. Das beweist das jüngste Werk ebenso, wie Markus' zahlreiche bisherige Bestseller.
Die neuesten erstaunlichen Storys handeln von "typisch österreichischen" Ereignissen und Persönlichkeiten. Den spektakulären Einstieg bilden die Erinnerungen, die Johann Loschek, "der Kronzeuge von Mayerling", aufgeschrieben hat. 80 Jahre nach dem Tod des Kammerdieners von Kronprinz Rudolf stellten Loscheks Erben dem Autor bisher unveröffentlichte handschriftliche Aufzeichnungen zur Verfügung. Als einziger noch lebender Zeuge diktierte der damals 83-jährige Johann Loschek 1928 seinem Sohn "Die richtige Darstellung des Dramas von Mayerling". Darin heißt es, dass der Kammerdiener frühmorgens die Pferde einspannen lassen sollte. Kaum hatte er das Schloss verlassen, hörte er zwei Detonationen und bemerkte Pulvergeruch. Er eilte zum Schlafzimmer, das der Kronprinz, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten, abgesperrt hatte. Mit Hilfe eines Jagdgastes öffnete Loschek die Tür. "Welch grauenhafter Anblick. Rudolf lag entseelt auf seinem Bette, ganz angezogen. Mary Vetsera ebenfalls auf ihrem Bette vollständig angekleidet. Rudolfs Armeerevolver lag neben ihm. … Von der Anwesenheit einer dritten Person und dass Glasscherben am Kopfe Rudolfs steckten, ist wie so vieles über den Tod frei erfunden."
Von den zwei Dutzend Kapiteln sind etliche prominenten Kriminalfällen gewidmet. Unter den Opfern waren Franz Lehár, Paula Wessely und Leo Slezak. 1936 entwendeten ein Friseur und eine Schneiderin Schmuck und Wertgegenstände aus Lehárs Stadtwohnung. Der Leiter des Wiener Sicherheitsbüros nahm sich selbst des Falles an und konnte ihn innerhalb von 48 Stunden lösen. Paula Wessely erhielt 1937 einen Erpresserbrief. Ihr Gatte, Attila Hörbiger, sollte 50.000 Schilling in einer Dose an der Bundesstraße bei Fischamend deponieren. Der Schauspieler legte sich mit mehreren Kriminalbeamten auf die Lauer und sie konnten den Erpresser stellen. Im selben Jahr wurde die Wohnung von Kammersänger Leo Slezak aufgebrochen. Was den Künstler am meisten schmerzte, war der Verlust der Orden, die er im Lauf seiner Karriere aus aller Welt erhalten hatte. Auch dieser Fall konnte geklärt werden. Georg Markus hat jedem Kapitel einen Anhang beigefügt. Dort bringt er passende Anekdoten, darunter etliche Klassiker. Wenn manches auch nicht wahr sein sollte, ist es jedenfalls gut erfunden. "Nichts liebte Slezak mehr, als seine Kollegen auf der Bühne in unangenehme Situationen zu bringen. In Wagners Rheingold umjubelt, flüsterte er während eines hochdramatischen Duetts seiner Partnerin zu: 'Morgen ist Ostern - möchtest du lieber harte oder weiche Eier?' Worauf diese, dem Textbuch gemäß, zu singen hatte: 'Weiche, Wotan, weiche!' Der Rest der Arie ging in lautem Gelächter unter."
Schon 2001 schrieb Georg Markus, ganz im Sinne seines verehrten Vorbilds Friedrich Torberg, "Die Enkel der Tante Jolesch". Darin stellt er fest, dass Torberg der besagten Tante wohl nie begegnet ist, und sein Wissen über die Symbolfigur österreichisch-jüdischen Humors ihrem Neffen Franz verdankte. Nun machte sich Markus auf Spurensuche und fand den "Onkel Jolesch" im Amtlichen Wiener Telefonbuch von 1925, wo drei Teilnehmer dieses Familiennamens aufscheinen. Mit journalistischem Spürsinn verfolgte er gleich die richtige Spur. Julius Jolesch war Generaldirektor der Textilwerke Mautner AG in Wien 9, Michelbeuerngasse 9a. Weitere Forschungen ergaben, dass der 1862 in Iglau Geborene 1893 die 18-jährige Gisela Salacz, wohnhaft in Wien 9, Stroheckgasse 2, heiratete. Ihr Vater war Arzt in Budapest, als Trauzeugen fungierten ein Arzt und ein Rechtsanwalt. Friedrich Torberg wollte sein Erfolgswerk 1975 mit einem Familienfoto illustrieren, das vermutlich Gisela Jolesch zeigt. Weil es dem Verlagslektor nicht gefiel, blieb es unverwendet. Georg Markus bringt es nun in seinem Buch. Dem Kapitel über Tante Gisela fügt er nicht nur Anekdoten, sondern auch einige ihrer sprichwörtlich gewordenen Zitate bei, etwa "Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist."
Hingegen ist es wirklich ein Glück, dass Georg Markus wieder in seiner unerschöpflichen Geschichts-Schatztruhe gesucht und interessante Geschichten gefunden hat. Darunter sind echte Raritäten, die es "nur bei" ihm gibt. Er konnte sich das Vertrauen von Informanten erwerben und manche Archivschätze erstmals veröffentlichen. Dazu zählen etwa die Scheidungsdokumente des Prinzen Philipp von Coburg und dessen Gemahlin Louise von Belgien (Schwägerin Kronprinz Rudolfs), ein Tonband, auf dem die 96-jährige Maria Zimmermann ihrer Enkelin von Gustav Klimt, dem Vater ihrer zwei Kinder, erzählt. Der Autor widmet sich so unterschiedlichen prominenten und populären Persönlichkeiten wie Georg Lahner, Erfinder der Frankfurter (bzw. Wiener) Würstel, Alexander Girardi, Johann Strauß, Karl Kraus, Räuberhauptmann Grasel, Franz Liszt, Josef Kainz, Peter Altenberg, Ludwig van Beethoven oder Johann Nestroy. Dieser ist u. a. mit seinem zeitlosen Zitat "Der Mensch ist gut, die Leut' sind ein Gesindel." vertreten.