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Michael Staribacher und Christian Wiesinger: Sterzfresser und Gnackwetzer#

Bild 'Staribacher'

Michael Staribacher und Christian Wiesinger: Sterzfresser und Gnackwetzer. Lexikon der Weinviertler Orts-Spitznamen. Mit Zeichnungen von Thomas Wolf. Edition Winkler-Hermaden, Schleinbach. 144 S., ill., € 19,90

Es war einmal ein Brauch, der darin bestand, dass die Pfarrer statt der Predigt lustige Geschichten erzählten. Am Ostersonntag sollten die Gläubigen nach der langen Fastenzeit ertragen hatten, wieder etwas zu Lachen haben. Allerdings waren die Ostermärlein oft derb und wurden daher von der kirchlichen Obrigkeit verboten.

Wenn heute ein Pfarrer in seinen Gemeinden Spitznamen sammelt und publiziert, ist auch vieles dabei, das die Betroffenen nicht gerade ehrt. Der Weinviertler Theologe Christian Wiesinger war Kaplan und Jugendseelsorger und betreut jetzt als "Wandlungsreisender" die vier Pfarren Gaubitsch, Unterstinkenbrunn, Eichenbrunn und Patzmannsdorf. Gemeinsam mit dem Projekt-Berater Michael Staribacher, der u. a. ein zweibändiges Weinviertler Dialektlexikon geschrieben hat, legt er die erste vollständige Liste der Dorf-Spitznamen im Weinviertel vor. So weit möglich, erklären die Autoren deren Hintergründe, historische Fotografien und originelle Zeichnungen von Thomas Wolf ergänzen das Buch.

Spitznamen sind Witznamen, "oft die konzentrierte Version einer Schildbürgergeschichte". In ihrer Einführung erläutern die Autoren eine Reihe von Faktoren, die zur Entstehung von Orts-Spitznamen führten: besondere Gewohnheiten, Landschafts- und Wirtschaftsformen, Herkunft, Mentalität, Reime, Schimpfwörter, Sagen, Ortsneckereien. Die Autoren halten ausdrücklich fest, dass sie niemanden ärgern wollten und auch nichts erfunden haben. "Spitznamen gibt es wahrscheinlich, so lange es Namen gibt", schreiben sie und den antiken Komödiendichter Aristophanes, der die Athener "Maulaufsperrer" nannte. Die Niederösterreicher wurden im 16. Jahrhundert als "Paschaller" bezeichnet, weil sie immer gerne (wie zu Ostern) gut essen und nie fasten. Im 19. Jahrhundert war die Bezeichnung "Flaschltrager" (Weinbauer) für sie ebenso geläufig wie "Stigelhupfer" (Fußsoldat) für die Oberösterreicher und "Stierwascher" für die Salzburger.

Vor dem humorvollen alphabetischen Ortsverzeichnis werden noch die Bewohner bestimmter Regionen mit Spitznamen bedacht. So lernt man die Bewohner des Weinviertels als "Muglhupfer" kennen: Sie springen über kleine Hügel. Die Pulkautaler nannte man "Sterzfresser", was sie als Konsumenten einfacher Speisen charakterisierte. Hingegen kritisierte schon der Minnesänger Neidhart von Reuenthal die reich gewordenen Tullnerfelder, die sich wie die Herren in Samt und Seide kleideten. Der Spottname "Protzenbauern" ist ihnen geblieben.

Die Bewohner von Altruppersdorf brauchten sich der Bezeichnung "Bergler" nicht zu schämen. Altruppersdorf, die höchstgelegene Katastralgemeinde von Poysdorf, liegt am Südhang der dritthöchsten Erhebung des Weinviertels, des 420 m hohen Haidbergs.

In Bisamberg waren die "Lavendelzupfer" beheimatet. Die in den Weingärten zahlreich gedeihenden duftenden Pflanzen wurden bis in die 1920er Jahre von "Lavendelweibern" in Wien verkauft.

Nicht gerade für die Drösinger sprach, dass die "Finsterlümmeln" frühmorgens auf der Fensterbank lümmelnd, die Hand hinausstreckten, um festzustellen, ob es noch finster oder schon hell war.

In Eichhorn spielten einmal Burschen dem Gemeindediener einen Streich, der die Glocke im Turm zu läuten hatte. Sie umwickelten den Klöppel, wodurch die Glocke stumm blieb. Die Bewohner mussten sich mit dem Spitznamen "Stummleiter" abfinden.

Die "Gnackwetzer" waren in Falkenstein zu Hause. Als Weinbauern trugen sie häufig die Butten am Rücken, was den Haarwuchs am Genick behindert haben soll.

Über Gerasdorf bemerkte 1835 ein Reisender: "Die Einwohner treiben besonders mit dem hier berühmten Kohlkraut einen namhaften Handel nach der Residenzstadt Wien." Vom Spitznamen "Krauthappler" schrieb er nichts.

Die Männer von Hanfthal kamen am Aschermittwoch im Gasthaus zum "Distelvertrinken" zusammen. Je mehr Schoppen Wein einer konsumierte, umso weniger Disteln sollten auf seinen Feldern wachsen, daher der Name "Distelvertrinker".

In Kleinbaumgarten sollen besonders fromme Leute gelebt haben. Man nannte sie die "Himmeltirl-Schmierer".

Das Land um Laa an der Thaya ist ein bekanntes Anbaugebiet für Zwiebel. Währen as Zwiebelfest als neuer Brauch entstand, verschwand der frühere Spottname "Zwiefelbehm".

Mit "Mistelbacher" waren nicht die Bewohner der Bezirkshauptstadt genannt, sondern die Wiener Polizisten, die dort in der Zwischenkriegszeit einen Erholungsurlaub verbrachten.

Weil die Burschen von Neudorf bei Staatz als streitbare Gesellen bekannt waren, bekamen sie den Beinamen "Messerstecher". Überdies zeigt das Wappen der Marktgemeinde ein Schwert.

In Oberhautzendorf baute man Linsen in großen Mengen an. Daher hießen die Bauern "Linser".

In Poysbrunn lebten viele vom Gurkenhandel, man nannte sie "Gurkentandler".

"Abessinien", ein Ortsteil von Radlbrunn, verdankte einer Faschingsmaske, dem "König von Abessinien", seinen Namen.

In Straudorf musste man sich mit dem Spottnamen "Strudlwascher" abfinden. Man erzählte von einer Bäuerin, die dem Gesinde mit einem Pferdewagen Essen brachte. Auf dem holprigen Feldweg fiel ihr ein Strudel in eine kotige Pfütze, den sie dann ihn in der nahen Schwemme reinigte.

Die Tiefenthaler erhielten ihren Spottnamen des Reimes wegen: "Tiafathaler - große Prahler - schlechte Musikant'nzahler"

In Utzenlaa wachsen Traubenkirschen ("Ölexen"), die man nicht wie Nüsse "bosst" (herunterschlägt), sondern pflückt. Die Bewohner wurden als "Ölexnbosser" gehänselt.

Die Wilfersdorfer Burschen stahlen einem Bauern ein Schwein. Damit er dieses nicht erkannte, bemalten sie es mit großen, schwarzen Flecken und heißen seither scherzhaft "Schweinfärber".

Nicht nur in Zwentendorf an der Zaya waren Zweckerl (Teigwaren) mit Fisolen eine typische Fastenspeise. Doch nannte man die die Zwentendorfer in einem Wortspiel, "Zweckerldorfer".

Im Anhang, der auch Anmerkungen enthält, nennen die Autoren zahlreiche InformantInnen und geben die schriftlichen Quellen an. Als Nachsatz des Buches sind alle Orte auf einer Landkarte markiert. Nur ein Wunsch bleibt offen: ein Register der Spitznamen.