Michael Ambrosch: Die Rostock-Villa in Klosterneuburg im Wandel der Zeit#
Michael Ambrosch: Die Rostock-Villa in Klosterneuburg im Wandel der Zeit. Das Ehepaar Rostock. Die Standfaßwerke Rostock & Baerlocher. Hg. Österreichischer Heimatbund Beskidenland. Wien 2019. 153 S., ill., € 26,- (erhältlich beim Autor, Mail: die_rostock_villa@gmx.at)
2015 war die Rostock-Villa in Klosterneuburg "das Wahlkampfthema Nummer eins". Die 1921/22 erbaute Industriellenvilla samt Nebengebäuden auf einem 3000 m² großen Grundstück hat eine bewegte Geschichte. Unter anderem war darin von 1999 bis 2015 das Mährisch-Schlesische Heimatmuseum untergebracht. Sein langjähriges Vorstandsmitglied Michael Ambrosch wollte mehr über das Objekt wissen, "und so kam es, dass das Haus und ich ins Gespräch kamen." Ergebnisse seiner intensiven Forschungen liegt nun vor, hervorragend illustriert durch historische Pläne und eindrucksvolle Fotos.
Seit dem 14. Jahrhundert bestand in Klosterneuburg ein Schützenverein. Nachdem er 1878 seine Schießstätte verkauft hatte, wurde diese teilweise verbaut. Unter den Eigentümern befand sich die Nußdorfer Brauerei ebenso wie Private. 1921 erwarb der Unternehmer Reinhold Rostock (1869-1945) das Anwesen. Als gelernter Schlosser arbeitete er im Maschinenbau und war in der Pionierzeit der Straßenbahnen in deutschen Städten als Monteur für elektrische Fahrleitungen tätig. 1895 kam er nach Wien, wo er als Ingenieur bei der Elektrifizierung von Eisenbahnen, u. a. der Badner Bahn, mitwirkte. Um die Jahrhundertwende begann er als Unternehmer mit dem Bau von Zement-Glasfässern für Wein und Bier. Die erste Fabrik, "Rostock und Hoffelner" befand sich in Klosterneuburg und war vor dem Ersten Weltkrieg auch in Argentinien tätig. Bis 1932 hatte die Firma 300 Monteure und realisierte Projekte in allen Weltteilen (außer Australien).
Ab 1920 firmierte das Unternehmen als "Standfaßwerke Rostock & Baerlocher". Ein Jahr später kaufte der Industrielle das 3000 m² große Grundstück in der Schießstattgasse 2 und ließ nach Plänen von Architekt Walter Jakob Tobler ein neoklassizistisches Ensemble errichten. Das Herrenhaus erhebt sich rechts auf 300 m², das Stöckl mit 173 m² links. Eine Arkade mit 30 m² verbindet die Bauteile. Im Herrenhaus führte eine stichkappen-gewölbte Halle in die beiden Salons. Zwischen den aus dunklem Holz reich gegliederten Türen befand sich ein aufwendig gestalteter Kamin, den ein Ölgemälde Klosterneuburgs aus der Erbauungszeit krönte. Die Wände waren mit dunklen Holzkassetten vertäfelt. An der Schmalseite der Halle führte eine gewendelte Holztreppe in das Obergeschoß. Vom großen Salon kam man durch eine faltbare Doppelflügeltür auf die Veranda, die zum Garten überleitet. Im Obergeschoß des Herrenhauses gelangt man, oberhalb der Veranda, zu einer Terrasse. An das Herrenhaus schließt der Wirtschaftsteil mit einer Nebentreppe an. Sie führte zum Dachboden, wo sich Reinhold Rostocks Laboratorium befand. Er hatte schon früh begonnen, Beschichtungen für seine Lagertanks zu erfinden. Das Stöcklgebäude enthielt Wohnungen, u. a. für den Neffen der Hausherrin. Die Terrasse auf der Arkade zwischen den Häusern konnte man nur vom Herrenhaus, nicht vom Stöckl betreten. Außerdem umfasste die Anlage Stallgebäude, Garagen, eine schmiedeeiserne Pergola und geräumige Gewölbekeller. Sie ist von einer Mauer umgeben, bei der eine Stiege zur tiefer gelegenen Hundskehle führt.
Nach dem Freitod des Besitzerehepaares diente die Rostock-Villa 1945 bis 1955 als sowjetische Ortskommandantur. Seit 1958 im Besitz der Stadtgemeinde Klosterneuburg, beherbergte das Haus 1964 bis 1973 ein Altenheim, 1974 bis 1983 eine Sonderschule, 1994 bis 1998 das Stadtmuseum. 1975 bis 2015 entfaltete das Mährisch-Schlesische Heimatmuseum in der Rostock-Villa zahlreiche kulturelle Aktivitäten. 1990 bis 2015 nützten auch das Klosterneuburger Feuerwehrmuseum und die Galerie des Künstlerbundes Räumlichkeiten darin. Nebenbei diente das Gebäude als Filmkulisse (u. a. "Der Fälscher", "Kottan") und Theater. Allerdings war der Verfall nicht aufzuhalten und die Schäden unübersehbar. Nutzungsprojekte wurden entworfen und verworfen. 2008 übernahm das Land Niederösterreich die Liegenschaft. Es kündigte die bestehenden Bittleihverträge mit den Museen und bot das Objekt - u. a. im Onlineportal „Willhaben“ - zum Kauf an. Der Künstlerbund war schon übersiedelt, das Feuerwehrmuseum wurde geschlossen. Für das Heimatmuseum fand sich zwar kein Ersatzquartier, aber doch eine akzeptable Lösung. Nachdem das Bundesdenkmalamt die Bestände als "schützenswerte Einheit" eingestuft hatte, wurden sie von der Niederösterreichischen Landesbibliothek, dem Niederösterreichischen Landesarchiv und der Niederösterreichischen Landessammlung als unwiderrufliches Geschenk übernommen. Kaum zu glauben, aber für die Rostock-Villa gab es ein Happy End: Dr. Shirin Milani-Helletzgruber und Mag. Kurt Philipp Helletzgruber kauften das Anwesen und revitalisierten es mustergültig. Sie "lieben alte Häuser", sagen die neuen Besitzer. 2018 erhielten sie für ihr Engagement den Stadtbildpreis der Gemeinde Klosterneuburg.