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Guido Fuchs: In der Bahnhofsgaststätte#

Bild 'Fuchs'

Guido Fuchs: In der Bahnhofsgaststätte. Ein literarisches Menü in zwölf Gängen. Verlag Monika Fuchs. Hildesheim 2019. 260 S., ill., € 18,-

Bahnhöfe sind nicht nur Infrastruktureinrichtungen, sondern oft auch Schauplatz von Emotionen. Ganz besonders gilt das für die Restaurants, die es früher in den Stationen gab. Abschied und Wiedersehen wurden hier gefeiert, Hunger und Durst gestillt, das Warten verkürzt, Erinnerungen und Zukunftshoffnungen geweckt. Dem entsprechend spielen nobel ausgestattete Restaurationen mit befrackten Kellnern ebenso wie herabgekommene Lokale eine Rolle in der Literatur. Guido Fuchs, Bahnreisender, Theologe und Publizist, hat dem Speisen auf Reisen im vorliegenden Buch eine literarisches Menü in zwölf Gängen gewidmet. Seine Blütenlese reicht von den Anfängen der Eisenbahn bis in die Gegenwart und geografisch vom deutschsprachigen Raum, quer durch Europa nach Nord- und Süd-Amerika, China und Indien. "Schon bald nachdem die ersten Züge auf dem Kontinent rollten - in den 1830er Jahren -, entstanden an den Haltestationen die ersten gastronomischen Einrichtungen, von vorausschauenden Gastwirten errichtet, in Österreich zunächst, kurz darauf auch in Deutschland und in der Schweiz." Die 1825 bis 1832 errichtete, älteste kontinentaleuropäische Pferdeeisenbahn diente dem Salztransport. Sie führte über 128 km - auf Holzschienen - von Budweis in Böhmen nach Linz in Oberösterreich. Auf halbem Weg liegt der Scheitelbahnhof Kerschbaum (Gemeinde Rainbach im Mühlkreis). Hier trafen zur Mittagszeit Personenzüge aus Linz und Budweis ein. Die Pferde wurden gewechselt und die Passagiere konnten sich im Gasthaus stärken. Unter ihnen befand sich der Burgschauspieler und Journalist der "Theaterzeitung", Franz Carl Weidmann (1787-1867). Seine Eindrücke waren weit entfernt von dem, was der heutige Nostalgiebahnhof in "Kutscher-Stub'm" und "Biedermeierstüberl" als Spezialitäten bietet. Weidmann schrieb 1837: "Das aufgetischte Mahl bestand aus Suppe, Rindfleisch mit zwei Saucen, Braten und Salat. Der Braten teilte sich in Hühner- und Wildbraten. Der letztere war gänzlich ungenießbar und verbreitete einen entsetzlichen Gestank im ganzen Zimmer. Die übrigen Speisen waren gut zubereitet."

Bei Peter Rosegger (1843-1918) und Eisenbahn denkt man vor allem an die Geschichte, als der Waldbauernbub " das erste Mal auf dem Dampfwagen saß". Später reiste der Dichter gerne. " Für Fremde, die sich auf Volksstudien verlegen, sind solche Einrichtungen von großem Werte. Und dann erst die Wirtshäuser! Jeder Bahnhof ein Wirtshaus, jeder 'Stationschef' ein Gastwirt! So oft der Zug halten mag, steht vor der Wagentür ein gedeckter Tisch, an dem sich Zugführer, Schaffner und Passagiere mit aller Gemächlichkeit laben können. Haben wir gegessen und getrunken, dann richten wir uns wieder langsam her zur Weiterfahrt bis zur nächsten Restauration."

Ganz anders war die Stimmung im Bahnhofscafé des Wiener Südbahnhofs, das Heimito von Doderer (1896-1966) in seinem Roman "Die Strudlhofstiege" beschrieb: "Diese Lokalitäten waren zu jener Zeit sehr gepflegt … Um die dunklen Marmorsäulen schwebte die traditionelle Atmosphäre eines Wiener Cafés, Mokkaduft und Zigarettenrauch … hier nahm man außer Kaffee in den sechs verschiedenen Formen der Bereitung und des Services, höchstens ein Schinkenbrot zu sich oder Eier. Es gab immer genügend leere Tische …"

Manche Gäste waren gar keine Reisenden, sondern kamen der guten Küche wegen. Wie angeblich Erzherzog Rainer und seine Gemahlin Maria Karolina, das beliebteste und populärste Paar des Kaiserhauses. Die beiden sollen gerne das Restaurant des Wiener Südbahnhofs aufgesucht haben, um dort "ein köstliches Schlumpelkraut" zu genießen. Die Wiener Dichterin Trude Marzik (1923-2016) erinnerte sich gerne an die Sommerfrische ihrer Kindheit in Plank am Kamp (Niederösterreich) und die dortige Bahnhofsrestauration der Familie Wirth. "Das Besondere beim Wirth war die gute Küche. Hausmannskost vom Feinsten. … Erst nachdem wir jahrelang begeistert dort gegessen hatten, zog der Wirt, auf Drängen meiner Mutter, diese wunderbare Köchin kennen zu lernen, eine blasse, verlegen lächelnde Frau ans Licht des Extrazimmers und stellte sie als Erzeugerin all der Köstlichkeiten, Mutter seiner Kinder und seine Frau vor. "

Alf Schneditz zählt zur jüngsten Generation der zitierten Autoren. Der Germanist und Übersetzer ist in Österreich aufgewachsen und lebt in Italien. Im Innsbrucker Hauptbahnhof sinniert er über die Heimat: "Würstel mit Senf. Hendlhaxen im Gastgarten. Das k.u.k. Reich der Kartoffel und Knödel, das war die Heimat. … Innsbruck Hauptbahnhof. Das Bahnhofsrestaurant. Preiswerte Hausmannskost. Die Bedienung ist stets rasch und freundlich. Schweinsbraten mit Knödel und Sauerkraut. Ein Seidel Bier … Liegt nicht im Innsbrucker Bahnhofsmenü, in der Dreifachheit von Schweinsbraten, Knödel und Sauerkraut, das Geheimnis unserer menschlichen Natur verborgen? … Die Heimat, die wahre, sie geht durch Magen und Bauch!" , schrieb er 2001. Ein Jahrhundert zuvor bestanden in den Zügen Wagen der 1., 2., 3. und 4. Klasse, auch die Gaststätten bzw. Wartesäle waren entsprechend differenziert. Ausstattung und Service reichten "von vornehm-gediegen bis einfach-rustikal". Die zahlreichen Bahnhöfe der österreichisch-ungarischen Monarchie boten Schriftstellern wie Ödon von Horváth, Alfred Polgar, Alexander Roda Roda, Joseph Roth, Franz Werfel oder Stefan Zweig reichlich Anschauungsmaterial für Erzählungen. Der Salzburger Markt- und Eisenbahnforscher Michael Populorum meint über das bunt gemischte Publikum: "vom vornehmen Geschäftsreisenden bis zu diversen 'Deix'schen Faktoten' und 'Biertipplern' reicht die Palette, aber auch 'normale Reisende' finden sich dort ein." Unter den Bahnhofsgaststätten gab es "legendäre Speisekathedralen" ebenso wie gemütliche Stüberln, in denen die Reisenden die Zeit bis zum Umsteigen überbrückten. Mit verbesserten Verbindungen haben die kulinarischen Warteräume ihre Funktion verloren und sind dementsprechend verschwunden. Guido Fuchs setzt ihnen mit seinem Taschenbuch ein Denkmal. Selbst in jungen Jahren "Fahr-Schüler", kennt er sie nur zu gut. Später studierte der Autor Musikwissenschaft, Theologie und Byzantinistik und habilitierte sich zum Thema "Mahlkultur". Der Professor für Liturgiewissenschaft. leitet in Hildesheim am Institut für Liturgie und Alltagskultur die Forschungsstelle für Kulinaristik und Religion. 2016 wurde er mit dem Wissenschaftspreis des Kulinaristik-Forums ausgezeichnet.

hmw