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Thomas Hofmann, Mathias Harzhauser, Reinhard Roetzel: Meeresstrand und Mammutwiese#

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Thomas Hofmann, Mathias Harzhauser, Reinhard Roetzel: Meeresstrand und Mammutwiese. Geologie und Paläontologie des Weinviertels, Edition Winkler-Hermaden Schleinbach 2019. 138 S., ill., € 21,90

"Weinviertel! Dort, wo die Gesteine des Alpenbogens und die Granite der Böhmischen Masse sanft in den Untergrund absanken und die Kleinen Karpaten mit niedrigen Bergen auftauchen, trägt die sanfte Hügellandschaft diesen dionysischen Namen … das Weinviertel ist kein hohes Land, sondern ein weites Land mit (geologischem) Tiefgang." Thomas Hofmann, Leiter der Bibliothek der Geologischen Bundesanstalt, Mathias Harzhauser, Abteilungsdirektor der geologisch-paläontologischen Abteilung am Naturhistorischen Museum und Reinhard Roetzel, Leiter der Fachabteilung Sedimentgeologie an der Geologischen Bundesanstalt, laden in diesem Buch zur Zeitreise durch 600 Millionen Jahre ein.

So alt sind die Granite im Thaya-Batholith mit seinen Varietäten. Zu dessen Besonderheiten zählen die Amesthystgänge bei Eggenburg und Maissau. Im 18. Jahrhundert fertigte man aus dem lila und weiß gestreiften Mineral "ziemlich hübsche Tabaksdosen", wie ein Zeitgenosse schrieb. Heute zählt die Maissauer Amethystwelt zu den Top-Ausflugszielen in Niederösterreich. Ein anderes bekanntes Touristenziel ist die Retzer Windmühle. Die 13 m hohe, einzige betriebsfähige und vollständig eingerichtete Windmühle Österreichs entstand 1853 und wurde 2010 wieder funktionsfähig gemacht. Doch nicht nur das Industriedenkmal ist von Interesse, sondern auch sein Standort auf dem Retzer Kalvarienberg. Rund um die Windmühle liegen große abgerundete Gerölle aus der miozänen Brandungszone. Vor 18 Millionen Jahren bedeckte das offene Meer der Parathetis diese Gegend. "Nach dem Regen glitzern auf frisch geackerten Feldern rund um Unternalb mitunter kleine Zähne von Sand- und Makohaien, die in den flachen Lagunen jagten", haben die Autoren beobachtet. Im 20 km langen und 20 Meter langen Kellerlabyrinth unter der Retzer Altstadt fanden sich Spuren der Krabben und Garnelen, aus dem flachen Meer.

Doch auch größere Tiere bevölkerten im Eggenburgium und Ottnangium (21,5 bis 17,2 Millionen Jahre vor heute) die Region. In den geschützten Lagunen lebten Seekühe. Sie wurden vermutlich Opfer eines Tsunami, der ihren Lebensraum zerstörte. Das Krahuletz-Museum in Eggenburg bewahrt ein Skelett. Als weitere Raritäten sind dort ein Krokodilschädel, ein Delphinkopf und Reste eines Kohletiers, das an eine Mischung aus Tapir und Flusspferd erinnert, ausgestellt. Fossile Muschelschalen, Seeigel und Algen sind Ablagerungen im berühmten Zogelsdorfer Stein. Der "weiße Stein von Eggenburg" fand in der Umgebung bei Sakraldenkmalen und Gebäuden Verwendung. In der Barockzeit und in der Ringstraßenära brachte man das leicht zu bearbeitende Material nach Wien, u. a. für den Bau von Schloss Schönbrunn und die Herkulesstatuen der Hofburg.

Das Weinviertel ist das geologisch am besten erforschte Gebiet Österreichs, schon im 19. Jahrhundert gab es Untersuchungen. In den 1990er Jahren war das Korneuburger Becken Ziel konzentrierter wissenschaftlicher Bearbeitungen. Ein internationales Team von 40 Experten konnte hier mehr als 650 fossile Tier- und Pflanzenarten - von winzigen Algen bis zu Nashörnern - nachweisen. Am Teiritzberg bei Stetten liegt ein fossiles Austernriff. Die paläontologische Grabung umfasste fast 500 m². 200 freiwillige MitarbeiterInnen legten in dreimonatiger Arbeit 15.000 Riesenaustern und unzählige Muscheln, Schnecken und Seekuhknochen frei. In einem aufwändigen Projekt des Naturhistorischen Museums und der Universität Wien wurde die Fläche gescannt und eine Datenwolke aus mehr als einer Milliarde Datenpunkten generiert. Heute ist das größte fossile Austernriff der Welt die Hauptattraktion der "Fossilienwelt Weinviertel". Das Pleistozän (2,6 Millionen Jahre bis 11.700 Jahre vor heute) war die landschaftsprägende Phase des Weinviertels. Eiszeitlicher Löss - Staub und Flugsand aus den Gletschervorfeldern - bildet mehrere Meter dicke Schichten, die sich als Ideal für den Weinbau und die Anlage von Kellergassen erwiesen. 2016 entdeckte man beim Straßenbau im Löss die 2 ½ m langen Stoßzähne des "Bullendorfer Mammuts", das vor 17.000 Jahren in der Lösssteppe lebte. Wollhaarnashörner, Rentiere, Riesenhirsche, Wisente und Höhlenhyänen waren seine Zeitgenossen.

Neben der geologischen Entwicklung der Landschaft und der Geschichte der einstigen Lebewesen befassen sich eigene Kapitel mit angewandten Themen wie den Baugesteinen des Weinviertels, den Mineralwässern, den Erdöl- und Erdgasvorkommen, der „bewegten Erde“ sowie der Forschungsgeschichte von Geologie und Paläontologie der Region. Aus dem Löss wurden luftgetrocknete Ziegel geformt, aus dem Lehm Mauerziegel für Wohnhäuser gebrannt. Granit, Kalk und Sandstein fanden bei öffentlichen und repräsentativen Bauten Verwendung. Historische Fotos zeigen, wie riesige Blöcke des Zogelsdorfer Kalksandsteins zur Bahn verfrachtet wurden, mit der man sie nach Wien transportierte. Der Steinbruch befand sich im Besitz der Freiherren Suttner, in deren Familie die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner einge heiratet hatte.

Seit dem Mittelalter nutzte man die Weinviertler Thermal- und Mineralwässer. Aus Bad Pirawarth ist dies 1376 belegt. 1827 weilte Erzherzogin Sophie, die Mutter Kaiser Franz Josephs, hier zur Kur. Die Mineralquelle von Laa an der Thaya war den Betreibern der Brauerei seit dem 19 Jahrhundert bekannt. Heute gewinnt man dort Vitus-Mineralwasser. Die Therme Laa wird mit 42 Grad warmem Wasser aus einer Tiefe von fast 1500 m gespeist. Die wichtigsten Bodenschätze, Erdöl und Erdgas, wurden im 20. Jahrhundert entdeckt, 1949 bei Matzen das bisher größte zusammenhängende Erdölfeld Mitteleuropas. 1983 stellte die ÖMV bei Zistersdorf mit 8553 m einen Tiefenrekord auf.

Zahlreiche Rekonstruktionen, paläogeografische Karten und Fossilbilder ergänzen das Buch, dessen letztes Kapitel "Forschungs- und Erfolgsgeschichten" übertitelt ist. Hier lernt man Pioniere der geologischen Anstalt ebenso kennen, wie passionierte Hobbyforscher. Einer von ihnen war der "schrullige Baron" Candid Ponz von Engelshofen (1803-1866), Besitzer von Gut Stockern bei Maria Dreieichen. Er legte umfangreiche geologische, mineralogische und naturkundliche Sammlungen an. Nach seinem Tod wurde der junge Heimatforscher Johann Krahuletz (1848-1928) sein Nachfolger. Krahuletz eröffnete 1900 in Eggenburg das nach ihm benannte Museum und pflegte Kontakte, u. a. zum bedeutendsten Geologen seiner Zeit, Eduard Suess (1831-1914), dem Wien die I. Hochquellenwasserleitung verdankt. Der internationale Gelogenkongress 1903 brachte "das Who's who der damaligen Scientific Community" in das Krahuletz-Museum. "Eine ähnliche Renaissance der Forschungsschiene Eggenburg und Rest der Welt leitete Fritz F. Steininger ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ein." Der Paläontologe veröffentlichte mehr als 250 wissenschaftliche Publikationen und ist Direktor des Naturmuseums in Frankfurt/Main. Seine Heimatstadt verewigte Steininger, indem er den chronostratigraphischen Begriff "Eggenburgium" für einen Zeitabschnitt von 21,5 bis 18,1 Millionen Jahren einführte.

hmw