Uli Jürgens: Louise, Licht und Schatten#
Uli Jürgens: Louise, Licht und Schatten. Die Filmpionierin Louise Kolm-Fleck. Mandelbaum Verlag Wien 2019. 240 S., ill., € 20,-
Seit 2018 gibt es den "Louise-Fleck-Filmpreis" für Nachwuchsfilmerinnen. Seine Namensgeberin Louise Veltée, verehel. Kolm bzw. Fleck (1873-1950) war die erste österreichische Regisseurin (und zweite weltweit), schrieb zwei Dutzend Drehbücher, führte weit über 100 Mal Regie, besorgte den Schnitt und gründete, gemeinsam mit ihrem Ehemann Anton Kolm (1865-1922) , ihrem Bruder Claudius (1867-1918) und dem Kameramann Jakob Fleck (1881-1953) die "Erste Österreichische Kinofilms-Industrie", aus der sich die Rosenhügelstudios entwickelten. Die Wissenschaftsredakteurin Uli Jürgens zeichnet ebenso kompetent wie mitreißend die Biographie der Filmpionierin, die sie als "gleichzeitig ruhender Pol und treibende Kraft" charakterisiert.
Das Talent für publikumswirksame Darbietungen war Louise Veltée "in die Wiege gelegt". Ihr Großvater Benedikt Advinent (1801-1862) war der Besitzer der damals größten reisenden Menagerie Europas. Mitte des 19. Jahrhunderts gastierte er u. a. mit dressierten Löwen, Eisbären, Affen, Riesenschlangen, Papageien etc. in den Hauptstädten. Er brachte erstmals lebende Krokodile nach Europa und belieferte den kaiserlichen Tiergarten Schönbrunn. Seine älteste Tochter Charlotte (* 1825) trat mit ihrem Vater als Dompteuse auf und leitete nach seinem Tod mit ihrem Ehemann die Menagerie. Die mittlere, Johanna (1831-1918), wählte einen anderen Zugang zum Publikum. Sie ehelichte 1853 in Wien ihren Cousin Louis Veltée (1829-1897). Dieser war, wie sein Vater, ein bekannter Pyrotechniker, später auch Bühnenbildner, Fotograf und Inhaber des "Stadtpanoptikum" auf dem Kohlmarkt. Beide Familien stammten aus Lyon. Kurz nachdem die Brüder Lumière in Wien - begleitet von kaiserlichem Wohlgefallen - ihre sensationellen ersten Filme vorführten, schaffte Louis Veltée einen Cinématographen an. Seine Frau Johanna, geb. Advinent, war ebenfalls in der Unternehmensführung tätig und leitete als Witwe das Stadtpanoptikum. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, Claudius, der später ebenfalls dort und in der Firma seiner Schwester mitarbeitete, und Aloisia (Louise).
Louise Veltée heiratete als knapp Zwanzigjährige den Bankbeamten Anton Kolm (1865-1922). Bald sattelte er um und eröffnete in der Liechtensteinstraße ein elegantes Fotoatelier. Er fertigte Portraits, später auch Filme an, wobei seine Frau wesentlich beteiligt war. "In den Jahren 1908 bis 1941 arbeitete Louise Fleck unglaublich intensiv", schreibt Uli Jürgens über die "kleine, resolute Frau mit großem Herzen". 1909 gab es in Wien 76 Kinematografentheater, sechs Jahre später doppelt so viele, das Stadtpanoptikum zählte von Anfang an dazu. Kinobesitzer fielen unter das Vagabundengesetz und mussten sich jedes Jahr um eine neue, teure Konzession bewerben. Den Kaiser durften anfangs nur ausländische Firmen filmen. 1910 gründeten Anton und Louise Kolm sowie ihr Bruder Claudius Veltée und der Kameramann Jakob Fleck die "Erste Österreichische Kinofilms-Industrie". Johanna Veltée unterstützte das Unternehmen. Die ersten Produktionen zeigten "Aktualitäten" wie den Faschingszug in Ober St. Veit, das Begräbnis Bürgermeister Luegers oder den kaiserlichen Besuch auf dem Wiener Neustädter Flugfeld. Doch bald wagte man sich an literarische Stoffe wie Grillparzers "Ahnfrau" oder das damals überaus populäre Allerseelenstück "Der Müller und sein Kind" von Ernst Raupach. Die Uraufführung erfolgte im Stadtpanoptikum.
1911 etablierte das Gründer-Quartett die "Wiener Kunstfilm-Industrie Gesellschaft." Der Firmenname war Programm, man wollte Kunst machen und begann mit Arthur Schnitzlers Stück "Liebelei", bearbeitet vom Dichter. Bis 1912 entstanden 48 Dokumentationen und zumindest 15 Spielfilme. Im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs produzierten Julius Fleck und Louise Kolm ihren 100. Film. Sie feierte mit ihrem Mann Silberhochzeit, doch musste sie 1918 auch den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders ertragen.
Nach Anton Kolms Ableben heiratete seine Witwe Jakob Fleck. Sie übersiedelten 1926 nach Berlin, wo sie ihre Arbeit wie gewohnt fortsetzten. Widerstrebend freundeten sie sich mit dem Tonfilm an und waren auch dabei erfolgreich. Inzwischen hatte der jüngere Sohn, Walter Kolm, nicht nur den Pilotenschein sondern auch eine Ausbildung zum Tonmeister gemacht. 1931 wirkte er an der ersten Regiearbeit von Luis Trenker, "Berge in Flammen" mit. 1937 war "Der Pfarrer von Kirchfeld (die bereits 3. Fleck-Bearbeitung des Anzengruber-Stückes) der letzte österreichische Film.
Jakob Fleck hatte die nationalsozialistische Gefahr unterschätzt und ein Angebot von Warner Brothers, in die USA zu kommen, abgelehnt. In einem der ersten Transporte wurde er nach Dachau deportiert, seiner Frau gelang es, ihn aus dem KZ freizukaufen.1940 fand das Ehepaar, inzwischen 66 und 58 Jahre alt, Zuflucht in Shanghai. Anfangs konnten sie ihren Beruf auch dort ausüben, doch galt es dann, den Pazifik-Krieg zu überleben. Als das Ehepaar 1947 nach Europa zurückkehrte, hatte Walter Kolm-Veltée schon die "Wiener Kunstfilm" wieder gegründet. Die Uraufführung seiner Großproduktion "Eroica" mit dem jungen Oscar Werner erfolgte 1949 im Rahmen der Salzburger Festspiele. Dem einst gefeierten Regiepaar Louise und Jakob Fleck gelang kein Comeback. Das Motto der Filmpionierin war immer gewesen: "Wir machen einen schönen Film, denn wenn er mir gefällt und gut wird, dann gefällt er auch dem Publikum."