Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Susanne Schicho: Hundemenschen#

Bild 'Schicho'

Susanne Schicho: Hundemenschen. Multispecies Family Lives und ihre biografischen Folgen. Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie, Band 24. Jonas Verlag Weimar 2019. 104 S., € 18,-

Ein Hundemensch ist ein Mensch, "der den Lebensstil Hundehaltung praktiziert". Die Autorin zählt zu ihnen. Die akademisch geprüfte Kynologin arbeitet als Hundetrainerin, -sitterin, -halterin und Beraterin von Mensch-Hund-Teams. Besondere Erfahrung erwarb sie als langjährige ehrenamtliche Betreuerin in einem Heim für Tierschutzhunde. Durch ihre Ausbildung an einer Veterinärmedizinischen Universität verfügt Susanne Schicho über weitaus mehr als Grundlagenwissen über Hunde und hat die Möglichkeit, Kynologie, Kulturanthropologie und Verhaltensforschung zu verbinden. "Hunde sind der rote Faden in meinem Leben" , schreibt sie. So lag das Thema ihrer Masterarbeit in Europäischer Ethnologie auf der Hand. Das Fach begann sich in den späten 1990er Jahren für "Kultur mit Tieren" (Human-Animal-Studies, HAS) zu interessieren. Inzwischen ist vom multispecies turn die Rede, und Tiere werden als "neues Modethema der Wissenschaften" bezeichnet.

Für ihre Multispecies-Forschung hat die Autorin zwischen Jänner 2016 und März 2017 acht Forschungsgespräche mit ihr bekannten fünf Hundemenschen geführt, alle "weiblich, Mittelschichtangehörige, Interesse am Tierschutz bzw. Kontakt mit Tierschutzhunden". Die meisten kamen aus belasteten Familien und fanden beim Hund "Heimat". Die Arbeit beschäftigt sich mit Fragen des Zusammenlebens von Menschen und Hunden, mit der Forschungsthese, "dass Hunde unsere Lebensführung und somit auch unsere Biografie grundlegend und genau so, wie Menschen es tun, beeinflussen können."

Häufig war in den Forschungsdialogen von "Meilensteinen oder Wendepunkten im Lebenslauf" die Rede. Manche Hundemenschen haben ihre Wohnung aufgegeben oder sich mit ihrer Familie zerstritten, weil ihnen der vierbeinige Partner wichtiger war als bisherige Ordnungen. Jemand verzichtete sogar auf den Kinderwunsch. Eine der Interviewten übersiedelte mehrmals in immer größere Wohnungen, inzwischen lebt sie mit 14 Hunden auf einem Bauernhof und plant, noch weitere aufzunehmen.

Hundehaltung ist ein Teil des Lebensstils, wie die Gesamtheit der kulturellen Praktiken bezeichnet wird. Kauft jemand einen bestimmten Rassehund als Statussymbol wie eine bestimmte Automarke, ist dies noch lange kein Lebensstil. Dafür müsste sich der ganze Alltag an dem Tier orientieren, wie bei einer Interviewpartnerin: "Sie fuhr keine Limousine mehr, sondern einen Kombi, in dem mehr Platz für einen Hund war. Sie wählte gezielt einen Arbeitsplatz, an dem sie kaum Dienstreisen antreten musste und ihre freien Tage nach der notwendigen Betreuung ihres Hundes richten konnte. … Sie richtete ihr Freizeitverhalten vollkommen nach ihrem Hund aus und wählte auch ihre Urlaubsziele entsprechend hundegerecht." Die Reaktionen von Nicht-Hundemenschen auf ihren Lebensstil erlebten die Gesprächspartnerinnen "als teilweise belastend, enttäuschend oder auch frustrierend." Studien zufolge bezeichnen die Hälfte bis drei Viertel aller HundehalterInnen ihr Haustier als Person. Einige feiern dessen Geburtstag oder das Jubiläum des Beisammenseins mit einer Torte. "Hunde, die bei Hundemenschen leben … führen meist alles andere als ein Hundeleben im gängigen Wortsinn," schreibt die Autorin.

Sie sieht ihre Forschungsthese bestätigt. Hunde können biografische Akteure sein, oder Agents, die im Zusammenleben mit Menschen gewisse Rollen einnehmen, wie Psychotherapeut, Freund, Heimat oder Kinderersatz. Sie können stabilisierend, ruhe- und friedensstiftend wirken und zum subjektiven Glücksgefühl beitragen. Zu möglichen negativen Konsequenzen meint die Autorin: "Durch Hunde haben Menschen verminderten Freiraum, sind extremer psychischer und physischer Belastung durch die übernommene Verantwortung oder die geringere Sauberkeit im Haushalt ausgesetzt." Aus der Sicht der Vierbeiner überwiegen die positiven Aspekte. Nachteile hat das enge Zusammenleben, wenn Hunde zu sehr in die menschliche Welt des Wettbewerbs hineingezogen werden - "höher - schneller - weiter!". Das kann zu Stress und Verhaltensauffälligkeiten führen, die beide Teile belasten.

Die Forschungsergebnisse zeigen, wie interessant es wird, wenn sich KulturanthropologInnen nicht auf die Beziehungskulturen zwischen Menschen beschränken. Bei der Multispecies-Forschung ist interdisziplinäre Methodenvielfalt gefragt. In ihrer Pionierarbeit ist es Susanne Schicho gelungen, "das Gewöhnliche ungewohnt zu machen, es so zu schildern, dass sichtbar wird, wie außergewöhnlich es ist." (Pierre Bourdieu)

hmw