Thomas Aigner (Hg.): Hoffen auf die Ewigkeit #
Thomas Aigner (Hg.): Hoffen auf die Ewigkeit. Gründung und Entfaltung des Benediktinerklosters (Klein) Mariazell im Wienerwald im 12. und 13. Jahrhundert. Kral-Verlag Berndorf. 504 S., ill., € 39,90
Mariazell im Wienerwald, auch Kleinmariazell genannt, ist ein Geheimtipp unter den österreichischen Klosteranlagen - und von Geheimnissen umwoben. Etliche aus seinen ersten beiden Jahrhunderten wurden jetzt gelöst. 19 ExpertInnen erläutern in 25 Kapiteln dieses ebenso wissenschaftlichen, wie ansprechend gestalteten Werkes Gründung und Entfaltung der mittelalterlichen "Cella". Nach fast 650 Jahren wurde eines der ältesten Benediktinerklöster Niederösterreichs im Zuge der Josephinischen Reformen 1782 aufgehoben. In den 1960er Jahren hielt man es für richtig, große Teile zu demolieren, doch kam es eine Generation später zu einem "ganz besonderen Glücksfall". Die Revitalisierung, die als Musterbeispiel der Denkmalpflege gilt, machte großflächige archäologische Grabungen möglich. Die Kirche, das Hauptwerk des Malers Johann Baptist Wenzel Bergl aus 1764/1765, wurde restauriert und 2007 sogar zur Basilika erhoben. Nach zwei Jahrhunderten entstand das Kloster neu. Anstelle der Benediktiner betreut nun der Orden der "Brüder Samariter" den Wallfahrtsort an der Via Sacra.
Lange Zeit hat man angenommen, dass der heilige Markgraf Leopold III. Mariazell im Wienerwald gestiftet hätte. Doch die Autoren haben herausgefunden, dass es sich bei den grundlegenden Urkunden, dem "Stiftsbrief" von 1136 und einem eine Generation jüngeren Dokument, um Fälschungen handelt. Das trifft aber, so Thomas Aigner über die Quellenlage, auf viele mittelalterliche Stiftungsbriefe niederösterreichischer Klöster zu: Fast alle entstammen einer späteren Zeit, als sie angeben. Für Mariazell gilt die Entstehung zwischen 1246 und 1266 als sehr wahrscheinlich. Als "unzweifelhaft" bezeichnet der Diözesanarchivar die Stiftung der Brüder Heinrich und Rapoto (vermutlich um 1120), die Schenkung von Weingärten durch Markgräfin Agnes (um 1137) und die Schenkung von Wald durch Herzog Heinrich II. (nach 1169). Hingegen seien die Rolle Markgraf Leopolds und die Bestätigung aller Schenkungen durch Herzog Heinrich "nicht authentisch". Im 12. Jahrhundert kamen Urkunden mit Siegeln auf, um die Gültigkeit eines Rechtsgeschäftes nachzuweisen und eventuelle Ansprüche Dritter abzuwehren. Das führte dazu, dass die Empfänger Urkunden selbst neu anfertigten.
Umschreiben und neu erzählen, wie der Mediävist Karl Brunner seinen Beitrag übertitelt, ist also notwendig. Er schließt ihn: Die Frühgeschichte der beiden Klöster am Eingang des Wienerwaldes, Heiligenkreuz und Mariazell mag nicht in allen wünschenswerten Details aufzulösen sein, aber ihr langfristiger Erfolg hinterlässt einen eindruckvollen "Fußabdruck". … Der Konvent repräsentiert eine Adelsschicht, die der Landesfürst ganz offensichtlich respektieren musste, bis man im Kloster selbst auf die Idee kam, mit den Nachbarn gleichzuziehen und sich ebenfalls als Fürstengründung darzustellen.
Das zweite Kapitel widmet sich den Anfängen des ältesten Mariazell. Udo Fischer, Benediktiner des Stiftes Göttweig, stellt den Kontext der Gründung an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert dar. 1083 hatte Bischof Altmann von Passau das Doppelstift Göttweig gegründet. Drei Jahre nach seinem Tod entstand aus dieser Gemeinschaft der Chorherren und Chorfrauen eine Benediktinerabtei. Vermutlich alle Niederösterreichischen Benediktinerklöster (mit Ausnahme von Melk) wurden von Göttweig aus besiedelt. Vermutlich kamen von hier auch die ersten Patres in das Triestingtal. In vier weiteren Beiträgen lernt man die Region mit ihrer mittelalterlichen Besiedlung und den frühen Adel kennen.
Im dritten Abschnitt geht es um die Entfaltung des Klosters. 1995/96 lieferten die Ausgrabungen des Bundesdenkmalamtes grundlegende Erkenntnisse darüber. Die Bauhistorikerin Marina Kaltenegger erläutert sie detailreich in Text und Bild. So zeigte sich, dass der Bauplatz erst (brand)gerodet werden musste, unter der Kirche fand man Wurzelstöcke von Aufbäumen und einen Bachlauf. Die erste Klosterkirche war ein einfacher Saal, in dem ein Lettner Mönche und Laien trennte. Auch materielle Hinterlassenschaften des 12. und 13. Jahrhunderts kamen bei den Ausgrabungen zutage. Die Archäologin Iris Winkelbauer fand in der Kirche und im Außenbereich 313 Gräber und 377 Verstorbene, überwiegend Männer zwischen 20 und 60 Jahren. Neben Särgen verschiedener Typen stellen ein Krummstab und der "Schuhfund" Besonderheiten dar. Dieses seltene Objekt aus Leder ist eines der ältesten seiner Art. Johann Weißensteiner vom Wiener Diözesanarchiv erörtert Kloster und Pfarre(n) anhand von Pfarrprotokollen aus den 1760er Jahren, vor der Klosteraufhebung. Danach kamen 49 Handschriften aus Mariazell in das Stift Lilienfeld, wo sie Eugen Novak vom Diözesanarchiv St. Pölten erforschte und interessante Schlüsse auf Musik und Liturgie ziehen konnte.
Das letzte Kapitel behandelt den Ausbau. Dazu zählten nicht nur die Entwicklung Vom kleinen Kloster zur großen Abtei, wie sie die Kunsthistorikerin Barbara Schedl dokumentiert, sondern auch das kulturelle Leben des Konvents. Themen sind u. a. Bibliothek, Buchmalerei oder die marianische Inschrift am Westportal des Gotteshauses. Einen Blick in die profane Umwelt ermöglichen Abhandlungen über Adel, Burgen und Herrschaftssitze um 1300.
Ein umfangreicher Anhang bringt zunächst die wichtigsten Urkunden in deutscher Übersetzung. Sie stammen vom kürzlich verstorbenen, langjährigen Leiter des Badener Rollett-Museums, Rudolf Maurer. Thomas Aigner hat eine weitere grundlegende Quelle, das älteste Necrologium, tabellarisch zusammengefasst, Eugen Novak Handschriften aufgearbeitet. Auf diese Weise entsteht ein umfassendes, an neuen Erkenntnissen reiches Bild einer Epoche, die für das Werden Niederösterreichs entscheidend war. Als geistliches Zentrum und Motor der Kolonisierung prägte Mariazell die Entwicklung der Region wesentlich mit. "Hoffen auf die Ewigkeit" ist bereits der vierte Band der Serie MCellA, Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur des ehem. Benediktinerstiftes Mariazell in Österreich. Auf die weiteren darf man sich schon freuen.