Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Karin Almasy - Heinrich Pfandl - Eva Tropper (Hg.) : Bildspuren – Sprachspuren #

Bild 'Almasy'

Karin Almasy - Heinrich Pfandl - Eva Tropper (Hg.) : Bildspuren – Sprachspuren. Postkarten als Quellen zur Mehrsprachigkeit in der späten Habsburger Monarchie. Transcript Verlag Bielefeld. 344 S., ill., € 42,-

1869 begann die Correspondenz-Karte ihren Siegeszug in der Habsburger-Monarchie. Anfangs ohne Bild, aber mit aufgedruckter Marke, blieb sie rund ein Jahrhundert ein beliebtes Kommunikationsmedium. Das Porto betrug 2 statt 5 Kreuzer für einen Brief, dafür gab es aber auch kein Briefgeheimnis. Eine Seite war für die Adresse, die andere für die Mitteilung bestimmt, die in einer Art Telegrammstil verfasst werden sollte. Der Erfinder, der aus Klagenfurt stammende Nationalökonom Emanuel Hermann lobte dies als Bildungsfortschritt: Wir besäßen in Bälde eine eigene Telegramm-Briefsprache… Schon zwei Jahre später waren bei den Postämtern neben einsprachig deutschen auch deutsch-böhmische, deutsch-polnische, deutsch-ruthenische, deutsch-slowenische und deutsch-italienische Correspondenz-Karten erhältlich. Ab 1885 durften private Gewerbetreibende illustrierte Postkarten vertreiben. Da sie auf einen großen Kundenkreis abzielten, trugen die Karten Aufdrucke in verschiedenen Sprachen. Technische Fortschritte ermöglichten Massenauflagen, sodass vor dem Ersten Weltkrieg allein in der österreichischen Reichshälfte, Zisleithanien, täglich 1,7 Millionen Postkarten zirkulierten.

In der historischen Alltagskulturforschung und zur Illustration nostalgischer Bücher sind Ansichtskarten längst als wertvolle Quellen geschätzt. Künstler, Verlage, Produktion und sozialer Gebrauch wurden schon gut recherchiert. Weniger ergiebig schien die Analyse der - naturgemäß kurzen - Texte und Grüße. Aus Urlaubsorten kamen fast standardisiert Mitteilungen im Sinne von "Essen gut, Wetter schlecht". Die sprachliche, vor allem die mehrsprachige Ebene, fand kaum Berücksichtigung. Diese Lücke schloss das dreijährige Forschungsprojekt "Postcarding Lower Styria" am Institut für Slawistik der Universität Graz, das sich mit Postkarten aus der Untersteiermark/Spodnja Stajerska zwischen 1890 und 1920 auseinandersetzte. Ziel des Projektes war es, in einer interdisziplinären Perspektive zu untersuchen, inwiefern Postkarten eine ethnische Differenzierung und Polarisierung … erkennen lassen, beziehungsweise wie sehr sie ebenso Spuren gelebter Zweisprachigkeit und nationaler Indifferenz aufweisen. Daraus entstanden die virtuelle Sammlung von Postkarten, POLOS, Ausstellungen, Workshops und das vorliegende Buch. Es bringt zahlreiche Beispiele von Bildern und Texten (mit Transkription und Übersetzung).

Zwölf AutorInnen sind den "Bildspuren - Sprachspuren" nachgegangen und präsentieren neue Erkenntnisse über das polyglotte Habsburg, das man anfangs kennenlernt. Postkarten wurden sowohl in ihren Aufdrucken, als auch mit den handschriftlichen Texten in verschiedenen Sprachen abgefasst. Soziolinguistische Beiträge erschließen Alltags-, Sozial- und Mikrogeschichte anhand der Mitteilungstexte. Im zweisprachigen, südlichen Teil des Kronlandes Steiermark dominierte in den Städten Deutsch, auf dem Land Slowenisch, das erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer normierten Schriftsprache ausgebaut wurde. Durch Postkarten können … nationale Indifferenz, religiöse Bekenntnisse, selbstverständlicher Sprachkontakt, zweisprachige Kommunikationsweisen, Bildungsgrad und Alltagssorgen der breiten Bevölkerung aufgezeigt werden, schreibt Herausgeberin Karin Almasy.

Fallstudien zeigen die Rolle von Postkarten als Quellenmedium für mehrsprachige Regionen und Städte: Kärnten, Laibach, Lemberg und Czernowitz, Untersteiermark. Hier erweist sich die Postkarte als ein aussagekräftiges Medium um anhand von qualitativen Fallstudien, die der auf ihr abgebildeten Wirklichkeit zugrundeliegende Komplexität adäquat darzustellen und nachvollziehbar zu machen, fasst Herausgeber Heinrich Pfandl zusammen.

Die folgenden Kapitel widmen sich den bildlichen Darstellungen. Dabei zeigt sich die Modernisierung - Stichworte: Schienen, Schlote, Schulen - als bevorzugtes Motiv. Industrialisierung, Verkehr und Tourismus in der Untersteiermark wurden, wohl nicht ohne Stolz, abgebildet. Das Beispiel der Stadt Maribor/Marburg zeigt, was man in der Postkartenmode um 1900 man als sehenswert erachtete, wie Denkmäler, den Hauptbahnhof oder das Post- und Telegrafenamt. Ansichten alter Stadtviertel spielten eine untergeordnete Rolle. Staffagefiguren wurden von Fotografen bewusst platziert (oder montiert). Eine eigene Gruppe bilden die "Trachtpostkarten", auf denen Männer, Frauen und Kinder in vermeintlich regional typischer Kleidung die geographischen Ansichten ergänzen. Teilweise ist es dieselbe Figur bei unterschiedlicher Umgebung, wie Graz oder Celje/Cilli. Um 1900 konnte die Autorin Barbara Porod noch keine regional oder ethnisch spezifischen Trachten finden, wie sie die Heimatwerkbewegung in den 1930er Jahren forcierte: Postkartenmotive liefern uns gewissermaßen Einblicke in die Zeit vor der Erfindung der Tradition. Der letzte Block der Untersuchungen beschäftigt sich mit der Propaganda mittels Bildpostkarten im Ersten Weltkrieg.

Postkarten anders lesen ist das Anliegen der HerausgeberInnen: Der vorliegende Sammelband verfolgt solcherart den Anspruch, in unterschiedlicher Weise für eine quellenkritische Arbeit mit Postkarten zu sensibilisieren und dabei die Relevanz dieser Quelle für die vielschichtige innerstaatliche Situation der späten Habsburger Monarchie zu betonen, die eine mehrsprachige, plurikulturelle und multikonfessionelle Gemengelage aufwies und diese Heterogenität (zumindest im zisleithanischen Reichsteil) mit komplexen Regelungen auch zu verwalten suchte.

hmw