Arik Brauer: Wienerisch für Fortgeschrittene#
Arik Brauer: Wienerisch für Fortgeschrittene. Wean red wi Wean wü. I. E. A. Amalthea Verlag Wien. 128 S., ill., € 25,-
Arik Brauer ist international berühmt als Maler - em. Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Mitbegründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus - Architekt, Grafiker, Bühnenautor, Dichter und Austropop-"Vater". In den 1970er Jahren errang Brauer zwei Goldene Schallplatten und noch ein halbes Jahrhundert später hat man seine Lieder, wie Sie hab’n a Haus baut im Ohr. Der Wiener Dialekt ist dem in Ottakring aufgewachsenen Künstler von klein auf vertraut.
Sein jüngstes Buch besteht je zur Hälfte aus humorvoll-satirischen Texten zu Wienerischen Wörtern und Redensarten und den entsprechenden Zeichnungen. Er versteht es als künstlerisches Werk, nicht als wissenschaftliche Arbeit: Was hier geschildert ist, sind die authentischen Erinnerungen eines Ottakringer Knaben aus den Dreißigerjahren (20. Jahrhundert). … Viele aus dem Tschechischen stammende Wörter werden kaum noch verwendet: '"schezko jedno", "Pfrnak", "Hubitschku". Französische Wörter sind im Wienerischen oft total integriert, natürlich mit grausam verzerrter Aussprache: '"Bassena'" (bassin), '"Lawua" (lavoir), '"Paltot'" (paletot). Zahlreiche zitierte Vokabel, viele mit hebräischem Ursprung oder aus dem Ungarischen, fallen schon fast in die Kategorie "damit es nicht verloren geht".
Bücher über Wiener Mundart konzentrieren sich gerne auf ordinäre Ausdrücke oder Schimpfwörter. Im vorliegenden Werk kommen sie kaum vor. Erfreulicher (und richtiger) Weise zeigt sich das Wienerische hier nicht als Unterschichtphänomen: In Wien wird man durch seine Sprechweise einer bestimmten sozialen Schicht zugeordnet. Intellektuelle sprechen "nåch da Schreibe", das heißt Deutsch mit österreichischer Klangfarbe. Bürger und Aufsteiger vermeiden Dialekt, um als "Glernde" zu gelten. Nostalgiker sprechen oft einen nasalen, fein geschliffenen Graf-Bobby-Dialekt, wie ihn angeblich auch der Kaiser sprach. Die sogenannte Arbeiterklasse spricht, "wia da Schnåbe gwåksn is", was klaglos funktioniert, so lange man unter sich ist. … Wer mühelos "nåch da Schreibe" und "wia da Schnåbe gwåksn is" sprechen kann, hat es in Wien "leiwand".Er kommt bestens ohne aus Deutschland importierte Vokabel aus. Sahne ist, wie schon der Klang des Wortes vermittelt, eine sämige Masse, die dazu neigt, im Schurrbart oder Bart des Ottakringers in weißen, rotzartigen Klumpen hängen zu bleiben. Schlagobers hingegen erinnert an den freundlichen "Herrn Ober", wie jeder Kellner in Wien genannt wird.
Wörter nur nach ihrem Klang zu verschriftlichen, ist ein mühsames Unterfangen. Das Vorwort führt in die richtige Lesart ein und laut Lesen hilft alleweil. Übrigens ist ålawei nicht dessen Übersetzung, sondern kommt vom hebräischen alewei - möge es so sein. Das Wort drückt einen Wunsch aus, dessen Erfüllung eher unwahrscheinlich ist. " ålawei mia gwinnen im Lotto". "Hoff ma's Beste" hingegen bedeutet immerhin eine Chance von fünfzig zu fünfzig, dass sich der Wunsch erfüllt. Mit dem Wort "hoffentlich" hat man das Glück schon fast im Sack.
Von Leihgaben aus dem Französischen wie Trotoa (Gehsteig) und Lawua (Waschschüssel) war schon im Vorwort die Rede, ebenso vom Tschechischen. "Schezko jedno" … bedeutet, dass eine endgültige Entscheidung getroffen wurde, sich nicht zu entscheiden. Ist etwas nicht ganz so "schezko", wird das viel sanftere Wort "wuascht" verwendet. … Die geringste Wurstigkeit drückt allerdings das Wort "powidl" aus. Dieses Wort gewinnt im Zusammenhang mit dem Wort "Datschkal" eine ganz andere Bedeutung. … Powdldatschkal san unsaan niemals "schezko jedno".
Eine andere "Perle der Wiener Küche" sind Palatschinken - hierzulande auf der dritten Silbe betont, im ungarischen Original auf der ersten. Ist der Teig im Pfandl, wird er mit gekonntem Schwung in die Luft geschleudert, um mit der Maschekseitn (andere Seite) wieder dort zu landen. Ist aber ein Påtschåchter (unbeholfener Mensch) am Werk, entsteht ein Palawatsch (Durcheinander, Chaos). Die - in einem Lied so bezeichnete - "süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanasprach" kennt eine ganze Reihe unrühmlicher Bezeichnungen für männliche Zeitgenossen, beispielsweise Bosnigl, Grandscheam, Ungustl, Gfrast oder Gfries. Hingegen sind weibliche mit Schleiaeun, Grewögal oder Bissguan gemeint.
Sie alle erscheinen in den trefflichen Bildern, wie auch die Hausfrau, die sich über eine zerbrochene Vase mit der Weisheit Wer waß, fia wås des guat is tröstet. Das menschenfreundlichste Wiener Sprichwort aber lautet "Lem und lem låssn" (Leben und leben lassen). "Steam und steam låssn" kommt im Wienerischen nicht vor.