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Manfred Brauneck: Masken – Theater, Kult und Brauchtum #

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Manfred Brauneck: Masken – Theater, Kult und Brauchtum . Strategien des Verbergens und Zeigens. Transcript Verlag, Bielefeld. 136 S., ill., € 28,-

Kaum jemand hätte gedacht, dass ein klassisches Thema der Theaterwissenschaft im Jahr 2020 ungeahnte Popularität erlangt. "Corona-Masken" sind in und um aller Munde. Der Autor, em. Univ. Prof. Manfred Brauneck, beschäftigt sich gleich am Beginn seines überaus interessanten Buches damit. Er schreibt, dass die Schutzmasken das Bild der Menschen in der Öffentlichkeit verändert haben - ein Bild, das in den westlichen Gesellschaften irritiert, das aber möglicherweise dauerhaft auch zu deren Alltag gehören wird. … Sie verdecken Mund und Nase. Ihr Tragen ist Pflicht … deren Nicht-Einhaltung wird entsprechend sanktioniert. … Die "Corona-Masken" sind aus Stoff, glatt oder gefaltet, zumeist weiß; bald gab es sie auch in schwarz, bunt oder gemustert. … Anders als jene Masken, von denen dieses Buch überwiegend handelt, verdecken sie Gesichtspartien, die die Identität der Person nicht oder kaum verbergen. … Das Tragen dieser Masken ist keineswegs Träger von Lebensfreude, Lust an der Verwandlung, sondern der Furcht vor einem Virus geschuldet, dem derzeit weder mit den Mitteln moderner Medizin, schon gar nicht mit Magie beizukommen ist.

Mit Magie hatten Masken traditioneller und indigener Kulturen oft zu tun. Doch sollte man sie, wie der Autor ausführt, nicht ausschließlich auf einen spirituellen, religiösen Zweck festlegen. Afrikaner, die kultische Zeremonien feierten, wussten sich in einer kosmologischen Ordnung aufgehoben. Gleichzeitig lebten sie im Bewusstsein, dass diese Ordnung auch Alltags- und Festtagsaktivitäten bestimmte. Maskenbräuche gliederten Lebens- und Jahreslauf.

Das lässt gleich an die hierzulande üblichen Faschingsmasken denken. Sie versetzen Menschen in einen Ausnahmezustand, der die Verspottung der Eliten legitimiert und erlaubt, in der Öffentlichkeit Konventionen über Bord zu werfen. Die Geschichte des Karnevals ist gespickt von Verboten jedweder Art von Maskierung und Vermummung. … Im volkstümlichen Brauchtum erlaubt sich der Träger einer Maske mitunter derbe Späße, die nicht immer ein gutes Ende nehmen für den, der das Opfer dieses Treibens ist. Im alpenländischen Raum treiben auch die Perchten, mit furchterregenden Masken verkleidete Männer, ihr Unwesen, bei deren "Läufen" Körperverletzungen und Sachbeschädigungen immer wieder beklagt werden. Mitzudenken ist, dass nur Männer Masken tragen/trugen. Egal, ob es sich um schreckliche Krampusse oder die freundlichen Gesichter der Tiroler Fasnacht handelt. Diese werden von Kunsthandwerkern geschnitzt, während die Mehrheit der Masken für Fasching oder den Herbstfasching Halloween massenhaft industriell hergestellt ist und sie der Handel in den bizarrsten Ausformungen anbietet.

Handelsware - allerdings in ganz anderen Preiskategorien - sind die Masken indigener Völker. 2019 erzielte ein Objekt von der Elfenbeinküste bei Sotheby's fast vier Millionen Euro. Französische Künstler der Moderne entdeckten als erste die Faszination afrikanischer Masken. L'Art nègre war in diesen Kreisen in Mode gekommen, - die Masken, die Skulpturen, die Tänze und die Musik. Pablo Picasso änderte 1907 nach der Besichtigung afrikanischer Masken in einem Pariser Museum Gesichter eines Gemäldes. Sein Galerist war von den "Monstern" allerdings nicht begeistert. Die Künstler sahen in der Kunst der "Primitiven", wie es damals hieß, einen Weg aus jener Sackgasse, in die ihrer Meinung nach die westliche Kunst um 1900 geraten war.

Vertreter des Japonismus der Jahrhundertwende interessierten sich für das institutionelle Maskentheater in Japan. Es vermittelte wesentliche Impulse für die westliche Tanz- und Theaterästhetik. Das elitäre Nō-Theater (mit exquisiten Masken) und das volkstümliche Kabuki (mit Schminkmasken) werden noch heute in Japan und international auf Tourneen aufgeführt. Nō bedeutet dem Sinn nach "künstlerisches Können" von Artisten und Tänzern. Ähnlich der Teezeremonie, dem Blumenstecken und der im 14. Jahrhundert von China übernommenen Tuschmalerei ist No Ausdruck einer Lebenskultur, die in den Glaubensvorstellungen und den Ritualen den Zen-Buddhismus ihre höchste Steigerung erfährt. Traditionelle Aufführungen dauerten einen Tag, wobei zwischen den einzelnen (fünf bis zehn) Stücken heitere Szenen gespielt wurden. Oft waren 100 Masken beteiligt, grundsätzlich gab es fünf Kategorien: Götter, Dämonen, Krieger, Frauen unterschiedlichen Alters. Nō will seinen Zuschauer nicht belehren oder erschüttern. Es ist ein Theater der höchsten Formstrenge, und die Masken sind dabei ein zentrales Hilfsmittel … Stets endet die Stückfolge versöhnlich. Nō kennt keine Tragik. Nō ist zutiefst spirituell.

In Indien und China sind hingegen Masken auch im nicht-religiösen Gebrauch üblich. Indien hat eine reiche, bis in das zweite vorchristliche Jahrtausend zurückreichende erzählende Tanz(theater)kultur. In welcher Beziehung diese Tänze zu kultisch-religiösen Zeremonien standen, ist letztlich ungeklärt. Gleiches gilt für das Tragen von Masken. Klassische indische Tänzer verwenden nur dezente Schminke. Masken wären hinderlich, denn Mimik, Kopf-, Hand-, Finger- und Augenbewegungen spielen eine exzeptionelle Rolle.

Nach festen Regeln bemalte Gesichter und prachtvolle bunte Kostüme zeichnen die chinesische Maskenkultur aus. Gelb war dem Kaiser vorbehalten, Weiß war die Farbe der einfachen Leute, Die Krieger trugen Schwarz, die Generäle Rot. Blau kennzeichnete einen bösen Menschen oder Dämon. Die Farbsymbolik soll im 12. Jahrhundert in Kaifeng, der damals größten Stadt der Welt, entstanden sein.

Manfred Brauneck lehrte Literatur- und Theaterwissenschaften in Hamburg. Geschichte und Theorie des Europäischen Theaters zählen zu seinen Forschungsschwerpunkten. So kommt in diesem lesenswerten Buch den Masken im griechischen und römischen Theater eine bedeutende Rolle zu. Vermutlich waren das antike römische Possentheater und das neapolitanische Volkstheater die Wurzeln der Commedia dell' arte. Ganz geklärt ist die Herkunft nicht, doch war dieses Stegreifspiel das bekannteste Maskentheater. Wandernde Schauspielertruppen machten es in ganz Europa populär. Fünf Mimen mit gegenständlichen Masken standen im Mittelpunkt: Die Diener ("Zanni") Arlecchino und Brighella und die drei Alten Pulcinella, Pantalone und Dottore. Bei ihnen verdeckten weiche Ledermasken Stirn, Wangen und Nase. Darstellerinnen blieben unmaskiert, ebenso weitere Rollen. Die große Zeit der Commedia dell' arte war von der 2. Hälfte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Dann änderte sich der Publikumsgeschmack und Improvisieren auf der Bühne war verpönt. Was von der Commedia dell' arte aber geblieben ist, ist die unsterbliche Figur des Harlekin und die Erinnerung an ein Theater, das nur die eine Botschaft hatte: Theater in seiner reinsten Form zu zeigen. Es war ein Fest der Schauspieler, der Masken, - ohne einen Regisseur.

hmw