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Erhard Busek, Muamer Bećirović: Heimat #

Bild 'Busek'

Erhard Busek, Muamer Bećirović: Heimat. Verlag Kremayr & Scheriau Wien. 128 S., € 18,-

1994 verfasste Erhard Busek, damals Vizekanzler und Wissenschaftsminister, ein Büchlein mit dem Titel "Heimat - Politik mit Sitz im Leben". Nach 25 Jahren greift er das Thema wieder auf, diesmal gemeinsam mit Muamer Bećirović. Der Koautor war damals noch nicht geboren und seine Familie lebte in einem Dorf in Bosnien-Herzegowina. In der Auseinandersetzung mit dem Wort Heimat hat sich seither vieles verändert. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es vor einem Vierteljahrhundert noch einfacher war, die Bedeutung dieses oft gebrauchten und missbrauchten Begriffs zu verstehen. ... Heute muss man sich die Frage stellen, welche Bindungen überhaupt noch existieren? Und welche Verantwortung ? Erhard Busek stellt viele weitere Fragen, anfangs etwa nach den Begriffen "Religion", "Nationalstaat", "Narrativ" oder "Wann und wo beginnt Heimat?"

Beeindruckend schildert der im Zweiten Weltkrieg geborene Politiker die vertraute Welt seiner Kindheit, die er Schritt für Schritt eroberte. Da sein Vater in der fürstlichen Gutsverwaltung tätig war, wohnte die Familie nach 1945 im Neuen Palais Liechtenstein, in dem man auch Flüchtlinge - vor allem aus Böhmen und Mähren - untergebracht hatte. Der Liechtensteinpark, ein ansehnlicher Fleck im 9. Bezirk, wurde dazu genutzt, für das tägliche Leben vorzusorgen. Es wurden Salat, Karotten, Kohl, Erdäpfel, aber auch Tabak angebaut. … Ich erlebte, wie sich die Bewohner dieses Biotops um ihre Felder sorgten, die anstelle des kunstvoll angelegten Englischen Gartens des 19. Jahrhunderts getreten waren. Wenige Gassen weiter lernte der Sohn des protestantischen Baumeisters in der katholischen Pfarre Lichtental eine andere Welt kennen. Die Vorstadt war damals "eine ausgesprochen arme Gegend" mit chaotischen sozialen Verhältnissen, wie sich der Autor erinnert. Mir ist dieses Lichtental zur Heimat geworden, weil die Welt von damals eine einfachere war. Er machte mit den "Eisenbahner"-Familien des Franz-Josefs-Bahnhofs ebenso Bekanntschaft, wie mit den Jugendlichen, die im katholischen Kolpinghaus ihre Heimat gefunden hatten. Wieder ein anderes Milieu herrschte in der Höheren Schule in Döbling. Mein persönlicher Weg brachte es mit sich, dass ich relativ rasch unterschiedliche Heimaten kennenlernte und begriff, dass sich andere dort genau so zu Hause fühlten, wie ich in meiner Welt.

Im Lauf seiner Karriere wurde Europa zur Welt des Ministers und Wiener Vizebürgermeisters (u. a. als Koordinator der South East European Cooperative Initiative, Koordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa, Präsident des Europäischen Forums Alpbach). Im neuen Buch versieht er auch dieses Kapitel mit einem Fragezeichen: Europa - nicht-gewonnene Heimat? Als eine der Grundlagen erkennt der Jurist umfassende Kultur- und Bildungskompetenz. Dabei geht es nicht nur um die Wirtschaft oder die Sicherheit, sondern in Wirklichkeit um die Demokratie. Sicherheit solle nicht mehr in Verteidigungsbündnissen gesehen werden, vielmehr müsse man versuchen, durch gemeinsame Bemühungen Sicherheit in Freiheit zu ermöglichen. Hiervon sind wir noch weit entfernt … Im Hinblick auf die Heimatlosen unserer Zeit sei eine Politik anzustreben, die in Richtung Ausgleich führen kann. Das ist schmerzlich und schwer durchzusetzen, aber alternativlos!

Reflexionen über Nationalstaat - was nun? und Gibt es "die eine" Welt münden im Prinzip Weltverantwortung. Aktuelle Entwicklungen - Stichworte: Klima, Ökologie, Globalisierung - führten dazu, dass die Heimat auf eine ganz andere Weise wieder bewusst wird. Der weise, alte Politiker empfiehlt: Heimat werden wir nicht durch Weltuntergangsphilosophien erhalten, der Angst vor den letzten Tagen der Menschheit oder anderen möglichen Ausgeburten unserer Fantasie. Die Endlichkeit unserer Welt hat uns immer beschäftigt, wie etwa die faszinierenden Darstellungen von der Sintflut zeigen, es gibt allerdings keinen Grund zu verzweifeln oder aufzugeben - im Gegenteil, es ist unsere Aufgabe, aus der uns anvertrauten Schöpfung das Beste zu machen. In seinen Überlegungen erlebt man Erhard Busek als Humanisten und gläubigen Menschen (auch wenn er "Religion" für sich als "Wort des Herumirrens, leider nicht des intensiven Suchens" bezeichnet).

Bleibt letztlich eine Frage, die ihn schon als Maturanten beschäftigt hat: Quo via fert - wohin führt der Weg? Fertige Rezepte kann und will der fast 80-jährige Politiker nicht anbieten. Er meint: Es wäre wahrscheinlich zweckmäßig, weniger analytische Studien, Dokumente und Vorschläge hervorzubringen, als vielmehr der Komponente des Gefühls, der menschlichen Regung und der Sehnsucht Raum zu geben. … Die Politik muss daraufhin überprüft werden, ob sie in der Lage ist, uns Heimat zu bereiten. Die Voraussetzungen für ein Heimatgefühl weiterzuentwickeln und weiterzugeben, ist eigentlich die Aufgabe des Ringens um die Gestaltung der uns anvertrauten Welt!

Die Realität eines Erhard Busek ist eine völlig andere als die eines Muamer Bećirović. Der 24-Jährige Publizist studiert Politikwissenschaften und Geschichte und war Bezirksobmann der Jungen Volkspartei im 15. Wiener Gemeindebezirk. Über Heimat wollte er kein Buch schreiben, erst Buseks "großväterliches Lächeln" hat ihn motiviert. Der Sohn bosnischer Flüchtlinge wurde in München geboren, und lebte wegen beruflicher Gründe seiner Mutter, einer Krankenschwester, in verschiedenen österreichischen Orten. Durch meine Sozialisation habe ich zwei Welten kennengelernt - zum einen die bosnische, den Balkan, zum anderen die österreichische. … Wien gehört zu meiner Heimat, auch wenn mir manches befremdlich ist. Die österreichische Heimat ist für mich und viele Freunde mit Migrationsgeschichte eine böse Geliebte. Auf der einen Seite gab sie meiner Familie und mir ein sicheres Heim, Schutz, Chancen und Bildung. Nie hätte ich es in Bosnien besser gehabt. Und ich bin dankbar dafür. Auf der anderen Seite hat sie diese Zuneigung nie mit Wärme erwidert.

Die schriftliche Denkreise des Historikers führt in das Kaisertum Österreich, zu dessen Völkern, ihren Heimaten, ihrem Kaiser und ihrem Reich. Immer wieder vergleicht Muamer Bećirović die Habsburgermonarchie mit Amerika (wo seine Sympathien liegen). Schließlich greift er den von Erhard Busek anfangs in die Diskussion gebrachten Begriff "Narration" (Eine Erzählung, die beschreibt, woher man kommt und wohin man geht) auf. Als Fundament für eine österreichische Erzählung, mit der sich alle hier lebenden Menschen identifizieren können sieht Bećirović Werte wie individuelle Freiheit, Chancengerechtigkeit, sozialer Aufstieg durch Bildung, die Tugend, Menschen in Not nicht im Stich zu lassen, die Gleichbehandlung aller Religionen, aktive politische Mitwirkung und Menschenrechte. Nur so wird es uns möglich sein, ein langfristiges, prosperierendes und friedliches Zusammenleben zu garantieren.

hmw