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Magdalena Bushart, Henrike Haug, Stefanie Stallschus (Hg.): Unzeitgemäße Techniken #

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Magdalena Bushart, Henrike Haug, Stefanie Stallschus (Hg.): Unzeitgemäße Techniken . Historische Narrative künstlerischer Verfahren. Interdependenzen. Die Künste und ihre Techniken, Band 4. Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar 2019. 300 S., ill., 39,99 €

Künstlerische Verfahren entstehen und verschwinden. Dieser historische Wandel gilt als wesentlicher Motor für eine Entwicklung der Künste. Wieder entdecktes Wissen um alte Herstellungsprozesse wird bewusst reaktiviert und dadurch erneuert. Ausgehend vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwartskunst widmet sich dieser Band den technischen Anachronismen, durch die Traditionen gebildet, aber auch durchkreuzt werden. Magdalena Bushart ist Professorin, Stefanie Stallschus Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Kunstgeschichte am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin. Gemeinsam mit Henrike Haug haben sie die Vorträge der vierten Interdependenzentagung an ihrem Institut zusammengefasst und erweitert. Mit einem Dutzend Beiträgen und einem umfangreichen Tafelteil ist ein Werk für SpezialistInnen entstanden, das Tendenzen im europäischen und US-amerikanischen Raum referiert.

Das Interesse an den künstlerischen Techniken der Vergangenheit war seit jeher ein wichtiger Impulsgeber. "Im Mittelalter und in der italienischen Renaissance richtete sich der Blick in erster Linie auf die Antike und mit ihr auf Verfahren, deren Existenz durch überlieferte Artefakte bezeugt war, die aber zwischenzeitlich zum Teil nicht mehr geübt und deshalb erst wieder im künstlerisch suchenden Experiment, bisweilen auch durch das Studium von Quellentexten neu erlernt werden mussten" , erläutern die Herausgeberinnen und nennen als Beispiele Steinschnitt, Bronzehohlguss und filigrane Gläser. Ab dem 18. Jahrhundert wirkte die Archäologie impulsgebend. Das Jahr 1748 gilt als Beginn der wissenschaftlichen Forschungen in der italienischen Stadt Pompeji, die beim Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. verschüttet wurde und unter der Vulkanasche konserviert blieb. Der Entdeckung der Wandmalereien und der Buntheit antiker Kunstwerke folgte die intensive Beschäftigung mit farbigen Fassungen.

Im 19. Jahrhundert spezialisierten sich die Interessen der europäischen Künstler nach Formen und handwerklichen Techniken. Schon in den ersten Jahrzehnten hatte Kaiser Franz I. auf einer Insel in seinem Schlosspark in Laxenburg (Niederösterreich) die Franzensburg errichten lassen. Durch den Rückgriff auf mittelalterliche Bauformen gilt sie als Meilenstein auf dem Weg zum Historismus. Versatzstücke gotischer Bauten, wie der Klosterneuburger Capella Speciosa, wechseln mit neogotischen Elementen. Dem Zeitgeschmack entsprechend spielten Glasmalereien eine große Rolle. Ein halbes Jahrhundert lang wurde an farbigen Fenstern für die Burg und ihre Nebengebäude gearbeitet, zuerst vom berühmten Künstler der der Wiener Porzellanmanufaktur, Gottlob Samuel Mohn. Zum Phänomen der Glasmalerei in der Romantik schreibt Daniel Parello im Sammelband: "Es war vor allem der Adel, der bezeichnenderweise die bunten Farbverglasungen in einer Zeit als Sammlungsgegenstand wiederentdeckte, als die Kirchen sich dieser Objekte noch bereitwillig entledigten. … Nach einer aus England kommenden Mode gestaltete man einzelne Räume oder ganze Gebäude in gotischer Bauweise und versammelte darin bevorzugt die unterschiedlichsten Artefakte des Altertums, wozu als Curiosa auch die aus den Kirchen translozierten, farbigen Glasfenster gehörten." Genau das war in Laxenburg der Fall, Bestände kamen aus Heiligenkreuz, der Wiener Kirche Maria am Gestade, aus Pöggstall, der Kartause Gaming, dem Kloster Säusenstein und der Stadtpfarrkirche Steyr.

Ein Lehrbeispiel des Historismus ist die Wiener Ringstraße. Sie zeigt Baustile längst vergangener Jahrhunderte ebenso wie die wieder entdeckte Sgrafito-Technik der Renaissance. Der Ringstraßenarchitekt und Akademieprofessor Ludwig Förster beschrieb 1842 in der von ihm herausgegebenen "Allgemeinen Bauzeitung" die "wohlfeile und zugleich dauerhafte" Fassadendekoration. Drei Jahrzehnte später entwarf Gottfried Semper für Wien das Kaiserforum mit den beiden Hofmuseen. Zuvor hatte er in Dresden das Hoftheater gebaut und mit Sgraffito-Dekorationen geschmückt. In Wien findet sich diese Art der Fassadengestaltung u .a. am ehemaligen k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (MAK), das 1871 nach Plänen von Heinrich Ferstel am Stubenring eröffnet wurde. Direktor Rudolf Eitelberger, erster Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wien, gab die Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance heraus. Sie sollten, wie die Mustersammlung des Museums, altes Handwerkswissen den Ausführenden, Künstler, Restauratoren und dem breiten Publikum nahe bringen.

Die AutorInnen des Sammelbandes beschäftigen sich nicht nur mit der Geschichte der "unzeitgemäßen Techniken", sie schlagen auch die Brücke zur Gegenwart. International bekannte Künstler entdeckten abgekommene Methoden der Druckgrafik, Wachsenkaustik und textilen Handarbeit für sich und transformierten sie in ihren Werken. Die Beiträge zeigen, so die Herausgeberinnen, "dass sich auch in der Frage der Anachronien Formgebung und Verfahren kaum voneinander trennen lassen. Vielmehr sind die Verfahren als Instrumentarium zu begreifen, das mit jedem Einsatz neue, formale Lösungen hervorbringt und dem dabei, den aktuellen Bedürfnissen entsprechend, auch jeweils neue Bedeutungen zugeschrieben werden können."

hmw