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Edgard Haider: Wien. 2000 Jahre Geschichte#

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Edgar Haider: Wien. 2000 Jahre Geschichte. Elsengold Verlag Berlin. 232 S., ill., € 32,-

Zahlen, Daten, Fakten. Ohne dieses Grundgerüst kommt kein historisches Werk aus. Das allein wäre nur eine trockene Chronik. Wirklich interessant und erlebbar wird Geschichte erst dann, wenn man in ihr die Menschen entdeckt … Auf dieser Basis soll das vorliegende Buch die Geschichte Wiens in ihrer ganzen Vielfalt erzählen. … So endet der Prolog des Historikers und langjährigen ORF-Redakteurs Edgard Haider. Sein jüngstes Buch sollte keine "trockene Chronik" werden. Geworden ist es ein opulentes Werk, perfekt gegliedert in 18 Kapitel, informativ und großzügig illustriert. Jedes Kapitel enthält Karten und Infokästen zu Orten in Wien, an denen man in die Vergangenheit eintauchen kann.

Das erste behandelt Vindobona (15 v. Chr. - 400 n. Chr.). Hier empfehlen sich Besuche der Grabungen auf dem Michaelerplatz, einem Zentrum der Lagervorstadt, und im Römermuseum auf dem Hohen Markt, wo man auf Reste von Offiziershäusern mit Fußbodenheizung gestoßen ist. Nach dem Schema üblicher Legionslager bestand Vindobona aus 60 langgestreckten Kasernen für je 80 bis 100 Soldaten. Ihre Waffen wurden beim Platz Am Hof hergestellt. Darauf lassen Reste von Metallverarbeitung und Malerwerkstätten schließen. Die Zivilstadt erstreckte sich auf 52 Hektar im Gebiet Rennweg - Erdberg, wo 10.000 Menschen lebten. Anno 395 überrannten die Markomannen die Limesbefestigungen, Vindobona ging in Flammen auf.

Das frühe Mittelalter (400 - 976) wird auch als "dunkle Jahrhunderte" bezeichnet. Vom vernichteten römischen Militärlager blieb die Mauer, in der Restsiedlung innerhalb entstand langsam wieder städtisches Leben. In der Nordostecke entwickelte sich eine Kirchensiedlung mit St. Ruprecht, dem Kienmarkt und der Wehranlage des Berghofs, dem ältesten profanen Bauwerk Wiens.

Die Babenberger und das böhmische Interregnum (976-1278)ist der nächste Abschnitt übertitelt. Die Babenberger, die 270 Jahre lang herrschten, verlegten ihre Residenz von Melk, Tulln und Klosterneuburg nach Wien. Durch Heinrich II. Jasomirgott - er gründete u. a. das Schottenkloster - wurde Wien Residenzstadt des zum Herzogtum erhobenen Österreich. Mit dem Tod Friedrich II., der an seinem 35. Geburtstag im Kampf gegen die Ungarn um das Leben kam, erlosch der Stamm der Babenberger. Nach dem Interregnum unter König Ottokar von Böhmen begann 1278 die 640-jährige Herrschaft der Habsburger.

Ihre Österreich prägende Epoche umfasst neun Kapitel: Die frühen Habsburger (1278 - 1493), Wien in der Renaissance (1490 - 1590), Reformation und Gegenreformation (1520 - 1590), Der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1648), Das Hochbarock (1648 - 1740), Maria Theresia und Joseph II. (1740 - 1790), Die Zeit der Franzosenkriege (1790 - 1815), Wien im Biedermeier (1815-1848), Die Ära Kaiser Franz Josephs (1848 - 1916). In einer Rezension ist es nicht möglich, den umfassenden Ausführungen des Historikers und passionierten Wieners Edgard Haider gerecht zu werden. Daher nur auszugweise Hinweise auf die Relikte jener Zeit, die man heute noch besuchen kann: Die Kirche Maria am Gestade, nach St. Stephan der bedeutendste gotische Sakralbau und die Neidhart-Fresken, ein um 1400 entstandenes profanes Kunstwerk, stehen für das ausgehende Mittelalter. Die Stallburg mit ihren Arkaden gilt als bedeutendster Renaissancebau Wiens. Die Fassadenmalerei "Allwo die Kuh am Brett spielt" auf einem Haus aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (Bäckerstraße 12, gegenüber der Jesuitenkirche) wird als Satire auf die Lutheraner verstanden. Die Mariensäule am Hof gemahnt an die Glaubenskämpfe. Kaiser Ferdinand III. stiftete sie zum Dank für die Verschonung Wiens in den Schwedenkriegen. Das überschwängliche und dankbare Lebensgefühl des Hochbarock lässt sich im Prunksaal der Nationalbibliothek oder beim Anblick der Karlskirche nachvollziehen. "Das" Wahrzeichen für die Epoche Maria Theresias sind Schloss und Garten von Schönbrunn. Joseph II. setzte sich ein Denkmal mit der Medizinischen Akademie für Militärärzte, dem "Josephinum" auf dem Alsergrund, wo er auch das Allgemeine Krankenhaus gründete. Das Theater an der Wien steht für das beginnende 19. Jahrhundert. Es war der Ort zahlreicher Uraufführungen, wie Beethovens "Fidelio", Strauß' "Fledermaus" und Grillparzers "Ahnfrau". Die Villa Wertheimstein (Bezirksmuseum Döbling) lässt die bürgerliche Wohnkultur des Biedermeier ahnen. Arsenal und Staatsoper repräsentieren die Gründerjahre. Die Secession steht für die Aufbruchszeit der Jahrhundertwende.

Wien im ersten Weltkrieg (1914 - 1918) wird gefolgt von Rotes Wien und Ständestaat (1919 - 1938), Wien im Dritten Reich (1938 - 1945) und Wien in der Besatzungszeit (1945 - 1955). "Der Wehrmann in Eisen" - in den man gegen eine Spende für Kriegerwitwen und -waisen einen Nagel einschlagen durfte, steht seit 1934 gegenüber dem Rathaus in der Felderstraße, das eiserne Sinnbild einer eisernen Zeit. Der 1 km lange Karl-Marx-Hof ist der symbolträchtigste Kommunalbau des "Roten Wien", er spielte bei den Kämpfen im Februar 1934 eine zentrale Rolle. Im Ständestaat erbaut wurde das Sendegebäude der RAVAG. Auch der Autor war im ORF-Funkhaus tätig, schreibt aber nichts über die geplante zukünftige Verwendung. Nachdem die Übersiedlung der meisten Sender schon vor fast einem Jahrzehnt beschlossen worden war, wurden Pläne für ein Hotelprojekt laut. Ein Mahnmal für Wien im Dritten Reich ist der Flakturm im Arenbergpark. Als Zeitzeuge für die Besatzungszeit fungiert das Sowjetische Siegesdenkmal auf dem Schwarzenbergplatz. Es befindet sich in der Obhut der Stadt Wien, die damit für dessen Erhaltung, Restaurierung und Sicherheit verantwortlich ist.

In den letzten beiden Kapiteln Wien wieder frei (1956 - 1990) und Wien seit 1990 nehmen "die langen Schatten der NS-Vergangenheit" breiten Raum ein. Als architektonische Highlights aus den vergangenen sechseinhalb Jahrzehnten sind das Hundertwasserhaus im 3. Bezirk und der Wiener Hauptbahnhof, der 2015 in Vollbetrieb ging, zu sehen. Aufschlussreich ist die kompakte zehnseitige Chronik zum Abschluss des Buches (vor dem Literaturverzeichnis). Es ist kein schönes Ende des beschriebenen Zeitraums über zwei Jahrtausende: 2020: Wien hat 1,9 Millionen Einwohner; die Corona-Pandemie macht nie dagewesene Restriktionen in allen Lebensbereichen notwendig, der Städtetourismus kommt zum Erliegen, das Ausmaß der wirtschaftlichen und sozialen Folgen ist noch nicht absehbar. Wird Wien, wie der Autor im Prolog Siegfried Weyr zitiert eine Dichtung der Wirklichkeit ohnegleichen, ein ebenso makabres wie elementares Symbol des unerbittlichen Schicksals bleiben? Oder vielleicht doch ein Ort der Sehnsucht mit einer legendären Anziehungskraft, die weit über Europa hinausreicht, wie es der Klappentext verheißt?

hmw