Klemens Himpele: Statistisch gesehen#
Klemens Himpele: Statistisch gesehen. Echte Zahlen statt halber Wahrheiten
aus Österreich und Deutschland. Ecowin Verlag Salzburg - München. 216 S., € 24,-
Die Lesefähigkeit steigt mit der Schuhgröße - das ist statistisch belegt. Aber: der Grund ist natürlich die Schuhgröße, sondern dass Menschen mit dem Älterwerden wachsen und auch lesen lernen .Eine statistische Korrelation lässt sich herstellen - eine Kausalität natürlich nicht, weiß Diplom-Volkswirt Klemens Himpele, Leiter der Wiener Magistratsabteilung 23. Auf gleichermaßen seriöse wie unterhaltsame Art korrigiert er irrige Vorstellungen über Daten und Fakten. Dabei sieht er sein Arbeitsgebiet Statistik als Fake-News-Prävention, denn: Ob Datenfehler oder bewusste Manipulation: Allzu leicht wird heute mit falschen Zahlen Stimmung gemacht. Dabei sei der sorgsame Umgang mit Daten eine wichtige Basis des demokratischen Diskurses, schreibt der Autor.
Er zählt sich zu den exakt 192.426 Deutschen, die am 1.1.2019 in Wien lebten. Vielleicht ein Grund, warum Klemens Himpele den ersten Teil seines Buches "Piefke und Ösis" übertitelt hat. In Deutschland gibt es 80 Großstädte mit einer Bevölkerung von über 100.000, 14 haben mehr als 500.000 Einwohner, die größten vier sind Millionenstädte. Österreich hat sechs Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern und nur eine mit mehr als 500.000. Diese, die Bundeshauptstadt, verzeichnete zwischen 1.1.1990 und 31.12.2017 das größte Bevölkerungswachstum im deutschsprachigen Raum (26,5 %), in der EU wird sie nur von Stockholm übertroffen. Auch bei der Zahl der Studierenden, Forschung und Entwicklung - 4,9 % der Erwerbstätigen arbeiten in diesen Bereichen - liegt sie ganz vorne. In der Zufriedenheitsskala der Bewohner von 100 EU-Städten nimmt Wien bei "Kultureinrichtungen" und "öffentlicher Nahverkehr" jeweils den Spitzenplatz ein, in der Kategorie "Zustand der Straßen und Gebäude" Rang 4 und bei den Grünflächen immerhin Platz 7. 96 % der Bewohner leben gerne hier. Außerdem führt Wien 2019 zum zehnten Mal in Folge das Lebensqualitätsranking der Mercer-Studie an. Dieses soll Unternehmen bei der Entsendung von MitarbeiterInnen eine Entscheidungshilfe geben. Fazit: Nach Wien geschickt zu werden, ist Belohnung, nicht Strafe.
Im zweiten Teil lädt der Verfasser zu einer Zugfahrt von Bregenz nach Eisenstadt ein. Der Statistiker hat errechnet, was sich während dieser 8 Stunden und 16 Minuten im Land ereignet. 44 Paare heiraten und 16 lassen sich scheiden. 81 Menschen werden geboren und 80 sterben. 140 Personen übersiedeln aus dem Ausland nach Österreich und 106 verlassen das Land. Andere Geschichten aus dem Leben handeln zunächst von "Gemeinderekorden", wobei Wien keineswegs immer die Liste anführt. Weder ist es die flächenmäßig größte Gemeinde (Platz 2 nach Sölden), noch die am schnellsten wachsende (Platz 183), und hat auch nicht den höchsten Ausländeranteil (Platz 10). Entlang der österreichischen Bundeshymne folgen Daten zur Landschaft, Landwirtschaft, Religion, Industrie, Bevölkerung und Kultur. Breiten Raum nimmt die Wirtschaft ein und auch das Thema Umwelt kommt nicht zu kurz. Dabei zeigt sich, dass Städte deutlich bessere Voraussetzungen haben, klimaschonend zu sein, als dünn besiedelte ländliche Gegenden. Derzeit wohnt ein Drittel der ÖsterreicherInnen in einer Landes- oder in der Bundeshauptstadt. Umfragen zufolge würden sich aber 39 % einen städtischen Wohnort wünschen.
Den abschließenden dritten Teil nennt der Chef der Landesstatistik "Wien, Wien, nur du allein". Seine "Wiener Melange" besteht aus anregenden demographischen Daten. Die erste Volkszählung unter Maria Theresia anno 1754 ergab im damaligen Stadtgebiet 175.403 Personen (ohne Militär). Ein halbes Jahrtausend vorher, um 1200, hatte die Residenzstadt geschätzte 10.000 Einwohner und war - nach Köln - die zweitgrößte Stadt des Heiligen Römischen Reiches. Um 1450 wird die Einwohnerzahl auf 20.000 - 25.000 geschätzt, zur nächsten Jahrhundertwende auf 30.000 bis 35.000, um 1650 auf 45.000 bis 50.000. Um 1700 wohnten auf dem heutigen Stadtgebiet 125.000 Menschen. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Wien eine halbe Million EinwohnerInnen und wurde bis 1910 zur Weltmetropole. Mit einer Bevölkerungszahl von 2,08 Millionen erreichte sie den bisherigen Höchststand. Knapp die Hälfte (49 %) der in Wien Lebenden wurde hier geboren. Ein Jahrhundert später sind es 47 %. Die Prognose der Stadt Wien geht davon aus, dass Wien in den 2020er Jahren wieder zur Zwei-Millionen-Metropole werden wird. 1910 war Wien die fünftgrößte Stadt der Welt. Nach dem Brexit ist sie die fünftgrößte Stadt der EU. Derzeit stammen 17 % der WienerInnen aus anderen Bundesländern, 36 % haben ein anderes Geburtsland als Österreich. Diese Aufteilung ist sehr ähnlich der von 1910, mit dem entscheidenden Unterschied, dass viele der "Ausländer" damals aus der Habsburgermonarchie kamen, heute kommen sie zur Hälfte aus der EU, zur Hälfte aus Drittstaaten. Die wichtigsten Herkunftsländer am 1.1. 2018 waren Serbien (4,7 %), die Türkei (3,5 %) und Deutschland (2,7 %). Gesamtösterreichisch liegen die Deutschen auf dem ersten Platz.
Zu ihnen zählt der aus Baden-Württemberg stammende Autor. Seit fast einem Jahrzehnt steht er an der Spitze der Magistratsabteilung 23 (Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien). Seine Dienststelle liefert der Politik Entscheidungsgrundlagen, gibt u. a. das Statistische Jahrbuch und als Kurzfassung die Broschüre "Wien in Zahlen" heraus. In der aktuellen Ausgabe liest man: 13 Prozent mehr Menschen leben seit 2009 in Wien. Wien zählt zu den beliebtesten Kongressstädten der Welt. Das bestätigten 2018 auch 16,5 Millionen Nächtigungen von Touristinnen und Touristen. Als Wirtschaftsstandort hat Wien mit 221 internationalen Betriebsansiedlungen mehr als die restlichen Bundesländer zusammen. Anlässlich der Präsentation der jüngsten Zahlen lobte ein Zeitungsbericht den Landesstatistiker, man merke, "dass er seinen Beruf - und Zahlen - liebt." Klemens Himpele lässt sie lebendig werden und die Statistiken Geschichten erzählen. Dadurch macht er die spröde scheinende Materie schmackhaft und tritt dem Misstrauen entgegen, mit dem oft behauptet wird: "Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!".