Andreas J. Hirsch: Beethoven in Wien#
Andreas J. Hirsch: Beethoven in Wien. Edition Lammerhuber / Vereinigte Bühnen Wien. Wien 2019. 216 S., deutsch/englisch, ill., € 29,90
Gewiss wird das Gedenkjahr 2020 eine Fülle von Publikationen mit sich bringen. Zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens (1770-1827) ist eine Fülle wissenschaftlicher und populärer Bücher zu erwarten. Die Edition Lammerhuber hat etwas Besonderes auf den Markt gebracht, das sich wohl von allen anderen unterscheidet. Als Verfasser fungiert der frühere Kurator des Kunst Haus Wien, Andreas J. Hirsch. Er ist nicht nur Ausstellungsgestalter - u. a. über René Burri, Henri Cartier-Bresson und Linda McCartney - und Autor von Büchern u. a. über Pablo Picasso und Friedensreich Hundertwasser, sondern vor allem, künstlerischer Fotograf.
Sein jüngstes Werk bringt unkonventionelle Aufnahmen von Beethovenstätten, relativ kurze Texte (in deutscher und englischer Sprache), Zitate sowie "würdigende Gedanken" prominenter Musiker. Bekanntlich bewohnte Ludwig van Beethoven etliche Häuser in Wien und Umgebung. Einige wenige stellt dieser Band in außergewöhnlicher Weise vor. Ausgangspunkt ist das Theater an der Wien, wo der Meister wohnte und arbeitete. Hier wurden seine einzige Oper, "Fidelio", die heroische 3. Sinfonie („Eroica“) und weitere Schlüsselwerke uraufgeführt. Das 1801 von Emanuel Schikaneder gegründete Theater an der Wien war das modernste und größte seiner Zeit. Es hatte 700 Sitzplätze, bot aber mehr als dreimal so vielen Zuschauern Platz. Es war nicht nur ein epochemachender Theaterbau, sondern auch der Ort, wo man seine Werke aufgeführt sehen musste, um wirklich erfolgreich zu sein, schreibt Franz Patay, Geschäftsführer der Vereinigten Bühnen Wien, zu denen das Haus jetzt zählt.
Bevor Beethoven seine Dienstwohnung in Mariahilf bezog, weilte er zur Kur im Vorort Heiligenstadt, in der Hoffnung, sein Gehörleiden zu heilen. Andreas J. Hirsch übertitelt dieses Kapitel "Lebenskrise und heroische Zeit". Denn 1802 verfasste der Komponist das, erst ein Vierteljahrhundert später entdeckte, "Heiligenstädter Testament". Kein letzter Wille im juristischen Sinn, sondern ein verzweifelter, nicht abgesendeter Brief an seine Brüder. In Heiligenstadt arbeitete der Komponist an seiner 3. Sinfonie. Er wollte die "Eroica" Napoleon widmen, war aber von dessen eigenmächtiger Krönung so enttäuscht, dass das Werk seinem Mäzen Fürst Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz dedizierte. Das Wohnhaus in der Probusgasse wurde von der Stadt Wien 1967 als Beethoven Museum erworben und 50 Jahre später neu gestaltet. Überraschende Perspektiven und Details von Haus und Hof bilden den Fototeil, dazu die Ansicht eines Denkmal-Modells im Eroica-Saal des Palais Lobkowitz.
Dort hatte die Voraufführung der 3. Sinfonie stattgefunden. Andreas J. Hirsch bemerkt dazu: Lobkowitz leistete sich ein eigenes Orchester mit den besten Musikern … Für Beethoven, der mit seinen Kompositionen häufig Neuland betrat und hohe Anforderungen sowohl an die ausführenden Interpreten als auch an sein Publikum stellte, waren derartige Voraufführungen ein wichtiger 'testing ground.'. Bei den erlesenen Zuhörern dieses Abends soll Beethovens "neuer Weg" sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen haben. Doch als der Meister erwog, Wien zu verlassen, formierte sich um Lobkowitz ein Kreis adeliger Förderer, die ihn mit einem großzügigen Rentenvertrag zum Bleiben motivierten.
Nach dem Theater an der Wien und "Fidelio" führt das nächste Kapitel in das Pasqualatihaus auf der Mölkerbastei. Durch dessen erhöhte Lage konnte der Tondichter von der Wohnung im 4. Stock den Ausblick über die Vorstädte genießen. Zwischen 1804 und 1815 wurde sie ihm wurde ihm vom befreundeten Musik liebenden Hausherrn stets freigehalten. Ergänzend zu seinen zahlreichen Domizilen in der Innenstadt und den Vorstädten lebte der Komponist oft kurzfristig in den Vororten. Jenseits des Linienwalls war die Siedlungsstruktur eher ländlich. Besonders in Döbling, dem heutigen 19. Wiener Gemeindebezirk, wo sich ein Weg namens "Beethovengang" befindet, ließ er sich in und von der Natur inspirieren. Auf seinen regelmäßigen Spaziergängen durchquerte Beethoven gerne die hügelige, teilweise zerklüftete Landschaft und die Weinberge an den Ausläufern des Wienerwaldes. … Stets brach er mit einem Notizbuch gerüstet in die Natur auf. Darin notierte er Ideen für seine Werke, die dann nach der Rückkehr in die Wohnung auf das Papier der Notenbögen gebracht wurden. Idealisierende Darstellungen unterschiedlicher künstlerischer Qualität zeigen den wandernden, sinnenden Komponisten in der Natur. Das Ölgemälde des Professors an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Julius Schmid (1854 -1935), dessen Werke mehrfach ausgezeichnet wurden, aus dem Jahr 1901 ziert den Umschlag des Buches. Dies schafft einen starken Kontrast zu Hirschs künstlerischen Fotos im Inneren. Auch die Differenz zwischen historischen Ansichten und Klimts Beethovenfries (1902) sorgt für Spannung.
Die abschließenden Kapitel Abschiede und Triumphe sowie Die Kreise schließen sich - späte Jahre und Finale behandeln die letzten beiden Lebensjahrzehnte. 1809, ein Jahr nach der Uraufführung seiner 5. und 6. Sinfonie ("Schicksalssinfonie" und "Pastorale") beendete Beethoven die "heroische Phase". In diesem Jahr starb Joseph Haydn und Napoleon nahm Wien zum zweiten Mal ein. Der Wiener Kongress ordnete danach Europa neu. Im Rahmen von dessen kulturellem Programm präsentierte der Komponist seine 7. Sinfonie sowie "Wellingtons Sieg" in der Hofburg und hatte seinen letzten Auftritt als Pianist. Am 26. März 1827 starb Ludwig van Beethoven im (alten) Schwarzspanierhaus auf dem Alsergrund. Es wird überliefert, dass ein heftiges Gewitter mit Schneegestöber und Hagel seinen Tod begleitete. Joseph Franz Danhauser fertigte eine Lithographie des Verewigten an. Der Hofkammer-Kupferstecher und Lehrer für Kupferstich an der Akademie, Franz Xaver Stöber, hielt "Beethovens Leichenzug" fest. Das Bild zeigt eine unüberschaubare Menschenmenge vor der Kulisse von Schwarzspanierkirche und Kloster. 1845 übernahm das Zisterzienserstift Heiligenkreuz das ehemalige Konventsgebäude, ließ den Garten parzellieren und 1903 - trotz Protest der Beethovenverehrer - den bestehenden Neubau errichten. In der letzten Wohnung des Komponisten fand eine Abschiedsfeier statt, die städtischen Sammlungen übernahmen einige Relikte. Am Neubau wurde 1929 eine Gedenktafel enthüllt. Diese, das inzwischen mehr als 100-jährige Gebäude und ein Lichtbild des Sterbezimmers vor dem Abbruch bilden den Ausklang des Buches. Dessen faszinierende Fotos eröffnen einen völlig neuen Blick auf die Gedenkstätten des Genies Ludwig van Beethoven, der überzeugt war: …Wem sich meine Musik auftut, der muss frei werden von all dem Elend.