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Reinhard Kren - Monika Leisch-Kiesl (Hg.): Kultur – Erbe – Ethik #

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Reinhard Kren - Monika Leisch-Kiesl (Hg.) :Kultur – Erbe – Ethik. "Heritage" im Wandel gesellschaftlicher Orientierungen. Transcript Verlag Bielefeld. 486 S., ill., € 49,-

Eine der höchsten Auszeichnungen, die man einer Persönlichkeit, die wissenschaftlich tätig war, überreichen kann, ist eine ihr zu Ehren gestaltete Festschrift. Sie ist der in Buchform gegossene Ausdruck dafür, dass derjenige, dem die Schrift gewidmet ist, im wahrsten Sinn des Wortes etwas zu sagen hat, formuliert der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer in seinem Grußwort zum vorliegenden Buch. Wilfried Lipp, der solcherart Geehrte, hat weit über die Grenzen seines Faches hinaus viel zu sagen und publiziert. Vor 75 Jahren in Bad Ischl geboren, war der Sohn des am Oberösterreichischen Landesmuseum tätigen Volkskundlers Franz C. Lipp fast zwei Jahrzehnte hindurch Landeskonservator des Bundesdenkmalamtes in Linz. Er lehrte an mehreren Universitäten, war Präsident des Österreichischen Nationalkomitees von ICOMOS (Internationaler Rat für Denkmalpflege) und als Vizepräsident von ICOMOS International für Europa zuständig.

Wie konzipiert man eine Festschrift für Wilfried Lipp?" ' fragten sich die Herausgeber. Im Gespräch mit dem Jubilar fanden sie die Trias "Kultur - Erbe - Ethik" als roten Faden. Für die rund 50 Beiträge auf fast 500 Seiten konnten sie Persönlichkeiten mit weltweitem Wirkungsradius gewinnen. Sie erhielten Fachartikel, Interviews und Statements aus Österreich, Belgien, Deutschland, Großbritannien, Israel, Italien, Kanada, Kroatien, Mexiko, Russland, der Schweiz, Tschechien und Ungarn - etliche in englischer Sprache. (Dabei wären deutsche Zusammenfassungen wünschenswert gewesen).

Anders als Natur- und Umweltschutz hat Denkmalpflege in der Öffentlichkeit kein gutes Image. Für das baukulturelle Erbe existiert keine wirkmächtige Lobby, sondern höchstens eine schwächliche mediale Aufmerksamkeit. Es gibt eben keine "friday for culture"-Demos, die Bewusstsein schaffen und die Politik in die Pflicht nehmen. Der Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, und der Jurist Georg Spiegelfeld sind nicht die einzigen, die in dem Band engagiertes Vorgehen für die "immobilen Antiquitäten" fordern. Ein viel diskutiertes - aber hier nicht angesprochenes - Beispiel ist das Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt. Dadurch droht das UNESCO-Welterbe- Prädikat für das „Historische Zentrum von Wien" verloren zu gehen. Die City steht auf der Roten Liste des gefährdeten Kulturerbes.

Die 1972 ins Leben gerufene Welterbekonvention umfasst 1092 geschützte Welterbestätten, davon - seit 1993 - zehn in Österreich. Lipps Mitstreiter, der frühere bayerische Generalkonservator Egon Johannes Greipl, führt weiter aus: Zwischen 2002 und 2019 stieg die Zahl der Kultur- und Natur-Welterbestätten von 730 auf 1121 in 167 Ländern. 39 gelten als transnationales Welterbe, 55 (rund 5 %) als im Bestand gefährdet, zwei wurden aus der Liste gestrichen. Die fünf Jahrzehnte, die Wilfried Lipp in der Denkmalpflege wirkte, waren global von einschneidenden bedrohlichen Entwicklungen geprägt, erinnert sich Greipl. Er spricht von einem Kulturbruch historischen Ausmaßes und zitiert den französischen Historiker Francois Hartog, der "Präsentismus" konstatierte. Gegenwart ist alles, Vergangenheit nichts, Zukunft wenig. Dies zeige sich in Vergangenheitshass und Gegenwartsvernarrtheit. Das Motiv der Verachtung des Alten fand Greipl schon in der Kakotopie "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley (1932). Die Beschäftigung mit Geschichte ist staatlich verboten. Die Parolen sind "Geschichte ist Humbug", "Alte Sachen sind ekelhaft" … Es ist die Rede von einer Kampagne gegen die Vergangenheit.

Aktuell fühlt man sich an solche Gedankengänge erinnert. Beispiel Wohnbauförderung: die Dämmplatte wird gefördert, Solaranlagen, Windräder - Hauptsache energieeffizient, selbstversorgend, liest man in einem der besonders interessanten Beiträge. Es handelt sich um ein Gespräch der Kunsthistorikerin Imma Walderdorff mit der Motivforscherin Helene Karmasin und dem ORF-Redakteur Tarek Leitner. Karmasin hat die 2019 im Bundesdenkmalamt präsentierte Studie "Die Bedeutung von historischen Gebäuden" durchgeführt: 92 % der Befragten meinten, dass ihnen historische Gebäude (sehr) gut gefielen und Österreich damit über einen großen Schatz verfüge. Leitner beschäftigt sich in TV-Dokumentationen und Büchern mit der Verwandlung der Welt durch die aktuelle Baukultur. "Mut zur Schönheit", seine "Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs", erschien 2012. In der Zwischenzeit ist vieles unwiederbringlich verloren gegangen.

Denkmalbefürworter sind eine noble, stille Minderheit. Zu ihnen zählen Schlossbesitzer und Kulturschaffende. ORF-Lady Barbara Rett erzählt in ihrem Statement über den Hoisn-Hof im Mühlviertel. Als sie ein Anwesen erwerben wollte, war es bei diesem die viel zitierte Liebe auf den ersten Blick: Ich lege meine Hand auf die granitene Umrundung des verfallenen Eingangstores und weiß: "Das Haus werde ich kaufen". …. Natürlich. Natürlich ohne zu überlegen, zu denken, es passt einfach. Später bekam sie Besuch von Franz C. Lipp und Wilfried Lipp, die das Denkmal erforscht hatten. Wie man einer regionalen Homepage entnehmen kann, pflanzte die Kultur-Moderatorin bei ihrem Bauernhaus eine Lipp-Linde. Der Regisseur Robert Dornhelm hat sich oft mit historischen Stoffen auseinandergesetzt (u. a. TV-Serie über Maria Theresia) und an Originalschauplätzen gedreht. Denkmalschutz sollte seiner Ansicht nach nicht nur schöne Hausfassaden und historische Architekturdenkmäler erhalten, sondern den Imperativ im Wort "Denk(ein)mal!" ernst nehmen …

hmw