Thomas Leibnitz (Hg.): Beethoven #
Thomas Leibnitz (Hg.): Beethoven. Menschenwelt und Götterfunken. Residenz Verlag - Österreichische Nationalbibliothek. Salzburg 2019. 256 S., ill., € 30,-
2020 ist ein Beethovenjahr, 1770 wurde der Komponist der Wiener Klassik in Bonn geboren. Anlass für beide Städte, ihn mit Konzerten, Ausstellungen und Publikationen zu würdigen. Schon im Dezember 2019 eröffnete die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) im Prunksaal ihre Ausstellung unter dem Motto „Menschenwelt und Götterfunken“. Der überaus ansprechende Katalog ist im Residenz Verlag erschienen. Ausstellungskurator Thomas Leibnitz, Direktor der Musiksammlung der ÖNB, hat darin 15 Beiträge versammelt. Sie kreisen um Beethovens Beziehungen zu seiner Wahlheimat Wien, in der er von 1792 bis zu seinem Tod 1827 lebte. Bekannt ist, dass er ungefähr 60 Wohnungen mietete und für viele Mitmenschen als schrulliger Zeitgenosse galt. Diese Einschätzung wird ihm ebenso wenig gerecht, wie der Geniekult des 19. Jahrhunderts, der sich in heroischen Bronzebüsten und Marmorköpfen spiegelt.
Ausstellung und Buch zeichnen ein umfassendes Bild. Die "Menschenwelt" findet Niederschlag in der Korrespondenz mit Lehrern, Schülern, Musikern, Mäzenen, Freunden und Familienmitgliedern. Den "Götterfunken" illustrieren Kompositionen, die bis heute zum klassischen Kanon gehören, wie das Violinkonzert op. 61, die „Frühlingssonate“ op. 24 oder das Streichquartett op. 95. Zu den Schwerpunkten besitzt die ÖNB eine Reihe von Originalhandschriften. In der Ausstellung präsentiert, finden sich die wertvollen Exponate als brillante Abbildungen im Katalog. Beiträge vertiefen die einzelnen Kapitel.
Von Bonn nach Wien kam der 22-Jährige im Zuge einer Ausbildungsreise. Seine Freunde überreichten ihm, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, ein Stammbuch, das zu den Schätzen der ÖNB zählt. Darin befindet sich die viel zitierte Eintragung Graf Waldsteins: Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozart's Geist aus Haydns Händen. Beethovens erste Lehrer sorgten in Bonn für Unterweisung, zunächst sein Vater, der Hofmusiker Johann van Beethoven, dessen Vater Hofkapellmeister beim Kurfürsten Maximilian Friedrich gewesen war. Einer seiner Nachfolger als Kurfürst und Erzbischof von Köln war Maximilian Franz von Österreich, ein Sohn Maria Theresias. Er wollte Mozart für seine Musikkapelle engagieren. Nach dessen Absage förderte er den 16-jährigen Beethoven und finanzierte ihm 1786 eine Studienreise zu Mozart nach Wien. Die zweite Reise folgte sechs Jahre später, Beethoven studierte nun bei Joseph Haydn, Johann Albrechtsberger und Antonio Salieri.
Auch Beethoven erteilte Klavierunterricht, allerdings nur ungern. In Wien lehrte er meist adelige junge Damen, aber auch Karl Czerny, der als Klavierpädagoge bekannt wurde und den der Meister sehr schätzte. Als einzigen Kompositionsschüler akzeptierte er Erzherzog Rudolph. Der zweite Sohn Kaiser Leopold II. wirkte als Erzbischof von Olmütz und verstand sich als Künstler, Sponsor und Mäzen. Mehr als 100 Briefe zeugen vom freundschaftlichen und respektvollen Umgang der beiden Musiker. Mäzene, vor allem aus dem Wiener Hochadel, erwiesen sich jahrelang großzügig gegenüber dem Komponisten. Doch waren sie nicht nur Geldgeber, sondern ermöglichten ihm auch Konzerte und dadurch die "Vernetzung" mit gesellschaftlich wichtigen Persönlichkeiten. Die Gegengabe erfolgte in Form von Widmungen, wobei der Name des Widmungssträgers auf den Noten größer gedruckt war, als der des Komponisten. Unter den Förderern befanden sich häufig Ehepaare, wie Fürst Karl Lichnowsky und seine Frau Maria Christiane, geb. Thun-Hohenstein oder Fürst Ferdinand und Fürstin Maria Charlotte Kinsky. Die beiden Fürsten und Erzherzog Rudolph schritten zu einer patriotischen Tat. Nachdem Napoleons Bruder Jerome Bonaparte als König von Westphalen Beethoven eine gut dotierte Stelle als Kapellmeister angeboten hatte, motivierten sie ihn mit einem großzügigen Rentenvertrag, in Wien zu bleiben.
Freischaffend tätig, wurden für den Komponisten die Honorare von Verlegern zunehmend wichtig. Er verhandelte mit rund 30 Verlagen und versuchte, für dasselbe Werk mehrere Verleger zu finden, die sich die Rechte in Europa teilen sollten. Damals bestand kein Urheber- und Leistungsschutz, sodass Erstausgaben oft schon kurz nach der Veröffentlichung - ohne Zustimmung der Autoren oder Originalverleger - nachgedruckt wurden. Wie Joseph Haydn ließ Beethoven Kompositionen von einem Wiener Verleger stechen und behielt sich den Vertrieb der ersten Exemplare vor. Erst danach wurde die Ausgabe zum regulären Verlagsprodukt. Beethoven traf Haydn vermutlich erstmals 1790, als dieser auf der Reise nach London in Bonn Station machte. Die Begegnung könnte auch zwei Jahre später, auf der Rückreise, stattgefunden haben. Jedenfalls war sie der Anstoß, dass Beethoven nach Wien kam, um bei ihm Unterricht zu nehmen. Nach der Überlieferung soll es zwischen Lehrer und Schüler Differenzen gegeben haben. Sicher ist jedoch, dass Beethoven Haydns Musik sehr schätzte.
Die "Menschenwelt" spiegelt sich in der Jubiläumsausstellung in Briefen, die der Meister an Musiker, Dichter, Freunde und Frauen schrieb. Am bekanntesten ist das Schreiben an die "unsterbliche Geliebte". Wer sie war, bleibt trotz zahlloser Spekulationen rätselhaft. Ein weiteres Kapitel ist dem Alltag zur Beethovenzeit gewidmet, wobei im Freundeskreis der Hofsekretär und Musiker Nikolaus Zmeskall eine gewisse Rolle spielte. Mit ihm wechselte er fast 170 Briefe und traf sich gerne im Gasthaus "Zum Schwan" am Mehlmarkt. Der Beamte half dem Genie bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben, wie der Auswahl von Bedienten, von denen sich der Meister stets betrogen fühlte. Mit seinem Neffen Karl, um dessen Vormundschaft er sich bemühte, hatte Beethoven kein gutes Verhältnis, noch weniger zu dessen Mutter, der Witwe seines Bruders. Die familiären Probleme führten zu einem (misslungenen) Selbstmordversuch Karls von Beethoven.
Der profanen Menschenwelt gegenüber steht der "Götterfunken" des überragenden Genies. Mehrere Katalogbeiträge behandeln Skizzieren und Komponieren und seine Arbeiten zur Zeit des Wiener Kongresses. Bis zu dessen Beginn 1814 hatte er bereits acht von neun Sinfonien, elf von 16 Streichquartetten, 26 von 32 Klaviersonaten, alle Solokonzerte und Klaviertrios geschrieben. Allein 1814 veranstaltete er vier von acht Akademie-Konzerten und brachte eine revidierte Fassung seiner Oper "Fidelio" auf die Bühne des Kärntnertortheaters, das sie 30-mal aufführte. Im folgenden Jahr erhielt Ludwig van Beethoven das (Ehren-) Bürgerrecht der Stadt Wien. Die Ausstellung klingt mit dem Mythos Beethoven aus. Die Totenmaske und Gedenkmedaillen stehen an ihrem Ende. Sie sind, ebenso wie wichtige Handschriften, die die Musiksammlung, das bedeutendste Musikarchiv Österreichs, und andere Sammlungen der ÖNB verwahren, im Begleitbuch exzellent reproduziert. Beethoven zählt heute fraglos zu den Gestalten des klassischen 'Kanons' der Musik - und ebenso fraglos zu den maßgeblichsten unter ihnen, schreibt Thomas Leibnitz. Mit der Ausstellung und dem Begleitbuch ist es ihm, gemeinsam mit einem internationalen Expertenteam, gelungen, den Aspekten "Götterfunken" und "Menschenwelt", dem Menschen und dem Genie, gleichermaßen gerecht zu werden.