Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Manfred Matzka: Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren #

Bild 'Matzka'

Manfred Matzka: Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren. 300 Jahre graue Eminenzen am Ballhausplatz. Verlag Christian Brandstätter Wien. 256 S., ill., € 28,-

Von Maria Theresia bis Sebastian Kurz reicht der Zeitrahmen dieser politischen Insider-Reportage. Immer beeinflussten "graue Eminenzen" die Herrschenden, manche hatten sogar mehr Macht als diese. Als erste graue Eminenz gilt der adelige französische Kapuziner Père Joseph (François-Joseph Le Clerc du Tremblay de Maffliers, 1577-1638). Der Vertraute des Kirchenfürsten und Staatsmannes Kardinal Richelieu wirkte zur Zeit der Gegenreformation. Beider Ziel war es, die Vormachtstellung der Habsburger in Europa zu brechen.

Doch auch diese hatten ihre Einflüsterer. In Österreich, genauer dem Kaiserreich des 18. Jahrhunderts, berieten brillante Persönlichkeiten, begnadete Schreiber, umtriebige Unversalgelehrte die Herrscher. Sie kamen mitunter aus dem Ausland, genossen internationales Ansehen, Ruhm in der Geisteswelt außerhalb der Staatsapparate und Ansehen bei Hof und Volk. Sie waren gefallsüchtig, geldgierig, vielsprachig, kulturinteressiert, Bohemiens und verkehrten mit den Monarchen auf Augenhöhe.

Die ersten der 15 Kapitel sind den Beratern Maria Theresias und Joseph II. gewidmet. Große Namen sind bis heute ein Begriff. Johann Christoph Freiherr von Bartenstein (1689-1767) begann 1715 seine Karriere am Wiener Hof, sie sollte ein halbes Jahrhundert dauern. Mit diplomatischem Geschick erreichte er die Zustimmung Ungarns, Brandenburg-Preußens und Englands zur Pragmatischen Sanktion. Diese verfassungsrechtliche Verfügung Kaiser Karl VI. sollte die weibliche Erbfolge sichern. Bartenstein organisierte die Heirat der Thronfolgerin mit Franz Stephan von Lothringen und die Ausbildung ihres Sohnes Joseph II. Die Monarchin bestätigte ihrem Ratgeber, "daß Ihme allein schuldig die Erhaltung dieser Monarchie, ohne Seiner wäre Alles zu Grunde gegangen." Auch Joseph Freiherr von Sonnenfels (1732-1817) diente ihr und ihrem Sohn 50 Jahre hindurch. Nicht nur die Abschaffung von Folter und Todesstrafe, Gesetzes- und Verwaltungsreformen sind untrennbar mit diesem Visionär und Lehrmeister verbunden. Unter anderem war er Universitätsprofessor, Zensor und Wiener "Illuminationsdirektor". Die erste permanente Straßenbeleuchtung geht auf ihn zurück.

Vier Kapitel würdigen "Schattenfürsten", die bis zum Ende der Habsburgermonarchie Einfluss ausübten. Zur Zeit Franz I. war es Friedrich von Gentz (1764-1832). Nannte man beim Wiener Kongress den Kanzler Klemens Wenzel Fürst von Metternich "Kutscher Europas", so entwickelte sich Gentz als "Sekretär Europas" zu einer zentralen Figur. Für Kanzler Metternich, der im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht und nicht gerade gerne arbeitet, wird der weltbürgerliche Hofrat dadurch ein unentbehrlicher Berater, seine graue Eminenz. Bei ihm laufen die Fäden des Kongresses zusammen.

Franz Joseph I. regierte sieben Jahrzehnte. Entsprechend groß war die Anzahl seiner Berater. Anfangs waren seine Mutter, Erzherzogin Sophie Friederike von Bayern (1805-1872) - die "heimliche Kaiserin" - und der konservative Karrierebeamte Karl Friedrich Freiherr Kübeck von Kübau (1780-1855) die wichtigsten. Nach der neoabsolutistischen Wende der 1850er Jahre wurde Erich Graf von Kielmannsegg (1847-1923) der Bürokrat des Kaisers. Er forcierte die Eingemeindung der Vororte, war Ministerpräsident und Innenminister eines Übergangskabinetts. Als Statthalter konzentrierte er sich auf die Reform der Landesverwaltung, trieb die Donauregulierung voran, zeigte sich der modernen Technik aufgeschlossen und setzte auf Dialoge mit den Christlichsozialen unter Lueger und den Sozialdemokraten. Hingegen charakterisiert der Autor den Berater von Leopold Graf Berchtold, Alexander Graf von Hoyos (1876-1937) als Macher ohne Skrupel, der den Krieg wollte. Außenminister Berchtold legte Franz Joseph eine durch und durch tendenziöse Einschätzung der Lage vor, abschließend ersucht er um die Ermächtigung zur Übermittlung der Kriegserklärung.

Nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie holten die Führungsfiguren der Sozialdemokraten, Karl Renner und Otto Bauer, den Juristen Hans Kelsen (1881-1973) als wissenschaftlichen Politikberater. Hans Kelsen war, über seine Mitarbeit an der Bundesverfassung hinaus, einer der bedeutendsten Juristen des 20. Jahrhunderts und hat als solcher unser Land, seine Rechtsordnung und Rechtskultur weit über seine Texte hinaus beeinflusst, schreibt der Autor. In den folgenden Kapiteln behandelt er Persönlichkeiten ganz anderer Art: Der Schreibtischtäter, Robert Hecht, Berater von Carl Vaugoin und Engelbert Dollfuß, 1917 - 1938 und Ein Diener vieler Herren, Walther Kastner, Berater von Arthur Seyß-Inquart, Peter Krauland und Reinhard Kamitz, 1938-1958.

Ab dem 10. Kapitel nähert man sich der Gegenwart: Hinter den Kulissen, Heinrich Wildner, Berater von Karl Renner, Leopold Figl und Karl Gruber, 1945-1948, Der Netzwerker, Eduard Chaloupka, Berater von Julius Raab, Alfons Gorbach und Josef Klaus, 1953 - 1967 und Ein stiller Freund, Hans Thalberg, Berater von Bruno Kreisky, 1962-1975. Mit der Reformstimmung der späten Sechzigerjahre kamen moderne Formen der Politikberatung auf: Personalrekrutierungen jenseits eingefahrener Bahnen, Dialog mit der Wissenschaft und gesellschaftlichen Institutionen. … Es entsteht eine neue Organisationsform, das Kanzlerkabinett. Die Kanzlerkabinette von Josef Klaus und Bruno Kreisky nennt Manfred Matzka Republik der Sekretäre. Er selbst begann seine 40-jährige Karriere während der Ära Kreisky als Jurist im Verfassungsdienst. Er fungierte unter vier Kanzlern als Präsidialchef des Kanzleramtes und war zuletzt Berater von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein.

Die jüngsten Entwicklungen der anonymen Spin-Doktoren und Consulter sieht der kenntnisreiche Spitzenbeamte kritisch: Unter Rot-Schwarz verlieren die Persönlichkeiten in den Kabinetten weiter an realpolitischer Bedeutung. Qualifikation ist weniger gefragt, dafür gebärden sie sich selbstbewusst bis zur Peinlichkeit. In das Vakuum, das durch die gleichzeitige Entmachtung der Sektionschefs entsteht, strömen in wachsender Zahl Externe ein. … Am Ende ist klar, dass ihre Stärke ausschließlich im Verhindern liegt, eine Kraft in der Durchsetzung der Politik ist nicht mehr erkennbar. Die SPÖ vertraute dem PR-Guru Tal Silberstein, nach dem Motto 95 Prozent der Politik sei Inszenierung. Auch sei er Spezialist dafür gewesen, den Gegner von einem sauberen in einen schmutzigen Kandidaten zu verwandeln. … Im Wahlkampf 2017 und gegen das schlagkräftige Team rund um Sebastian Kurz geht diese Strategie gründlich schief. Dessen Berater nützen nun vor allem drei Instrumente: Erstens "Message control" (Steuerung der Informationspolitik auf allen Ebenen, einheitliche Sprachregelung); zweitens PR-Beratung und Außenkommunikation (Die Ausgaben dafür lagen 2018 bei 45 Mio. €); drittens Studien und Gutachten (2017 Kosten von 10 Mio. € für 159 Studien, 2018 waren es bereits 2200 Aufträge). Die Aufwendungen der öffentlichen Hand für das "Multi-Millionen-Business" der international tätigen Spin-Doktoren, Consulting GmbHs und Eigenwerbung seit 2000 schätzt der Autor auf zwei Milliarden Euro. Das ist rund doppelt soviel wie in Deutschland. Was in Maria Theresias und Metternichs Zeiten für Beratung im Jahr ausgegeben wurde, fällt heute in ungefähr einer Woche an.

hmw