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Paolo Rumiz: Der unendliche Faden #

Bild 'Rumiz'

Paolo Rumiz: Der unendliche Faden. Reise zu den Benediktinern, den Erbauern Europas. Folio Verlag Wien - Bozen. 237 S., € 22,-

Paolo Rumiz, geboren 1947 in Triest, gilt als erfolgreichster Reiseschriftsteller Italiens. Für sein journalistisches Engagement erhielt er zahlreiche Preise. Der Verlag nennt Rumiz' Bücher "eigenwillig". Die jüngsten handeln von seinem mehrwöchigen Aufenthalt in einem Leuchtturm auf einer Mittelmeerinsel, Fahrten auf Italiens größtem Fluss, dem Po, und einer mehr als 500 km langen Wanderung entlang der antiken Via Appia. In seinem neuesten Werk sucht der Autor als überzeugter, doch kritischer Europäer die Wurzeln eines offenen, barmherzigen, zukünftigen Europa – und findet sie in den Klöstern der Benediktiner. Er besuchte 15 Abteien in Italien, der Schweiz, Frankreich, Belgien, Deutschland, Österreich und Ungarn.

Den Impuls dazu verdankt er einem Besuch in Norcia, wo der Ordensgründer Benedikt von Nursia im Jahr 480 geboren wurde. Mehrfach zerstörten Erdbeben die Basilika San Benedetto, zuletzt 2016. Dabei blieb nur die Fassade erhalten, auch das Denkmal des hl. Benedikt überstand die Erdstöße der Stärke von 6,2 Mw. Ein Mann mit langem Bart und weiter Kutte hob den Arm, als wolle er auf etwas zwischen Himmel und Erde zeigen. Er stand unversehrt inmitten der Zerstörung, und die Aufschrift lautete: Hl. Benedikt, Schutzpatron Europas. Ich spürte einen Stich ins Herz.

Schon das einleitende Zitat zeigt, dass man es hier mit einem sehr persönlichen Buch zu hat. Kunsthistorische oder geschichtliche Daten und Fakten sind selten. Hingegen schildert der Autor Emotionen und Atmosphärisches, erinnert sich an frühere Begegnungen und Gespräche mit Ordensleuten, in deren Prinzipien er eine positive Kraft entdeckt. Er erfährt die Benediktinerklöster als Räume, die auf menschenwürdiges Wirtschaften, Respekt gegenüber der Natur und der Hände Arbeit bauen, wo Freude an der Gemeinschaft, Gastfreundschaft, Spiritualität und Barmherzigkeit gelebt werden.

Österreich ist mit Stift Göttweig vertreten. Hier hat man augenblicklich das Gefühl, im Herzen Europas zu sein. … Die Abtei thront über den Dächern von Furth … Ich bin gerade rechtzeitig zum Vespergebet gekommen. … Wir gehen über riesige leere Gänge. Keine Leere ist leerer als die in barocken Kulissen, einem Stil, der den Eindruck von Fülle erzeugen möchte. … in der halbdunklen Krypta von Sankt Altmann, aus der das Komplet-Gebet aufsteigt. Die mittelalterliche Kargheit des konkaven Raums mit seiner perfekten Akustik unterstreicht die Stimmen, macht sich über die barocken Kulissen lustig und versetzt die Seele in die wunderbaren Katakomben des Urchristentums zurück. Auch das Antlitz der Mönche verändert sich in diesem strengen Raum, sie werden zu etwas Geheimnisvollem. ... Ich fühle mich dem Himmel nahe, viel näher als in Marienberg, dem höchstgelegenen Benediktinerkloster in Europa.

Auf 1335 m Seehöhe erbaut, ist Marienberg eine von sechs Abteien, die der Autor in Italien besucht hat. Zunächst fällt ihm das riesige Werk der Uhr auf, die den Mönchen die Zeiteinteilung vorgibt. Der Heilige sagte: "Siebenmal am Tage singe ich dir Lob" und im 16. Kapitel der Klosterregel legte er einen Tagesablauf mit sieben Messen fest. Eine Lebensform, dank der die Pünktlichkeit , verstanden als für das Zusammenleben unerlässlicher Respekt, in ganz Europa zu einer wichtigen Tugend wurde. … Im Mittelalter war diese Organisation des Gemeinschaftslebens etwas absolut Neuartiges und hat Außenstehende sehr beeindruckt. In Praglia entdeckt der Autor in seiner Zelle ein Buch mit der Klosterregel: Leadership mithilfe von Zuhören; die demokratische Wahl des Abtes; vom Alter unabhängiger Status; … Versammlungen um interne Streitigkeiten beizulegen; Disziplin, aber auch Sanftheit in menschlichen Beziehungen. … Beeindruckend modernes Denken.

Ein Muster für das Zusammenspiel von Tradition und Zukunftsorientierung fand Paolo Rumiz in der Erzabtei St. Ottilien, dem Klosterdorf ca. 40 km westlich von München. Rund 100 Benediktiner leben auf dem "Bauernhof Gottes" nach dem Motto "ora et labora". Hier war der "rockende Abt" Notker Wolf der Gesprächspartner. Der frühere Abtprimas beherrscht elf Sprachen, liebt Musik (er spielt mit seiner Band auch Rockmusik), hat Theologie, Philosophie, Zoologie, Chemie und Astronomiegeschichte studiert, war Missionar, lehrte an der päpstlichen Hochschule in Rom, hat ungefähr 30, in zahlreiche Sprachen übersetzte, Bücher verfasst und hält Managerseminare. Auch der Autor ist begeistert: Ein unvergesslicher Tag geht zu Ende … Wenn jemand auf der Suche nach Gott ist, findet er ihn gewiss leichter hier zwischen Kühen und Hühnern als in den verängstigten Pfarreien. Seine Begeisterung überträgt sich, und am Ende stört es gar nicht mehr, dass in diesem lesenswerten Buch kunsthistorische oder geschichtliche Daten und Fakten selten sind.

hmw