Ernest Zederbauer: Weitra#
Ernest Zederbauer: Weitra. Portrait einer faszinierenden Kleinstadt. Kral-Verlag Berndorf. 208 S., ill., € 29,90
Weitra im Niederösterreichischen Waldviertel, nahe der tschechischen Grenze, hat heute rund 1300 Einwohner und umfasst mit den Katastralgemeinden 52 km². Hadmar II. von Kuenring gründete die Stadt 1201 mit Stadtmauer, -toren, -platz und Kirche. Am höchsten Punkt errichtete er eine zweitürmige Burg als Hauptsitz seiner Familie. Ende des 16. Jahrhunderts entstand unter neuer Herrschaft ein gewaltiges Renaissanceschloss, das bis heute das Stadtbild Weitras charakterisiert.
Das Schloss der Fürstenberger ist bei weitem nicht die einzige Sehenswürdigkeit der (seit 700 Jahren) ältesten Braustadt Österreichs. Der Rathausplatz zählt zu den schönsten des Landes, verwinkelte Gassen, Sgraffitohäuser, Anwesen wohlhabender Ackerbürger und die Stadtmauer verhalfen Weitra zum Prädikat "Perle des Oberen Waldviertels". Um ihre Geschichte, Geschichten und Geheimnisse kennen zu lernen, vertraut man sich am besten dem Nachtwächter "Zedi" an. Ernest Zederbauer, Jahrgang 1947, führt in dieser Rolle Gäste durch seine historische Heimatstadt. Der vielseitig interessierte Gemeinderat, Volkshochschuldirektor, Kneipper und Stadtfest-Initiator war im Berufsleben Spenglermeister und Installateur. Jetzt bietet er die Stadtspaziergänge auch in Form eines exzellenten Buches an. Schade, dass der Textautor nicht auch als Fotograf der vielen stimmungsvollen Bilder genannt wird. Das ansprechende Layout (Tina Gerstenmayer) trägt das Ihre zu dieser besonderen Publikation bei.
Der Rundgang beginnt Oben in der Altstadt, die man durch das mächtige Stadttor betritt. Der Rathausplatz mit seiner fast südländischen Atmosphäre ist im Juli Zentrum des Bierkirtags, im Sommer gibt es Platzkonzerte und im Winter die Weitraer Advent-Tage. Traditionell finden vier Jahrmärkte statt, das Marktrecht geht auf ein Edikt aus 1360 zurück. Schon 1321 hatte der Habsburger-König Friedrich der Schöne der Stadt Weitra eine Reihe von Freiheiten, darunter die Braugerechtigkeit, gewährt. Seit alters her war der Handel wichtig für die Stadt, die an der "Salzstraße" von Krems nach Budweis lag. Im 17. Jahrhundert waren 90 Gewerbebetriebe in 16 Zünften organisiert. Um 1900 ließen die Schweinebarone bis zu 300 Tiere aus Ungarn durch die Stadt und auf die Viehmärkte der Umgebung treiben. Hier könnten alle Häuser Geschichten erzählen - "Zedi" tut das perfekt an ihrer Stelle. Das vornehmste Gebäude ist das Sgraffitohaus aus der Renaissance. Sein Fassadenschmuck ist der römischen Geschichte entnommen. Die Stadtpfarrkirche am unteren Ende der Altstadt entstand als romanische Wehrkirche. Sie enthält Passionsfresken aus der Spätgotik und barocke Kunstwerke. Die Friedhofskapelle daneben wurde zum Wohnhaus. Hier verbrachte der Biedermeierdichter Ignaz Franz Castelli, ein Begründer des Wiener Tierschutzvereins, seine Kindheit. Eine besondere Sehenswürdigkeit der Altstadt stellt der "Auhof" mit seiner spätgotischen, geschnitzten Balkendecke dar.
Von Oben, der sehenswerten Altstadt, geht es weiter nach Hoch oben zum Schloss. Von Mai bis Oktober steht es Besuchern offen. Dabei können sie u. a. das Museum mit Kunstwerken und Stadtmodell und den gewaltigen Dachstuhl samt Turmuhr besichtigen. Das Schlosstheater ist ein Werk der auf Theaterbauten spezialisierten Wiener Architekten Helmer & Fellner. Es wird ebenso bespielt wie der Schlosshof, der als Wetterschutz spezielle Trichterschirme erhielt. 1994 fand im Schloss Weitra die Niederösterreichische Landesausstellung statt. Geblieben sind das Biermuseum und eine Zeitgeschichte-Ausstellung in den mächtigen Kellern.
Den geheimnisumwitterten Kellergewölben der Stadt ist das Kapitel Tief unten gewidmet. Sie verlaufen labyrinthartig, oft mehrgeschossig, unabhängig von den Grundgrenzen. Die meisten sind aus den Granitfelsen herausgehauen und stammen aus dem 14. Jahrhundert. Als Sensation erwies sich eine 1993 zufällig entdeckte frühgotische Zisterne. Sie wurde sogar zum Thema eine Dissertation an der TU Wien. Das Kapitel Der Mauer entlang erzählt die Geschichte der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Jahrhunderte lang trotzte die Stadtmauer den Eroberern, erst Mitte des 18. Jahrhunderts erwies sie sich als obsolet und sollte demoliert werden. Doch nur Teile verschwanden und heute zählt Weitra zum Dutzend der niederösterreichischen Stadtmauerstädte.
Die Vorstadt liegt Unten im Tal der Lainsitz. Im Ledertal befand sich seit 1340 das Bürgerspital mit seiner Kirche, die mittelalterliche Fresken aufweist. Die Lainsitz mündet als einziger Fluss Österreichs nicht in die Donau, sondern in die Moldau. In der Katastralgemeinde Großwolfgers markiert ein Granitstein die mitteleuropäische Wasserscheide zwischen dem Schwarzen Meer und der Nordsee. Auch Mühlen und Fabriken siedelten sich an der Lebensader der Stadt an. Aus der "Hacklfabrik" mit ihren 500 Webern wurde das "Museum alte Textilfabrik", eine von 40 Stationen der Waldviertler Textilstraße. Beim Herrenhaus befand sich ein "französischer Garten" mit kunstvoll angelegten Blumenbeeten, Springbrunnen und Lauben. Er existiert nicht mehr, doch die Naturromantik am Wasser ist geblieben. An der alten Lainsitzschlinge, in Brühl , bilden gelbe Schwertlilien ein Naturdenkmal - einfach schön!
"Schön" ist ein Lieblingswort des Autors, der aber auch dezent darauf hinweist, wenn ihm etwas nicht gefällt, wie ein grobklotziger Neubau in der Altstadt oder leerstehende Gebäude, wie das Bürgerspital. Zum Abschluss führt er seine lesenden Gäste Rundherum in die Katastralgemeinden. In Reinprechts sind ein paar schöne Bauernhöfe zu sehen, insbesondere der der Familie Müllauer mit seiner schönen Fassade. … Schöne Gästezimmer laden zum Verweilen ein. … Ein paar Meter weiter kommt man an der schönen Barockkapelle von 1875 vorbei. Weit draußen am Waldesrand steht das große Forsthaus der Fürstenberger. Man liest noch von der Schmalspurbahn, die 1902 im Anschluss an die Franz-Josef-Bahn ins Obere Waldviertel eröffnet wurde und im Sommer als dampfbetriebene Museumsbahn fährt. Lindenallee, Badeteich und Golfhotel begeistern die Besucher. Die gotische Hallenkirche von St. Wolfgang ist die größte Dorfkirche Niederösterreichs. Weitere Themen sind das Abfischen der Karpfenteiche, Wackelsteine, der Kalvarienberg und das Domizil von Lotte Ingrisch. Nach mehr als 200 Seiten unterhaltsamer Information möchte man sich gerne bei "Zedi" bedanken, und er könnte antworten: Warum ich das alles hier erzähle? Weil ich das große Glück habe, in einer der schönsten Landschaften der Welt leben zu dürfen.