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Reinhard Bachleitner: Die Vernissage #

Bild 'Bachleitner'

Reinhard Bachleitner: Die Vernissage. Ritual und Inszenierung. Eine dispositiv-analytische Annäherung. Unter Mitarbeit von Wolfgang Aschauer und Thomas Steinmaurer. Transcript Verlag Bielefeld. 200 S., € 38,-

Vernissagen gibt es seit zwei Jahrhunderten. Künstler in Paris und London waren die Ersten, die Kollegen und Freunde zur Fertigstellung ihrer Bilder einluden. In den Pariser Salons entwickelten sich daraus sozial-kommunikative Treffen von Kunstinteressierten. Bald wurde dieses Zeremoniell auch von Galerien, Museen und sogar Weltausstellungen als Eröffnungsritual übernommen - dies nicht zuletzt auch deshalb, da man die kommerziellen Möglichkeiten und Vorteile solcher Eröffnungen erkannte, schreibt der Soziologe und Kulturwissenschaftler Reinhard Bachleitner. Er widmet dem alltagskulturellen Ereignis der Vernissage eine empirisch ausgerichtete, kultursoziologische Studie.

Der emeritierte Professor der Universität Salzburg hat Vernissagen in 19 Galerien der Landeshauptstadt und ihrer Umgebung besucht, Akteure beobachtet und Antworten von 266 Personen mittels Fragebogen erfasst. Besucher, Sammler, Galeristen, Museumsdirektoren, Kuratoren, Künstler, Eröffnungsredner und Kulturpolitiker liefern ihren Beitrag zum Eröffnungsritual. Sie gestalten die soziale und emotionale Atmosphäre und tragen zur Erinnerung an die Vernissage bei. Bisher war über die Verflechtungen der Funktionen und die Rollenverteilung der beteiligten Personen wenig bekannt. Das lesenswerte Buch präsentiert umfassende Erkenntnisse zu diesem sozialen Phänomen.

Die Vernissage kann als ritualisierte Eröffnung im Rahmen von Kunstveranstaltungen aufgefasst werden, und zwar mit einem relativ fixierten Ablauf von meist mehreren Begrüßungs- und Einführungsreden. Den kompetenten Fachautoritäten stehen die Kunstinteressierten gegenüber. Diese entwickeln sich im Lauf des Abends zu Kommunizierenden, Betrachtenden und Wahrnehmenden. Vernissagengäste kommen aus unterschiedlichen Motiven: Freizeitgestaltung, Möglichkeit zur sozialen Kontaktaufnahme, Kommunikation, Selbstdarstellung (und nicht zuletzt das zu erwartende Buffet) spielen eine Rolle. Die Vernissage kann sogar zum "Ort der Glücksfindung" werden. Die Analyse ergab drei Besuchergruppen: Gelegenheitsbesucher, Kunstinteressierte und Prestigebesucher, die kommen, um gesehen zu werden. Eine spezielle Kategorie machen Käufer und Sammler aus, sowie jene, die ausgewählte Werke reservieren und mit einem grünen Punkt markieren lassen. Dazu verleite manche die Profilierungssucht, vor einer im Alltag selten erreichbaren Öffentlichkeit zu punkten, wie Reinhard Bachleitner beobachtete. Andere Autoren zeichnen ein süffisantes Bild von Typen, die sie u. a. als Berufsschauer, Brötchengeier, Bildspazierer oder Eckensteher charakterisieren.

Eigentlich sollten die KünstlerInnen und ihre Werke im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen. Gerne wird in Einladungen auf die "Anwesenheit des Künstlers" besonders hingewiesen Doch dieser befindet sich "im Eröffnungsritual zwischen Zwang und Eitelkeit" und muss mit der Kritik der "Künstlerkollegen, die oft als nörgelnde Neider auftreten", rechnen. Die Furcht des Künstlers vor der Vernissage ist ein durchaus gängiges Phänomen, weiß der Autor. Häufig scheuen sich Kunstschaffende, vor Publikum zu sprechen. Festredner nehmen ihnen die Aufgabe, Werke zu erläutern, ab - wobei die Interpretationen für den Künstler verblüffend sein können. Dem "Jargon" sind keine Grenzen gesetzt. Nicht immer sind echte Experten oder Kuratoren am Wort, die den Anspruch der Eröffnungsrede erfüllen, nämlich für die Zuhörer Unbekanntes in Bekanntes zu transformieren und das "Noch-nicht-Wissen" und das "Nicht-wissen-Können" durch neu hergestelltes Wissen zu ersetzen. So hörte der Autor nicht nur gelungene, kunsthistorisch orientierte, kunsttheoretische, biographisch ausgerichtete oder kooperativ gemeinsame Eröffnungsreden, sondern auch dilettierende Worte zur Eröffnung und gekaufte Lobreden. Für letztere hat der deutsche bildende Künstler und Pädagoge Thomas Klitzke-Mandryka den "Kunstphrasomat" erfunden. In sarkastisch-ironischer Form stellte er eine Sammlung immer wieder auftauchender Floskeln und Worthülsen zusammen, die 1600 Möglichkeiten ergeben, sich "kompetent" über Kunst auszudrücken. Beispielsweise: Das assoziative Lineament konjugiert das Schwebende ohne festes Bezugssystem.

Im Buch "Die Vernissage" gibt es nichts Schwebendes, sondern systematische Analyse nach dem Dispositivkonzept. Abschließend geben Wolfgang Aschauer und Thomas Steinmaurer einen Methodenvergleich für Soziologie-Interessierte. Für den nächsten Vernissagenbesuch eröffnet das wissenschaftliche Werk mit seinen humorvollen Details nicht nur neue Blicke auf die ausgestellten Kunstwerke, sondern auch auf Rituale und Inszenierungen.

hmw