Eva Berger: Flachdach, Dachterrasse, Dachgarten#
Eva Berger: Flachdach, Dachterrasse, Dachgarten. Eine kleine Wiener Geschichte des Wohnens im Freien, "zwischen Himmel und Erde". Österreichische Gartengeschichte Band 3, herausgegeben von der Österreichischen Gesellschaft für historische Gärten. 150 S., ill., Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar. € 28,-
In der Antike zählten die "Gärten der Semiramis" in Babylon oder Ninive aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert zu den sieben Weltwundern. Im Wien des 21. Jahrhunderts n. Chr. bieten Dachgeschosszonen Potential für begrünte Freiflächen in unmittelbarer Wohnungsnähe. Wien gilt als Gartenstadt, aber die Gartenkultur "zwischen Himmel und Erde" war lange Zeit nicht ausgeprägt. Erst in den 1970er Jahren wuchs das Interesse an Dachgärten und mit dem Klimawandel kam der Dachgarten-Boom. Das jüngste Buch von Eva Berger, Professorin für Gartenkunstgeschichte an der TU Wien, stellt die Entwicklung der Dachgärten in faszinierender Weise in Wort und Bild dar. Damit will die Autorin zum besseren Verständnis für das Dachgrün und dessen historische Entwicklung beitragen sowie Anregungen für das eigene Tun und proaktive Handeln bieten.
Die lange und facettenreiche Geschichte von Gärten, die nicht auf gewachsenem Boden angelegt wurden beginnt in der Antike. Klimatisch bevorzugte Regionen wie Persien, Griechenland oder Rom boten gute Voraussetzungen für hängende Terrassengärten. Diese Traditionen wirkten bis in das Mittelalter und die Renaissancezeit weiter in Italien und Ungarn fanden sie Nachahmer. Matthias Corvinus, dem ungarischen König und Eroberer Wiens, verdankt sich um 1485 die erste Erwähnung von "schwebenden Gärten" an der Wiener Hofburg. Die großzügigen Gartenanlagen des um 1570 errichteten Neugebäudes in Simmering präsentierten sich am wirkungsvollsten von den flach gedeckten, mit Balustraden versehenen Arkadengängen zwischen den Türmen und auf dem Festgebäude. Bei solchen historischen Terrassen stand das Panorama im Vordergrund, sie selbst waren nicht bepflanzt.
Noch in der Barockzeit erweisen sich Flachdächer als ungünstig, obwohl man sie auf Gartenpalais anwandte. Im Schloss Schönbrunn ersetzte man sie durch im Winter geeignete, witterungsbeständigere Steildächer. Begrünt und mit einem Glashaus versehen war die "Kaiserin-Terrasse" in der Hofburg. Um 1760 auf dem Augustinertrakt angelegt und mit originellen Attraktionen bestückt, bestand sie bis Anfang des 19. Jahrhunderts.
Im Historismus empfahlen Experten Rasendächer, auf denen die Hausbewohner mit Pflanzen und Bäumen in Töpfen, einen "wahren Ziergarten" gestalten könnten. Sie erkannten Naturdächer als Mittel zur Kleinklimaverbesserung, und lobten sie aus wirtschaftlichen und ästhetischen Gründen. Otto Wagner verwendete Flachdächer beim Nußdorfer Wehr, der Postparkasse, dem Schützenhaus und der Steinhofkirche. Adolf Loos schuf mit der Villa Scheu in Hietzing das erste Terrassenhaus Mitteleuropas und propagierte das Flachdach, womit er auf Unverständnis stieß. Als Josef Hofmann in Zusammenarbeit mit der Wiener Werkstätte das Palais Stoclet in Brüssel errichtete, plante er mehrere Dachterrassen mit Kübelpflanzen und Pergolen ein. Vor dem Ersten Weltkrieg nützten Architekten von Krankenanstalten die gesundheitsfördernde Wirkung von Dachterrassen mit Pflanzenschmuck, wo sich Patienten, wie bei den "Neuen Kliniken" des AKH, an der Sonne aufhalten oder im Cottage-Sanatorium Sport betreiben konnten.
Nach 1918 regte ein Journalist an, auf den Dächern in der Innenstadt Schrebergärten zur Versorgung anzulegen. In den 1920er und 1930er Jahren signalisierten Flachdächer eine moderne, zukunftsorientierte Bauauffassung. So erhielten alle Häuser der modellhaften Wiener Werkbundsiedlung Garten- oder Dachterrassen. Diese finden sich ebenso bei experimentellen Wohnformen, wie dem Einküchenhaus "Heimhof" im 15. Bezirk oder Wiens erstem Hochhaus in der City. Architekten wollten damit die städtische Wohnqualität steigern, und Gärtner gaben Tipps für geeignete Pflanzen.
Nach dem zweiten Weltkrieg, in dem auch der von Theophil Hansen erbaute Heinrichshof bei der Oper beschädigt wurde, gab es ein interessantes Projekt für den teilweisen Wiederaufbau. Es hätte einen offenen Gartenhof mit verschiebbarem Glasdach vorgesehen. Das Flachdach sollte Platz für die Gasttische bieten und als zu begehender Garten mit Tanzfläche, Wasserbecken, niedriger Bepflanzung, Rasen und einem Querweg dienen. Schließlich entschloss man sich aber 1954 für den Abbruch des Ringstraßenbaues. In den 1970er Jahren verwies der Stadtplaner Roland Rainer auf die Bedeutung "lebensgerechter Außenräume" und setzte sie auch selbst um. Seit den 1980er Jahren entstanden in Wien zahlreiche Dachgeschosswohnungen. Eine Fülle von Beispielen wartet auf die Fortschreibung der Geschichte des Wohnens "zwischen Himmel und Erde". Durchaus kritisch betrachtet werden jedoch auch die ständigen Veränderungen der Wiener Dachlandschaft. … Gemeinsam mit Dachterrassen und Dachgärten verbinden diese Wohnungen die Annehmlichkeiten städtischen zentrumsnahen Wohnens mit dem Genuss von begrünbaren und begrünten Freiflächen.